Ägypten: Ein turbulenter Sommer für den Aktienmarkt

07.10.2015
Herr Bou-Diab, der ägyptische Aktienmarkt hat ein paar turbulente Monate mit heftigen Korrekturen hinter sich. Wie hat sich Ihr Portfolio gehalten und wie sehen Sie den Markt aus Anlegersicht?
Ägyptens Börse erlebte einen sehr unruhigen Sommer und der EGX30 Index durchbrach zahlreiche Unterstützungsniveaus und büsste insgesamt 17,5 Prozent ein. Unsere konservative Positionierung und raschen Portfolioanpassungen trugen dazu bei, die negativen Auswirkungen für das Portfolio abzumildern. Nach diesem massiven Einbruch erschien uns allerdings eine Neubewertung des Investment Case für Ägypten erforderlich. Findet tatsächlich noch eine investitionsgetriebene Konjunkturerholung statt? Versprechen sich Unternehmen noch Vorteile von der Erholung? Der Markt ist voller negativer Top-Down-Ansichten und die Entwicklung in China hängt wie ein dunkler Schatten über den Schwellenländern, was im Gegensatz zu dem optimistischeren Stimmungsbild steht, das sich uns noch im letzten Monat nach mehreren Treffen mit lokalen Unternehmen bot.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat Ägypten im September einen Besuch abgestattet. Wie ist der Bankensektor im Land zu bewerten?
Handelsbanken gaben mit Blick auf ihre gesunden Bilanzen, ihre hohe Rentabilität und ihre Zuversicht wenig Anlass für den Ausverkauf im Sommer. Dieser Meinung war auch der IWF. Klassenprimus Commercial International Bank (CIB, 2016 P/B 2.2) ist auf dem besten Wege, im laufenden Jahr ein Kreditwachstum von 25 Prozent und einen ROE von rund 30 Prozent zu erwirtschaften. Für 2016 wird ein Wert von jeweils etwa 35 Prozent angestrebt.
Credit Agricole Egypt (2016 P/B 1.6) erwartet gar einen ROE für 2016 von über 35 Prozent. Der Fokus gilt dem Infrastruktursektor, wo sich die Bank das Know-how ihrer französischen Muttergesellschaft zunutze machen kann. Letztgenannte betrachtet das Privatkundengeschäft in Ägypten als höchst interessanten Markt. Denn nur 10 Prozent der dortigen Bevölkerung hat ein Bankkonto und die Bankstellendichte liegt im Schnitt bei 23‘000 Einwohnern pro Bankfiliale, im Gegensatz zu Mexiko, wo sie sich auf 8‘200 Einwohner beläuft.
Immobilientitel legten vom 4. Quartal 2013 bis März 2015 eine rasante Rally hin, wobei sich der Wert vieler Aktien mehr als verdoppelte. Jedoch büssten einige Titel im Sommer wieder mehr als 50 Prozent ein. Was sind die Gründe dafür?
Getrieben wurde der Sektor von der Annahme, dass Immobilien vor dem Hintergrund des derzeit inflationären Umfelds die Gunst der Ägypter gewinnen. Unternehmensvertreter, mit denen wir uns getroffen haben, gehen nach den kürzlichen Kursverlusten mittlerweile von realistischeren Annahmen aus. Sie erwarten bestenfalls Preiserhöhungen in Einklang mit der Inflation, was ausreichen würde, um steigende Baukosten auszugleichen und die Margen zu sichern. Gegenwärtig entsteht ein neues und interessantes Modell der Entwicklungszusammenarbeit zwischen Unternehmen mit einem bedeutenden Portfolio an Landreserven und Firmen mit starken Entwicklungs-, Vermarktungs- und Verkaufskompetenzen in diesem Bereich.
Wie sieht die zukünftige Entwicklung der Immobilienbranche aus?
Die Verkaufszahlen für neue Häuser und Wohnungen bleiben stark, da das Angebot mit etwa 20‘000 Einheiten pro Jahr begrenzt ist und das Land von günstigen demografischen Bedingungen und dem Wunsch vieler Familien profitiert, aus dem überfüllten Zentrum Kairos in geschlossene Wohnanlagen zu ziehen, die zusehends über die nötigen Gewerbegebiete, Schulen, Büroflächen usw. verfügen. In Anbetracht von Preisen, die gerade noch dem Buchwert entsprechen, bietet der Sektor auf jeden Fall Wertschöpfungspotenzial, leidet jedoch unter den durch die postrevolutionären Probleme hervorgerufenen Stigmata und der jüngsten Korrektur.
