Anleger sollten es sich 2016 einfach machen und nicht zu kompliziert denken

30.11.2015
Herr Masarwah, auf den Punkt gebracht, was war für Sie dieses Jahr die grösste Überraschung im Schweizer und im deutschen Fondsmarkt?
In der Schweiz hat mich der fortschreitende Trend der Passivierung in der Vermögensverwaltung mit Anlagefonds schon beeindruckt. Neben Grossbritannien und den Niederlanden macht die Schweiz von sich reden in dieser Hinsicht. Inzwischen stecken 60 Prozent der Assets der europäischen Morningstar-Kategorie «Aktien Schweiz Standardwerte» in ETFs und anderen Indexfonds - ein guter Teil davon dürfte in Schweizer Portfolios stecken. Aktiv verwaltete Fonds haben es in ganz Europa zunehmend schwerer, das gilt vor allem für die Aktienseite, aber wir sehen schon erste Anzeichen, dass sich der Trend hin zu Indexfonds auch bei Obligationenfonds breit macht. Auch wenn diese Umschichtung von aktiv verwalteten Fonds in Deutschland sehr viel wohltemperierter von statten geht, zeigt die Tatsache, dass sich die deutsche Aufsicht inzwischen auch zur Diskussion zum Thema Active Share geäussert hat, dass sich eine tektonische Verschiebung andeutet. Dazu passen auch die Dauerbrenner-Themen Robo-Advice und Diskussionen um Honorarberatung bzw. retrozessionsfreie Vertriebsmodelle.
… und bei den ETFs im Speziellen?
Hier ist der Hype um das Thema Smart Beta zu nennen, das wir lieber als Strategic Beta bezeichnen. Die ETF-Branche nutzt den sehr guten Newsflow, um sich hier immer mehr mit aktiven Indexierungsansätzen ins Spiel zu bringen. Das ist schon sehr geschickt, da die ETF-Branche unter Verbraucherschützern und vielen Anlegern schon fast eine Art Heiligenaura besitzt. Das erstaunliche an dieser Diskussion um alternative Indexkonzepte ist, dass es sich keinesfalls um einen Heiligen Gral handelt; Faktor-Investments gibt es schon seit geraumer Zeit und auch in deutlich sophistizierterer Form als das bei vielen Strategic Beta ETFs der Fall ist. Zudem haben viele dieser Produkte keine besonders lange Historie, so dass Anleger auf Backtests angewiesen sind.
Sie machen also Vorbehalte bei der Entwicklung der Smart-Beta-Produkte.
Nicht unbedingt, wir mahnen nur zur Vorsicht. Anleger müssen sich nicht nur mit der Funktionsweise der Indizes sehr gut vertraut machen, sondern sie müssen sich bewusst machen, dass sie auch Markettiming betreiben müssen. Nicht jeder Faktor liefert zu jeder Zeit eine lohnende Prämie. Und oft ist auch nicht klar, ob es sich wirklich um eine stabile Renditequelle handelt oder um eine temporäre Anomalie. Und darüber hinaus macht es die Proliferation von Produkten, die auf vermeintlich identischen Faktoren basieren, aber in der Realität höchst unterschiedliche Merkmale aufweisen, Anlegern nicht leicht. Jeder Anbieter kocht sein eigenes Süppchen und versucht, mit speziellen Ausprägungen seines Faktormodells eine Exklusivität zu schaffen, die aber im Ergebnis Anleger mit einer verwirrenden Vielfalt an Produkten konfrontiert. Wer heute beispielsweise nach Dividendenprodukten Ausschau hält, hat die Qual der Wahl: Soll er sich für eine Gewichtung nach Dividendenrenditen entscheiden oder nach Dividendenstrom? Sind Modelle, die sich auf prognostizierten Dividenden ausrichten, besser als die, die auf bereits gezahlten Dividenden fussen? Muss die Dividendenhistorie fünf, zehn oder 20 Jahre zurückreichen? Oder reicht gar nur ein Dividenden-Screening mit anschliessender Marktkapitalisierungsgewichtung?
Was ist Ihre Meinung zu währungsgesicherten ETFs?
