ETFs, Research, Nachhaltigkeit und Regulierung
• Caduff: Meine Herren, bald ist das Geschäftsjahr zu Ende. Hat es Ihnen Freude bereitet?
Boitel: 2019 hat in der Tat einiges mit sich gebracht. Geopolitische wie auch makroökonomische Faktoren haben dafür gesorgt, dass es niemals langweilig wurde. Allgemein betrachtet hat dieses Jahr zwei Gesichter gezeigt. Bis inklusive April waren vor allem die risikoreichen Allokationsklassen gefragt. Sei es Erdöl, S&P 500, DAX oder Schwellenländer-Aktien, in allen Segmenten stiegen die Kurse zweistellig. Seit Mai kamen die sogenannten «safe haven»-Anlagen zum Zuge, als Gold und Staatsanleihen sehr gut abschnitten. Auch die Trends auf der Investorenseite waren in diesem Jahr aussergewöhnlich. Anleihen-ETFs hatten hier ganz klar die Oberhand unter den Assetklassen, auf der Aktienseite zeigte sich ein klarer Trend zu US-Titeln.
Riedel: Ja, natürlich. Es war für uns als unabhängiger Research- und Datenanbieter ein spannendes Jahr. Der Trend zur Digitalisierung bei Finanzinstituten hat sich weiter verstärkt. Die Optimierung der Kosten ist in unserer Industrie nach wie vor ein bestimmendes Thema. Die Auslagerung von Research- und Portfolio-Management-Aktivitäten eröffnet grosse Kostensenkungspotenziale. Einzig die Verschiebung der FINIG/FIDLEG-Einführung (einheitlicher Researchansatz/Bezahlen für Researchprodukte) hat noch wenig unterstützend gewirkt - dies sollte dann im nächsten Jahr kommen.
Limacher: Obwohl die Wirtschaftsentwicklung im laufenden Jahr meist in Moll-Tonlage verkündet wurde, haben die meisten Aktienmärkte trotzdem zweistellige Zuwachsraten gezeigt. Wir konnten bis dato eine ordentliche Performance generieren, was unsere Kunden gefreut hat. Wenn unsere Kunden zufrieden sind, dann sind wir es auch!
Link: Teils-teils, einerseits war es möglich, mit wenigen Transaktionen in wenigen Titeln eine gute Performance zu erzielen, anderseits macht mir die Geldpolitik der Notenbanken grosse Sorgen. Zu viel billiges Geld treibt die Schulden in die Höhe. Anscheinend gibt es heute keine Möglichkeit mehr, die Schuldenproblematik zu lösen.
• Caduff: Was waren die grössten Herausforderungen?
Limacher: Für unser Haus, das bereits seit 24 Jahren ethisch-nachhaltige Geldanlagen proklamiert, stellt sich die Herausforderung, dass sich auf einen Schlag alle Finanzhäuser einen grünen Anstrich geben oder als besonders nachhaltig erscheinen möchten. Das führt dazu, dass dieses Thema teilweise verwässert wird. Die Nutzung vereinzelter ESG-Indikatoren reicht für eine fundierte Beurteilung nicht aus. Wir stützen bei unserer Analyse zwar auch auf ESG-Indikatoren ab, die wesentliche Nachhaltigkeits-Research-Arbeit beginnt aber bei uns erst ab dieser Stufe. Eine wesentliche Herausforderung ist für uns, wie wir unsere guten Strategien im Getümmel der neuen unzähligen ESG-Fonds sichtbar machen können. Hier bin ich allerdings zuversichtlich, dass sich hohe Produkt- und Research-Qualität langfristig auszahlen wird.
Link: Wie kann der Anleger in der heutigen Zinssituation mit Negativzinsen eine gute Performance erzielen, ohne das Risiko zu erhöhen. Solange der Risikozuschlag auf Aktien im Verhältnis zu Obligationen immer noch attraktiv ist, wird aber die Rally an den Aktienmärkten weitergehen. Zusätzlich wird die Nachfrage nach alternativen Anlagen weiter steigen.
Boitel: Die grösste Herausforderung war, dass die Kursrally auf der Aktienseite im ersten Quartal 2019 nicht wirklich von starken Mittelzuflüssen begleitet wurde. Mögliche Gründe waren der vorangegangene Markteinbruch im Dezember 2018, über die Zeit aufgebaute Aktien-Übergewichtungen in vielen Portfolios, Sorgen bezüglich der Wirtschaftsstabilität oder der globalen Handelstarife wie auch eine lähmende Brexit-Diskussion - jedenfalls haben Investoren nur zögerlich mit Zuflüssen auf die positive Werteentwicklung reagiert.
Riedel: In diesem Jahr haben wir den Fokus auf die Weiterentwicklung unserer Produkte gelegt. Zum Beispiel soll der Zugang zu unserem Research intuitiver erfolgen - dies benötigt einen überdurchschnittlichen Zeit- und Investitionsaufwand.
• Caduff: Und was waren die positiven Höhepunkte?
Riedel: Wir wollen auf Grund der starken Nachfrage nach unseren Researchlösungen und -Produkten in Zukunft noch stärker wachsen, auch global. Wir konnten eine Niederlassung in Brasilien eröffnen und werden unseren Vertrieb weltweit weiter ausbauen. Auch das Timing an der Börse war teilweise schwierig. Zwar war es bisher ein sehr gutes Börsenjahr, aber die Kursentwicklungen auf Monatsbasis waren sehr volatil und häufig durch politische Tweets beeinflusst anstatt von Fundamentaldaten getrieben. Unser regelbasierter Ansatz funktionierte trotzdem gut: Beispielsweise das Goldthema haben wir rechtzeitig, also anfangs Mai, lanciert. Oder betreffend dem Kostenthema können wir Kunden vorweisen, denen es möglich war, diese zu halbieren und den Output zu verzehnfachen! Dies hat sich natürlich auch positiv auf deren Erträge ausgewirkt.