Und wie hat sich die Marktkorrektur auf den Verbrauchersektor ausgewirkt?
Scheinbar hat die Vorstellung, dass Verbraucher in Schwellenländern (EM) ungeachtet des wirtschaftlichen Umfelds unendlich Geld für Konsumgüter des täglichen Bedarfs (FMCG) ausgeben können, die jüngste Korrektur im EM-Bereich überlebt. Die Investorentreffen dieser Unternehmen sind jeweils geradezu überlaufen und spiegeln sich in den hohen Bewertungen (2016 P/E von 25 bis 30) wider. Beides behagt uns nicht. Das Molkereiunternehmen Juhayna dient als gutes Beispiel dafür, welche Probleme sich für diese «defensiven» Titel ergeben können: Das Volumenwachstum der Molkerei erholt sich erst seit Kurzem wieder von zwei starken Preiserhöhungen im vergangenen Jahr und verschärften Wettbewerbsbedingungen. Die Kapazitätsauslastung bleibt hinter den ursprünglichen Investitionsplänen zurück. Die Margen fallen infolge niedrigerer Milchpulverpreise im laufenden Jahr zwar höher aus, hierbei handelt es sich allerdings um einen Einmaleffekt. Um eine langfristige Wertschöpfung zu gewährleisten, bedarf es ungeachtet des zunehmenden Wettbewerbs eines zuverlässigeren Volumenwachstums.
Die Automobil-Industrie hat besonders unter der kürzlichen Korrektur gelitten. Wie sind hier die Aussichten?
Ghabbour Auto (2016 P/E 8.5), der grösste Autohändler Ägyptens, war Leidtragender der Sommerkorrektur aufgrund der Annahme, dass das Unternehmen unter dem aktuellen Devisenmangel leiden würde. Das Autogeschäft steht vor einem Margenproblem, da europäische Fahrzeughersteller mit Inkrafttreten des Freihandelsabkommens von niedrigeren Importzöllen profitieren. Das Unternehmen setzt daher auf weitere Investitionen in die lokale Fahrzeugproduktion und möchte von etwaigen staatlichen Anreizen zur Schaffung von Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie profitieren, was seiner Margenerholung zugutekäme. Es gibt vielversprechende Anzeichen dafür, dass die Regierung nach Verabschiedung des neuen Mehrwertsteuergesetzes entsprechende Massnahmen ergreift, was für beachtliches Aufwärtspotenzial sorgen dürfte.
Was ist Ihre Schlussfolgerung nach den Investorentreffen, die Sie in Ägypten besucht haben? Ist das Land noch immer ein Thema für Anleger?
Unternehmensvertreter deuteten während unserer gemeinsamen Treffen darauf hin, dass die investitionsgetriebene Erholung in Ägypten anhält und viele Unternehmen davon profitieren dürften, einige allerdings mit Verzögerung. Die Führungsriegen zeigten sich genauso überrascht von der heftigen Marktkorrektur im Sommer wie wir. Einige lokale Anleger hegten möglicherweise überzogene Erwartungen an die Erholung. Ausserdem haben sich die durchwegs negative Stimmung gegenüber Schwellenländern und die fremdfinanzierten Investitionen von Anlegern aus GCC-Staaten sicherlich nicht positiv auf den Markt ausgewirkt. In Anbetracht der derzeitigen Bewertungsniveaus bietet der Markt mit Blick auf die erwartete Verbesserung der Top-Down-Ansichten und die proaktiven Führungsteams vieler Unternehmen interessante Anlagemöglichkeiten. In einem durch mangelnde Risikobereitschaft geprägten Markt tun sich Investmentchancen für Anleger auf. Diesem Dilemma müssen sich Anleger stellen.
Malek Bou-Diab stiess Mitte 2009 als Senior Portfolio Manager für den Bereich New Markets zu Bellevue Asset Management, wo er die Verantwortung für den BB African Opportunities Fonds innehat. Davor managte Bou-Diab bei Julius Bär einen Afrika-Fonds. Von 2003 bis 2007 arbeitete er als quantitativer Risiko-Analyst bei der Deutschen Bank in London. Zwischen 1999 und 2003 promovierte Malek Bou-Diab in theoretischer Physik an der ETH Zürich. Er verbrachte einen Grossteil seiner Jugend im Mittleren Osten, wo er eine international ausgerichtete Ausbildung genoss und Arabisch studierte.