«2017 kann so viele Überraschungen bringen wie 2016»

09.02.2017
Herr Leaviss, wie erlebten Sie das Bondjahr 2016?
Nach der Baisse in vielen Segmenten des Anleihenmarktes 2015, war 2016 insgesamt und trotz einer erheblichen Volatilität erfreulicher. Ein scharfer Ausverkauf von Staatsanleihen war eine der wichtigsten Marktreaktionen auf das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl. Die Republikaner kontrollieren nun zudem den Senat und den Kongress, was die Umsetzung seiner wichtigsten politischen Ideen - stark erhöhte Infrastrukturausgaben und gewaltige Einschnitte bei der Unternehmenssteuer - für Trump möglich machen sollte. Wir sollten zudem protektionistische Massnahmen erwarten.
Sind Trumponomics die neuen Reagonomics?
Die vielen Gemeinsamkeiten zwischen der Situation, mit der sich Trump 2017 konfrontiert sieht und der Welt, in der Ronald Reagan 1981 ins Amt kam, sind viel beschworen worden. Reagan übernahm damals eine schleppende Wirtschaft und eine Inflation von 15 Prozent. Seine erste Antwort war der «Economic Recovery Tax Act», also deutliche Steuersenkungen, weniger Steuereinnahmen und die Kürzung der Sozialausgaben. In der Folge kletterten die Renditen der US-Staatsanleihen auf ein Rekordhoch. Es war eine Ära, als die Ratio der Staatsverschuldung im Vergleich zum BIP nur 30 Prozent betrug, weit entfernt von den 100 Prozent, die Trump übernimmt.
Die daraus folgende Sorge ist, dass Trump schlichtweg nicht den fiskalen Spielraum wie Reagan hat, um seine Trumponomics durchzusetzen, ohne die Märkte aufzuschrecken. Seine Vorschläge zum fiskalischen Stimulus werden laut den Erwartungen einen inflationären Charakter haben und ein Handelskrieg könnte noch stärkere Negativfolgen haben - Zollschranken als Retourkutsche erhöhen die Preise für importierte Güter. Trumps Wahlsieg und das britische Brexit-Votum stellen zwei der grössten Herausforderungen dar, dem sich der wirtschaftliche Status Quo weltweit gegenübersieht. Sie führten unter anderem auch dazu, dass die Diskussion über die Auswirkungen von Globalisierung auf die Industrienationen neu entfacht wurde.
Wie wird sich die Rückbesinnung der USA auf die weltweite Wirtschaft auswirken?
Wenn Länder Handelsabkommen brechen und Zölle erheben, so kann das zu einem Teufelskreis der Vergeltungsmassnahmen führen, der unweigerlich das weltweite Wachstum dämpfen. In einem solchen Umfeld gibt es nur Verlierer.
Welche Auswirkungen sehen Sie auf den Yen und den Euro?
Der Yen und der Euro erscheinen angesichts der anhaltend expansiven Geldpolitik der Bank of Japan (BoJ) und der Europäischen Zentralbank (EZB) besonders anfällig. Der Übergang der BoJ zu einer auf die Renditekurve fokussierten Politik stellt sicher, dass die Renditen fallen, sobald die Inflation steigt. Es deutet sich an, dass die Finanzbedingungen lockerer werden je mehr sich die Erholungsphase fortsetzt.
In Grossbritannien bestätigte der britische Finanzminister Philip Hammond in seiner Haushaltserklärung im Herbst nicht nur, dass es keinen Haushaltsüberschuss geben wird, sondern dass die fiskalpolitischen Regulierungen gelockert und die Steuereinnahmen sinken werden, eine Folge der schwächeren Erträge und der geschrumpften Verbraucherausgaben der privaten Haushalte.
Hat Europa ein Dilemma mit den quantitativen Lockerungen?
Die Ankündigung der EZB im März 2016 mit der Ausdehnung des Anleihen-Kaufprogramms auf Investment-Grade-Unternehmensanleihen (IG) auch ausserhalb des Bankensektors zeigt die divergenten Positionen der USA und Europas. Die Flexibilität des Programms überraschte die Märkte und führte zu einer unmittelbaren und deutlichen Verengung der Credit Spreads. Dies betraf allerdings nicht nur die potenziell infrage kommenden Unternehmensanleihen, sondern den gesamten europäischen Markt für diese Papiere.