Boitel: Positive Höhepunkte gab es viele. Hohe Zuflüsse in US-Aktien kamen der ETF-Industrie generell zu Gute. Zudem wurden ETFs vielfältig als Grundlage für taktische Positionen benutzt - nicht nur von Privatbankenkunden, sondern auch vermehrt auf der institutionellen Seite, von Pensionskassen und Versicherungen. Weitere von Investoren positiv aufgenommene Themen waren nachhaltiges Investieren sowie die ESG-Implementierung durch ETFs, ausserdem Megatrends, zum Beispiel Digitalisierung und Zukunftsthemen. Schliesslich sollte man auch Sektor- und Faktor-Allokationen nicht vergessen, die zu einem durchaus erfolgreichen Jahr 2019 gehören.
Link: Positiv zu vermerken ist sicher, dass der Anleger mit den klassischen Aktien Nestlé, Novartis und Roche die beste Performance erzielen konnte. Dazu kamen die hervorragenden Resultate der sogenannten «FANG»-Aktien (Facebook, Amazon, Netflix und Google). Die grosse Frage ist nun, wie lange die Überwertung dieser Aktien gegenüber den «Value-Aktien» anhält. Deren Unterbewertung ist so tief wie schon seit zehn Jahren nicht mehr. Es ertönt keine Glocke, wenn es dreht.
Limacher: Als Pionier im Ethik-Bereich erleben wir im Moment sowohl starken Zuspruch seitens des Bankhauses als auch von unseren langjährigen Kunden. Da unsere Umsetzung der ethisch-nachhaltigen Anlagephilosophie durch den «PRIME VALUES Investment-Prozess» (PVIP) nun auch in der Breite besser ankommt, fühlen wir uns vom Markt bestätigt. Der PVIP auf Individualmandatsebene wurde in diesem Jahr noch häufiger nachgefragt.
• Caduff: Wie sieht Ihr Plan für die kommenden Monate aus?
Link: Per 1. Januar 2020 treten die neuen Regulierungswerke FIDLEG und FINIG in Kraft. Obwohl eine dreijährige Übergangsfrist besteht, werden die Anforderungen vor allem für die kleineren externen Vermögensverwalter enorm. Abgesehen davon, müssen sich alle Vermögensverwalter bis Mitte nächsten Jahres bei der FINMA melden. Die zusätzliche Aufsicht kommt erschwerend dazu.
Limacher: Eine zentrale Aufgabe wird es sein, unsere deutschen Kollegen in der Unternehmensgruppe bei der Umsetzung des «EU Sustainability Action Plans» zu unterstützen und die Kundennachfrage nach neuen Anlagelösungen zu begünstigen. Gerade über die deutsche Finanzmarktaufsicht BaFin oder das Regelwerk MiFiD II kommen neue Anforderungen auf die Finanzindustrie zu. Hier ist vieles noch nicht spruchreif. In Ansätzen ist aber gut zu erkennen, in welche Richtung es geht. Und diese Richtung heisst Nachhaltigkeit.
Boitel: So vielfältig dieses Jahr 2019 bislang auch war, werden wir uns auch in Zukunft weiterhin auf eine gut diversifizierte Produktlandschaft fokussieren. Wir nennen es 3D für belastbare Portfolios: «defend, diversify and drive». Dazu gehören zum Beispiel Minimum-Volatility-Strategien auf der Aktienseite, Staatsanleihen hoher Qualität oder US-Dollar-Bond- Emissionen mit guten Zinserträgen auf der Obligationenseite. Hier sehen wir mehrere spannende Möglichkeiten, mit Kunden ins Gespräch zu kommen. Natürlich stehen auch unsere sogenannten «Core» ETFs weiterhin im Fokus, sowohl bei den grossen Aktien- wie auch Obligationsindizes. Da wir uns als Lösungsanbieter verstehen, stehen auch Themen rund um die Asset Allocation sowie Portfolio-Optimierung im Fokus.
Riedel: Wie gesagt, werden wir unsere Produkte weiterentwickeln, um die Finanzinstitute bei der Bewältigung ihrer Aufgaben und Problemlösungen auf Grund der FINIG/FIDLEG-Einführung noch stärker unterstützen zu können (zum Beispiel bei der Datenintegration).
• Caduff: Müssen Sie dafür an vielen Stellschrauben drehen?
Boitel: Wir müssen unsere Anstrengungen weiter hochhalten, um Investorenwünschen sowie generellen Marktgegebenheiten gerecht zu werden, strategisch wie auch taktisch. Als Lösungsanbieter zählt für uns insbesondere der ständige Dialog mit unseren Investoren. Aber wir haben bereits ein sehr attraktives Angebot, das wir stets verfeinern, mit Innovationen ergänzen und zunehmend auch in einem nachhaltigen Investmentkontext sehen. Insgesamt sind wir auf einem guten Weg.
Riedel: Nur ein bisschen. theScreener wurde vor 20 Jahren als erstes Fintech-Unternehmen der Schweiz gegründet. Unser Erfahrungspool ist deshalb mit zehn Millionen Researchnutzern immens. Die forcierte Weiterentwicklung unserer Produkte ist darum in diesem Jahr etwas mehr als «Business as usual».
Limacher: Im Grunde nicht. Da wir in den letzten 20 Jahren viel Know-how in diesem Gebiet aufgebaut haben, sehen wir dies als «gmahde Wiesn» an, wie mein Münchner Kollege sagen würde. Allerdings erkennen wir auch, dass hier viel Dynamik im Markt ist, weshalb wir uns selbst auch ständig weiterentwickeln - aktuell zum Beispiel mit «Proxy Voting».
Link: Ja, es wird einige Anpassungen geben wie Aktualisierung des Handbuches, des Organisationsreglements und der Arbeitsverträge. Dazu kommt die Suche nach einem externen Compliance-Verantwortlichen. Die Stellvertretung muss gewährleistet sein.
Teilnehmende

