«Auf Anlegerseite dominiert die Prozyklik ebenso wie auf Anbieterseite»

05.01.2015
Herr Masarwah, als Chefredaktor von Morningstar hören Sie im Schweizer und deutschen Fondsmarkt fast das Gras wachsen. Was waren für Sie die wichtigsten Ereignisse im abgelaufenen Jahr?
Es ist immer wieder erstaunlich, wie taktisch Investoren vorgehen. Sie reagieren sehr schnell auf Marktentwicklungen - sei es nach oben oder nach unten. Das ist nicht als Kompliment gemeint: Taktisch zu investieren, ist oft nichts anderes als der Versuch, den Markt zu timen - und das ist nicht nur mittel- und langfristig absolut erfolglos, sondern hat sich auch im abgelaufenen Jahr als verheerend für die Performance erwiesen. Nehmen Sie den deutschen Aktienmarkt: Zweimal hat der DAX in den letzten Monaten des abgelaufenen Jahres Rekordmarken über 10‘000 Punkte erklommen, aber gleich danach sind die Kurse wieder abgeknickt - im Endeffekt sprangen bei diesem Sägezahnmarkt nur etwas über 2,5 Prozent bei deutschen Standardwerten heraus. Der Total Return für deutsche Blue-Chip-Fonds lag in etwa bei der Nulllinie. Aufgrund des reaktiven Verhaltens vieler Anleger dürfte der Investor Return, also die geldgewichtete Rendite, deutlich darunter gelegen haben. Das ist nur ein Beispiel: So stellt sich das in der Regel bei nahezu allen volatilen Fondskategorien dar. Dann war da noch der immense Run auf Mischfonds und liquide Alternatives, also Hedgefonds im UCITS-Mantel. Auch das war bemerkenswert; dieser Trend der vergangenen Jahre hat sich 2014 verstetigt, und vermutlich werden wir Anfang 2016 zu einem ähnlichen Fazit zum Jahr 2015 kommen!
Hat Sie dabei wirklich etwas gross überrascht?
Nicht wirklich. Der Fondsmarkt funktioniert auf «bewährte» Weise: Auf Anlegerseite dominiert die Prozyklik ebenso wie auf Anbieterseite. Seit 2009 streben die Aktienkurse nach oben, und Investoren jagen tatsächlichen oder vermeintlichen risikoreduzierenden Strategien hinterher. Das war zwischen 2004 und 2007 nicht anders: Als Reaktion auf die Dot-Com-Krise hielten sich viele Anleger von Aktien fern - statt Überzeugungsarbeit zu leisten, haben viele Produktanbieter Absolute-Return-Konzepte en masse auf den Markt gebracht, von denen viele in der Krise 2008/09 enttäuscht haben. Ich bin wirklich gespannt, ob es 2015 zur Bewährungsprobe kommen wird. Die Zinswende könnte sich im Nachhinein als der viel zitierte «Elefant in the room» erweisen - in Bond- und Mischportfolios werden in der derzeitigen Niedrigzinsphase immer höhere Risiken in Gestalt tiefer Bonitäten und langer Laufzeiten eingegangen. Wird es im Zuge der allgemein erwarteten Zinserhöhung der US-Notenbank wieder zu einem Schock an den Zinsmärkten kommen? Angesichts der sehr illiquiden Credit-Märkte wird einem da schon etwas mulmig…
Was sagen Sie zum Preiskampf unter den ETF-Emittenten? Ein logischer Schritt oder eigentlich unnötig?
Tiefe Kosten sind in aller Regel nicht unnötig, sondern für Anleger ein sehr willkommenes Phänomen! Wir alle wissen, dass günstige Gebühren der Schlüssel zu Anlegererfolg ist. Allerdings frage ich mich, ob wir inzwischen nicht ein Niveau erreicht haben, das langfristig dem Wettbewerb schadet. Wer 5, 7 oder 9 Basispunkte für einen Standardwerte-ETF verlangt, muss schon sehr gut kalkulieren, ob sich das lohnt. Halten auch kleinere Anbieter mit eher tiefen Volumina in solchen Produkten à la longue durch? Vermutlich geht das nur, weil ETFs oft nur eine Art Nebenprodukt im Handel sind. Aber nicht jeder kann seine ETF-Abteilung so durchfüttern. Das bedeutet, dass solche tiefen Kosten möglicherweise auch durch Quersubventionierungen möglich sind. Teure Produkte füttern also die günstigen. Das halte ich für unfair, weil das nichts anderes besagt, dass irgendwo jemand zu viel für ein Produkt oder eine Dienstleistung bezahlt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Preisspirale weiter nach unten dreht.
Die aktiv verwalteten Fonds dagegen können ihre vergleichsweise hohen Gebühren gut verteidigen. Wie lange noch?
Das hängt von vielen Faktoren ab. Zum einen sind Asset-Allocation-Produkte sowie alternative Fonds eine Domäne der aktiven Manager. Diese Produkte sind in der Regel deutlich teurer als aktive Bond- bzw. Aktienfonds. Auch wenn einige ETF-Anbieter solche Produkte führen, so sind es doch eher Randerscheinungen. Das dürfte sich nicht ändern, insofern kommen die aktiven Manager hier vermutlich nicht so sehr unter Druck.
Auch Fonds mit teilweise seit Jahren unterdurchschnittlichen Resultaten ziehen immer noch Geld an. Ein Marketing-Erfolg oder schauen die Investoren die Produkte nicht genau an?
