Auf dem Weg zum Fondsvertrieb 4.0

18.06.2015
Herr Pellis, Sie sind seit mehr als 20 Jahren im Fondsvertrieb tätig. Wohin steuern wir?
Um die Lage im Fondsvertrieb zu verstehen, lohnt sich eine kurze Rückblende. Zu Beginn der 90er Jahre besassen nur wenige Anleger Fonds. Den Wandel brachte der Markteintritt angelsächsischer Anbieter in Kontinentaleuropa. Damals dominierte dort der Vertrieb über IFAs, während das Fondsgeschäft hierzulande in den Kinderschuhen steckte: In der Breite haben die Banken mit mässigem Engagement vor allem ihre eigenen Fonds vertrieben. Bis Ende der 90er Jahre festigten die angelsächsischen Fondsgesellschaften ihre Position über die IFA-Schiene, während die hiesigen Asset Manager zumeist ausschliesslich ihr eigenes Netzwerk bedienten.
Und heute?
Heute ist der Fondsmarkt breiter diversifiziert als früher und vor allem stark durch die Banken getrieben. Viele Asset Manager arbeiten nach wie vor mit den grösseren IFAs und unabhängigen Vermögensverwaltern zusammen - und auch Privatbanken nutzen Fonds intensiver als noch vor 20 Jahren. Die Rolle des Private Bankers hat sich infolge anspruchsvoller werdenden Regularien und Compliance-Anforderungen dabei erheblich gewandelt. Die Asset-Management-Industrie - also Asset Manager, Banken und IFAs - hat eine wahre Achterbahnfahrt hinter sich mit mehreren Finanzkrisen, bei denen viele Investoren Geld verloren haben.
… und viel Vertrauen bei den Anlegern verspielt haben…
Richtig - und dieses Vertrauen muss wieder erlangt werden. Oder sagen wir präziser: Es muss verdient werden! Zum Beispiel mit echten Lösungen. Wir wissen, dass es im Kern um drei wichtige Bedürfnisse der Anleger geht: den Kapitalaufbau - vor allem mit Blick auf die Altersvorsorge -, die Erwirtschaftung stabiler Erträge, um ein regelmässiges Einkommen zu sichern, und die Nutzung von Marktopportunitäten. Dazu muss die Beziehungen zwischen der Asset-Management-Industrie, den Beratern und den Kunden enger gestaltet werden. Manchmal wird gesagt, dass wir weniger Vertrieb brauchen - ich behaupte aber das Gegenteil: Wir brauchen mehr Nähe zum Kunden, schnelle und bedarfsgerechte Informationen und einen Top-Service. Aus unserer europäischen Perspektive sind drei Aspekte zentral: Erstens Fondsvertrieb in der jeweiligen Landessprache, zweitens die Berücksichtigung landesspezifischer Bedürfnisse und drittens die Berücksichtigung von Regulationsfragen.
Das bringt uns zum Stichwort Mifid II. Welche Veränderungen erwarten Sie?
Mifid II wird in Europa weder zeitgleich noch auf die gleiche Weise umgesetzt. Wesentliches Ziel des Regulators ist jedoch, die Beratungsqualität zu steigern und die Kosten für den Kunden zu reduzieren. Aus meiner Sicht werden diese Ziele allerdings auf längere Sicht - sagen wir rund die nächsten zehn Jahre - aus zwei Gründen nicht erreicht: Erstens haben die Kunden das Vertrauen in den gesamten Finanzsektor verloren. Und zweitens hat sich noch nicht flächendeckend die Erkenntnis durchgesetzt, dass gute Finanzberatung ihren Preis hat. Das heisst, Anleger werden für Beratung wahrscheinlich weniger zu zahlen bereit sein, als den Beratern durch die entfallenden Provisionen verloren geht, was zu einem erhöhten Margendruck führt.
Aber was wird uns Mifid II dann bringen?
Mifid II wird passiven Investments weiteren Schub verleihen. Wenn die Provisionen entfallen, werden die Berater auf die rentabelste und günstigste Lösung zugreifen. Das heisst, der Druck auf die Margen wird wachsen - sowohl in der Asset-Management-Industrie als auch beim Berater. Wenn der Preis für die Beratung sichtbar ist, wird dies auch das reine Ausführen von Orders (Execution only) antreiben. Bei aktiv gemanagten Fonds wird zudem die Fähigkeit des Managers, Alpha zu generieren, an Bedeutung gewinnen. Und last but not least wird der Unterschied zwischen Produkten und Lösungen trennschärfer werden: Entweder kann ein Fonds als Baustein für eine Anlagelösung eingesetzt werden oder das Produkt selbst ist die Lösung.
Aus Kundenperspektive werden der Wunsch nach Kapitalaufbau sowie -erhalt wichtiger werden. Absolute-Return-Produkte werden dabei eine wichtige Rolle spielen. Zudem rücken Aspekte wie Transparenz und einfache, klare Anlagelösungen in den Fokus. Die entscheidende Frage lautet nur, wer für dieses Bedürfnis im Markt am besten positioniert ist: Der Asset Manager, der Berater oder Abwicklungsplattformen?
Heute werden in Europa 35’000 bis 40’000 Fonds angeboten. Wird sich hieran etwas ändern?
Die Produktflut ist ein wahrer Overkill und viele der Fonds braucht kein Mensch! Daher rechne ich mit einer Konsolidierung bei den Produkten und übrigens auch bei den Fondsgesellschaften. Amundi ist als Zusammenschluss der Asset-Management-Einheiten von Crédit Agricole und Société Générale genau genommen auch das Resultat der Konsolidierung. Heute, fünf Jahre nach dem Zusammenschluss, ist Amundi deutlich stärker als zuvor.
Welche wichtigen Weichenstellungen muss ein Asset Manager vornehmen, um für die Zukunft gerüstet zu sein?
Asset Manager müssen vor allem bei Technologieinvestitionen nachholen. Die Beratung wird künftig immer stärker digital geprägt sein - nicht zuletzt infolge von Filialschliessungen. Antriebskräfte hierfür sind auch die neuen Regularien. Asset Manager sind immer mehr gefordert, dem Anleger aktuelle und aussagekräftige Informationen zur Verfügung zu stellen. Angefangen von Informationen zu den Positionen im Portfolio, über Kapitalmarkteinschätzungen, Anlagevorschlägen und Webinaren bis hin zu neuartigen Online-Tools. Bei Amundi haben wir bereits in verschiedenen Ländern Erfahrungen mit solchen Tools für Berater oder Anleger selbst gesammelt. Hier wird sich in Zukunft einiges tun.
Christian Pellis ist seit 2013 bei Amundi als Global Head of External Distribution tätig und kann auf eine mehr als 20-jährige Erfahrung im europäischen Fondsvertrieb blicken. Zuvor war er als Head of Distribution und Member des Executive Boards bei der LGT Capital Management aktiv. Den Grossteil seiner Karriere verbrachte Christian Pellis bei Threadneedle Investments - zunächst als Regional Sales Director für Europe in Frankfurt und anschliessend als Head of European Distribution in London, wo er für den Aufbau des institutionellen und des Wholesale-Geschäfts in Europa und Lateinamerika verantwortlich war.