Gilles Boitel
Deputy Head Passive Sales Switzerland, Swiss ESG Representative
DWS CH AG
Prime Tower
Hardstrasse 201
8021 Zürich
Gilles Boitel ist seit 2015 für die DWS tätig und ist seitens Xtrackers für die Kunden in der Schweiz und aus dem Ausland verantwortlich. Zudem hat er eine langjährige Erfahrung im ESG-Bereich und ist für DWS ESG-Representative für den Schweizer Markt. Zuvor war er bei verschiedenen ETF-Anbietern und Consulting-Unternehmen in den Bereichen Sales, Strukturierung und Strategie tätig, wie beispielsweise BlackRock, Invesco und Accenture. Gilles Boitel hat unter anderem einen B.Sc. der UvA, Amsterdam und ist CEESGA zertifiziert.

Roman Limacher
Managing Director
Hauck & Aufhäuser (Schweiz) AG
Talstrasse 58
8001 Zürich
Roman Limacher, CIWM, betreut seit über 15 Jahren den PRIME VALUES Investment-Prozess, der mit eigens entwickelter Ethik-Analyse über ESG hinausgeht und von Hauck & Aufhäuser gruppenweit über Individualmandate, den Robo-Advisor Zeedin und über die traditionsreichen PRIME VALUES-Fonds angeboten wird. Er betreut bei der Hauck & Aufhäuser (Schweiz) AG private und institutionelle Kunden mit Fokus auf ethisch-nachhaltige Geldanlagen. Zuvor war Limacher bei EY und bei einer Gesellschaft der heutigen SIX Group tätig.

Thomas Link
Verwaltungsratspräsident
Lienberger Finanzinvest AG
Riesbachstrasse 57
8008 Zürich
Thomas Link ist Partner der Almira Group und Mitglied des Verwaltungsrates der Lienberger Finanzinvest AG, Zürich und der Grolimund Finanzinvest AG in Zürich. Bis 2004 war er Mitglied der Direktion bei der Privatbank Maerki Baumann & Co. AG und verantwortlich für das Schweizer Geschäft. Zuvor war er Leiter Anlageausschuss und Betreuung von Grosskunden bei der Royal Trust Bank (Schweiz) und in der institutionellen Vermögensverwaltung der ehemaligen SBG (heute UBS) tätig. Thomas Link studierte Nationalökonomie an der Universität Zürich und besitzt ein Lizentiat in Richtung Betriebswirtschaft.

Andreas Riedel
Leiter Asset Management Solutions
theScreener Investor Services AG
Zugerbergstrasse 12
6300 Zug
Andreas Riedel hat nach einer Banklehre und einem Wirtschaftsstudium als Aktienspezialist im Investment- und Private Banking während rund 20 Jahren sein Wissen als Führungsperson vertieft. Bei einer ausländischen Bank baute er das globale Aktienresearch auf und kam so zum ersten Mal mit theScreener in Kontakt. Dort leitet er den Bereich Asset Management Solutions.
Moderator

Thomas J. Caduff ist CEO der Fundplat GmbH. Er ist seit über 30 Jahren in der Finanzindustrie tätig. Zu seinen beruflichen Stationen gehörten das Börsenkommissariat des Kantons Zürich, die Bank Vontobel, die Credit Suisse und die UBS. Thomas J. Caduff diente ferner drei Jahrzehnte lang in einer Division und mehreren Brigaden der Schweizer Armee als Kommunikations-/Medienoffizier.