Eine der wichtigsten Folgen war, dass die EZB formell ein neuer, grosser und wenig preissensitiver Player am europäischen Markt für Unternehmensanleihen wurde. Als solcher gab die Zentralbank den europäischen Unternehmensanleihen starke technische Unterstützung, schuf eine Preisuntergrenze und trieb die Renditen weiter nach unten.
Was sind die Auswirkungen davon?
Eine bewusste Konsequenz der quantitativen Lockerungen ist als Portfolioumschichtungseffekt bekannt: Privatanleger sind bei der Erwirtschaftung positiver Erträge zunehmend gezwungen, grössere Kreditrisiken einzugehen. Für viele Investoren bedeutete dies, dass sie sich in ihrer Renditejagd auf der Kreditkurve nach unten und insbesondere nach aussen bewegen mussten. 2017 bleibt die brüchige Stimmungslage erhalten. Der Renditevorteil von US-Staatsanleihen gegenüber deutschen Staatsanleihen ist nahe einem Allzeithoch. Am Markt für Unternehmensanleihen sieht es nicht anders aus. Je mehr Abwärtsdruck die EZB auf die Renditen europäischer Unternehmensanleihen ausübt, desto mehr Spielraum für Investoren, sich den relativ attraktiveren Renditen der Pendants am US-Markt zuzuwenden.
Europas Wirtschaft befand sich in einer echten Deflation, als das Anleihen-Kaufprogramm aufgelegt wurde. Seitdem hat sich die monatliche Inflation dank der Erholung bei den Rohstoffpreisen leicht verbessert. Sie ist zwar noch ein gutes Stück vom Zwei-Prozent-Ziel der EZB entfernt, doch könnte die jüngste Stabilisierung der Energiepreise eine temporäre Unterstützung bieten. Die EZB wird in den kommenden Monaten die Inflationserwartungen genau im Auge behalten und prüfen, ob weitere geldpolitische Massnahmen notwendig sind.
Gibt es auch den Schwellenländern nur schlechte Nachrichten?
Trumps Wahlsieg hat vielfache Implikationen für die Schwellenmärkte. Auf den ersten Blick ist die Wahl von Donald Trump eindeutig negativ. Man ziehe nur die potenziellen Risiken durch einen intensivierten Handelsprotektionismus, die umfangreiche Fiskalexpansion, einwanderungspolitische Massnahmen und die Unsicherheit über die künftige Aussenpolitik in Betracht.
Nichtsdestotrotz werden die Auswirkungen einer Trump-Präsidentschaft nicht überall gleich zu spüren sein. Mehrere wichtige Staaten wie Brasilien und Indien sind wirtschaftlich relativ geschlossene Gebilde und von den Entwicklungen in den USA verhältnismässig isoliert. Andere Länder wie die Tschechische Republik und Ungarn hängen bei ihren Exporten mehr von Europa ab. Russland könnte profitieren, sollten die USA ihre Sanktionen lockern. Chinas Beziehung mit den USA wird ebenfalls im Mittelpunkt stehen. Als grösster ausländischer Besitzer von US-Schuldpapieren könnte sich China um eine Reduzierung seiner Bestände bemühen, um eine allzu schnelle Abwertung seiner Währung gegenüber dem US-Dollar vorzubeugen. Die Verhängung von Tarifen oder die öffentliche Beschuldigung Chinas als Währungsmanipulator sind Ereignisse, auf die es in Zukunft zu achten gilt.
Obwohl die Renditen auf US-Staatsanleihen seit der US-Präsidentschaftswahl stark gestiegen sind, erwarten wir einen weiteren Anstieg, wenn auch schrittweise und verhaltener. Für eine Reihe an Schwellenmärkten sind diese Aussichten weniger einschneidend, als das bisher vielleicht der Fall war. Sie haben ihre Handelsbilanzen verbessert und insgesamt ein kleineres Volumen an in US-Dollar denominierten Schulden.
Ihr Fazit für 2017?
Wie bei allen Anlageklassen und insbesondere für die Schwellenmärkte wird es in 2017 stark von der Nachrichtenlage abhängen, was passiert. Vielleicht stehen wir vor einem weiteren Jahr, das ebenso viele Überraschungen bringen wird wie 2016.
Jim Leaviss ist Leiter des Bereichs Retail Fixed Interest für die Investmentfonds von M&G. Er kam 1997 zu M&G, nachdem er fünf Jahre bei der Bank of England tätig war. Jim Leaviss managt den M&G Global Macro Bond Fund sowie den M&G Gilt and Fixed Interest Income Fund. Er ist ausserdem Co-Manager der M&G Inflation Linked Corporate Bond Fonds.