Auf der Bond-Seite sind solche Produkte sinnvoll. Wegen des disproportional hohen Risikos auf der Währungsseite bei Bonds erscheint eine Absicherung sinnvoll. Auf der Aktienseite können währungsgesicherte Produkte für taktische Calls eine gute Idee sein, aber man muss sich als Anleger bewusst machen, dass solche Trends wirklich temporärer Natur sind und sich schnell in ihr Gegenteil umschlagen können. Wer 2013 einen währungsgehedgten Nikkei-ETF gekauft hat, hat sehr viel richtig gemacht. Das war 2014 aber schon ganz anders. A la longue spricht sehr viel dafür, dass sich Währungshedges auf der Aktienseite nicht lohnen. Wer viel Zeit mitbringt, kann die Fremdwährungsseite «offen» lassen.
Kommen wir zu den klassischen aktiven Fonds zurück. Werden Mischfonds auch in Zukunft - ganz besonders in Deutschland - das meiste Neugeld anziehen können?
Ich denke schon. Die Mittelflüsse sind nach wie vor beeindruckend. Anleger und Berater delegieren die Verantwortung für die Asset Allocation an den Asset Manager. Das kann eine gute Idee sein, sofern solche Produkte tiefe Kosten aufweisen, was angesichts der Situation an den Bond-Märkten umso dringlicher geboten scheint, nicht aktionistisch gemanagt werden und man angesichts des Prozesses und der Managerqualität auf eine gute risikoadjustierte Rendite hoffen kann.
Welche andere Fondskategorien oder Themen könnten in 2016 für eine Überraschung gut sein?
Steigen die Renditen im Zuge der erwarteten Zinserhöhung in den USA auch in Europa an, kann es sein, dass viele Mischfonds Probleme bekommen werden. Das gilt vor allem für gehebelte Risk-Parity-Modelle, die bei einem Gleichklang der Aktien- und Rentenmärkte - nach unten - wie auch 2013 schon leiden könnten. Auch alternative Fonds, die sich Marktneutralität auf die Fahnen geschrieben haben, könnten dann in den Fokus geraten. Das heisst aber nicht, dass ich den negativen Szenarien über austrocknende Bond-Märkte das Wort reden möchte. Ich vermute nur, dass wir immer wieder abrupte Volatilitätsschübe sehen werden. Und ich hoffe, dass Anleger darauf besonnen reagieren.
Haben Sie für unsere Leserschaft einen Geheimtipp?
Oje, das hatte ich befürchtet. Na gut, aber das bleibt wirklich unter uns: Zum einen sind absolut unspektakuläre Plain Vanilla ETFs auf Aktienindizes wie den S&P 500, MSCI World oder STOXX 600, von denen es etliche für deutlich unter 15, 20 Basispunkte zu haben gibt, immer einen Blick Wert. Wir erinnern uns, dass nach wie vor über 90 Prozent des europäischen ETF-Markts in ganz einfach gestrickten Produkten stecken. Vielleicht basieren diese marktkapitalisierungsgewichteten Assets von gut 430 Mrd. Euro nicht auf einem Missverständnis? Zum anderen würde ich davon abraten, aktives Management abzuschreiben. Es gibt da draussen wirklich gute Fondsmanager, nach denen es sich zu suchen lohnt. Und so schwierig ist das doch nicht: Gute Manager mit robusten Investmentprozessen gibt es etliche - mit unserem qualitativen Morningstar Analyst Rating leisten wir Anlegern gerne Hilfe bei der Trüffelsuche.
Ali Masarwah ist Mitglied im europäischen Research-Team von Morningstar und als Chefredaktor für die deutschsprachigen Websites von Morningstar verantwortlich. Seit Juni ist er zudem als Director für das Editorial Team von Morningstar EMEA zuständig. Nach seinem Volontariat bei der Wirtschaftsnachrichtenagentur ADX in Berlin fand er recht zügig den Zugang zum Thema Investmentfonds. Im Jahr 2000 wurde er Mitglied der Fondsredaktion bei der Nachrichtenagentur vwd, die er von 2001 bis 2003 leitete. 2003 wechselte Ali Masarwah zur portfolio Verlagsgesellschaft, Frankfurt, wo er zunächst als Chefredaktor das Magazin «portfolio international» übernahm. Von 2006 bis zu seinem Wechsel zu Morningstar im Herbst 2011 hatte er zusätzlich als Redaktionsleiter die journalistische Verantwortung für alle Magazine und Websites des Verlags inne.