Marketing dürfte eine Rolle spielen, und auch die Ignoranz der meisten Anleger fördert die Persistenz der mediokren Produkte. In der Hauptsache liegt es aber am Vertrieb. Die Vertriebsstruktur in den meisten Ländern Europas wird derartige Ineffizienzen auf Sicht weiter fördern, denn noch immer dominieren Kickback-basierte Modelle. Das bedeutet, dass nicht das beste Produkt im Vertrieb hochgehalten wird, sondern das, welches dem Berater die höchsten Erträge verspricht. Wir haben leider auch noch immer keinen echten Konditionenwettbewerb unter den Beratern, und das ermöglicht es Anbietern nun einmal, schlechte Produkte teuer zu bepreisen. Wer über einen proprietären Vertriebskanal verfügt, steht halt nicht so unter Druck, Performance-Produkte anzubieten wie ein unabhängiger Vermögensverwalter, der sich jeden Tag aufs Neue behaupten muss.
Werden ihnen die ETFs in Zukunft das Leben noch schwerer machen?
In etlichen Bereichen schon. Wir sehen das bereits bei Aktienprodukten - hier erodiert die Basis schon bei den verkappten Indexfonds, die sich passives Tracking mit aktiven Gebühren vergüten lassen. Aber das ist offenbar ein langsamer Prozess, der sich vermutlich nur durch einen Regulierungsschock beschleunigen lassen würde - siehe das Beispiel Grossbritannien, wo Kickbacks inzwischen verboten sind. Das hat den Vertrieb von Indexfonds dort forciert - ETFs wie nicht börsenkotierte Indexfonds. Mit Blick auf Strategic-Beta-ETFs, also ETFs mit aktiven Komponenten, könnte auch ein Konkurrent für die vielen verkappten Indexfonds erwachsen: Diesen Trend hin zu immer aktiveren ETFs sehe ich aber etwas zwiespältig: Faktor-Investments haben sich bewährt, aber es kommt darauf an, wann man welche Risikoprämie «ernten» sollte - das erfordert Können unter den Anlegern. Man wettet mit Strategic-Beta-ETFs im Grunde gegen den Markt. Auf der Einzel-Faktor-Ebene sehe ich da Risiken für Anleger.
Was ist Ihrer Meinung nach der Ausweg für die aktive Fondsbranche?
Viele experimentieren mit Faktor-Investments herum, andere setzen auf Alternatives oder Mischfonds. Vermutlich hilft das eine Weile, zumindest so lange die Märkte, auf denen solche neuen Produkte fussen, mitspielen und die Aktienkurse per Saldo steigen. Da fällt dann nicht auf, dass manche Anbieter nicht die nötige Kompetenz haben, solche Produkte über mehrere Zyklen erfolgreich zu führen. Fallen die Märkte und fliessen die Gelder ab, wird sich recht schnell zeigen, wer ohne Badehose im Meer war. Bei Aktienfonds sind sich übrigens viele Gesellschaften gar nicht bewusst, dass sie ein Problem haben. Denn viele Anleger schauen bei steigenden Märkten nicht so genau hin und halten die Füsse still - sie freuen sich, wenn sie überhaupt eine positive Performance in der Jahresdepotbilanz sehen und vergleichen nicht, was sie mit anderen Produkten für Renditen hätten erzielen können. Da können auch Underperformer Gnade finden. Kommt es zum Crash, werden sich etliche Investoren bewusst werden, dass sie niedrigrentierliche Produkte im Portefeuille haben. Am Ende wird der Kapitalmarkt eine wichtige Rolle bei einer Konsolidierung der Asset-Management-Branche spielen.
Es kann aber auch sein, dass bis zur Konsolidierung noch einige Jahre ins Land gehen…
Kein Widerspruch, das sehe ich genauso, aber wir alle wissen, dass es zum einen anders kommt und zum anderen als man denkt! Warten Sie ab, was passiert, wenn es an den Bond-Märkten rappelt, und wo dann viele Misch- und Bondfonds stehen. Oder wenn wir eine wirklich substanzielle Korrektur an den Aktienmärkten erleben. Die Spreu kann sich da schon recht schnell vom Weizen trennen. Und, wie gesagt, wenn die Asset-Basis erodiert, wird es für einige Anbieter eng. Zur Erinnerung: Die Kosten für aktive Fonds sind bereits sehr hoch, da dürfte es schwer sein, durch Gebührenerhöhungen die Erträge zu optimieren - vor allem bei Bond-Fonds, die sich derzeit ja immer noch einer recht grossen Beliebtheit unter Anlegern erfreuen.
Werfen wir einen Blick ins 2015, was werden in der europäischen Fondsbranche die grossen Trends sein?
Wie gesagt: «more of the same» wird auch in diesem Jahr das Motto sein. ETF-Anbieter werden immer mehr mit Strategic-Beta-Produkten unterwegs sein, aktive Manager werden weiter Mischfonds und alternative Produkte auf den Markt bringen. Und alle werden vermutlich Stossgebete gen Himmel schicken, dass ihnen die Märkte wohlgesonnen bleiben.
Ali Masarwah ist Mitglied im europäischen Research-Team von Morningstar und als Chefredaktor für die deutschsprachigen Websites von Morningstar verantwortlich. Nach seinem Volontariat bei der Wirtschaftsnachrichtenagentur ADX in Berlin fand er recht zügig den Zugang zum Thema Investmentfonds. Im Jahr 2000 wurde er Mitglied der Fondsredaktion bei der Nachrichtenagentur vwd, die er von 2001 bis 2003 leitete. 2003 wechselte Ali Masarwah zur portfolio Verlagsgesellschaft, Frankfurt, wo er zunächst als Chefredaktor das Magazin «portfolio international» übernahm. Von 2006 bis zu seinem Wechsel zu Morningstar im Herbst 2011 hatte er zusätzlich als Redaktionsleiter die journalistische Verantwortung für alle Magazine und Websites des Verlags inne.