«Algo-Trader werden zu relevanten Strippenziehern»

09.03.2018
Herr Raab, Ihr Haus ist die führende Adresse für Informationen zu Strukturierten Produkten - aber auch in Sachen ETFs ist man seit einigen Jahren aktiv. Wie sieht das Setup von Derivate Partners genau aus?
Im Bereich Finanzmedien & Investor Marketing versorgen wir tausende professionelle Anleger und ambitionierte Privatkunden, insbesondere auf payoff.ch, mit unabhängigen Analysen und Hintergrundberichten zu Strukturierten Produkten, ETFs und Smart-Beta- Angeboten. Bei Analytics & Data Solutions sind wir Partner namhafter Finanzinstitute für Produktbewertungen, Kennzahlenberechnungen, PRIIPS/KID und realisieren massgeschneiderte Tools für Finanzkunden.
Die Glanzzeiten der Strukturierten Produkte scheinen aber eher vorbei. Oder täuscht der Eindruck?
Der Eindruck täuscht gewaltig: Die Renaissance nach den schmerzlichen Jahren 2009 und 2010 ist definitiv geglückt. In Europa waren per Ultimo 2017 225 Mrd. Euro in Strukturierte Produkte investiert. Auch der Handelsumsatz ist gestärkt, so wurden 49.4 Mrd. Euro in Anlageprodukten und 60.4 Mrd. Euro in Hebelprodukten umgesetzt. Das entspricht einem Zuwachs bei erstgenannten um 92 Prozent gegenüber 2016. Bei den Hebelprodukten wurden in 2017 rund 2 Mrd. Euro mehr gehandelt als in 2016. Insgesamt ist jedoch eine Verschiebung der Handelsaktivität von den Börsen hin zu Direkthandelsplattformen, sprich dem OTC-Segment, feststellbar.
Woran liegt diese Verschiebung in den OTC-Bereich?
Structuring-Plattformen gewinnen an Bedeutung und im Hebelprodukt-Bereich zeigt das OTC-Angebot von Swissquote seine Wirkung. Auch platzieren Banken zunehmend nur noch eigene Emissionen bei ihren Private-Wealth-Kunden - ohne zu schauen, was es am Markt sonst noch vergleichbares gibt. Die Emissionen werden dann OTC verbucht.
Sie persönlich sind im Schweizer Markt bestens bekannt und geschätzt für Ihre spitze Feder und scharfen Analysen. Den jüngst stattgefunden «Flash Crash» haben Sie medial regelrecht in seine Einzelteile zerlegt. Was hat Sie dabei so fasziniert oder auch erschreckt?
Der Börsenhandel, wie wir ihn kennen, ist zunehmend ein Rennen Mensch gegen Maschine. Die lichtscheuen Algo-Trader werden zu relevanten Strippenziehern. Das zeigt auch die detaillierte Volumens-Analyse des Dow Jones Index und S&P 500 Index vom 31.01.2018 bis 09.02.2018 Die veröffentlichten Daten zu «Non-farm Payrolls» und der entsprechenden Erwartung zur US-Inflation haben am 02.02.2018 in den meisten Algorithmen für ein konzentriertes Verkaufssignal bei Aktien gesorgt - in der Kasse und zuvor im Futures-Markt. Normale Trader waren gegen die Welle chancenlos.
Der eigentliche «Flash Crash» kam dann am Montag danach, richtig?
Korrekt, über das Wochenende berechneten die Maschinen ihre Szenarien und Signale. Dann wurden fast synchron Verkaufsaufträge am Nachmittag generiert, in zwei konzentrierten Aktionen. Zusätzlich werden gegen 14:00 Ortszeit New York traditionell die ersten Bündel an Mutual Fund Orders in den Markt gegeben.
Was sagen Sie zum Vorwurf, die massiv gestiegenen Zuflüsse in ETFs würden «Flash Crashs» verstärken?
ETFs sind schlicht und ergreifend interessante Produkte auch für taktische Anleger. Schwergewichte wie SPY von State Street, welcher rund 271 Mrd. US-Dollar Assets under Management (AuM) hat oder Sektor-ETFs, sind natürlich im Rampenlicht. Viele Hedgefonds nutzen ETFs als Instrument. Da kann aber weder der ETF als Produkt noch der ETF-Emittent etwas dafür. Im Gegenteil, das ist ein Ritterschlag.
Können «Flash Crashs» an der Wall Street - oder auch anderen Börsen - wieder passieren?
Hier muss man wissen: Rund 50 Prozent aller US-Börsenorders stammen inzwischen von Maschinen - nicht mehr von schwitzenden, menschlichen Brokern. Auch in Europa sind Algos und High-Frequency-Trader die besten Kunden der Börsen, inklusive der Schweiz. Das ist Fluch und Segen für die Liquidität und die Spreads. Aber die Tickets aus «künstlicher Intelligenz» verfügen über keine direkte Bremse. Plus, die Haltedauer von Aktienpositionen ist dramatisch geschrumpft. Algo-Trader halten beispielsweise SMI-Titel im Durchschnitt nur noch zehn Minuten oder kürzer, dann wird die Position wieder geschlossen. Es kann somit jederzeit wieder passieren.
Was raten Sie Investoren für die kommenden Monate?
Es ist jetzt ein perfekter Moment, die Asset Allocation ernsthaft zu überdenken. Beimischungen von Strukturierten Produkten oder Options-Strategien für eher taktische Positionen sind empfehlenswert, für die Kernanlagen bieten - neben Aktien-Einzelplays - ETFs eine ideale Lösung, Marktperformance quasi geschenkt einzukaufen. Viele Anleger, Pensionskassen und institutionelle Investoren inklusive, verharren beispielsweise im Bond-Markt immer noch mit irrationalen Gewichtungen.
Martin Raab ist Investment-Experte, Finanzmarketing-Berater, Buchautor und leitet u.a. als Executive Director die Finanzmediensparte («payoff») bei Derivative Partners. Der gebürtige Allgäuer ist seit 1996 in der transatlantischen Finanzindustrie beruflich tätig, mit Stationen im institutionellen Asset Management und der Produktkonzeption mit Fokus auf Derivate, Indexing, Rohstoffe und Alternative Investments (u.a. BayernLB, State Street/PIMCO). Martin Raab ist Jury-Mitglied der Swiss Derivative Awards sowie der deutschen ETP Awards. Er ist Chartered Alternative Investment Analyst und hält einen Fakultätsabschluss in Betriebswirtschaft der TU München.