Bei Asset Managern kommt nach einer Krise die Zeit des Grossreinemachens

10.07.2020
Herr Masarwah, das erste Halbjahr ist vorüber. Zum Glück sagen viele. Sie auch?
Oh ja, ich freue mich, dass wir hier in Europa wieder langsam zur Normalität zurückkehren. Wobei ich dazu sagen muss, dass wir nicht zu laut jammern sollten - die Corona-Pandemie hat uns hier in der Schweiz / Deutschland längst nicht so schwer getroffen wie in anderen Ländern, etwa wie in Spanien, Italien, geschweige denn in den USA, wo meine Kollegen in Chicago auf unbestimmte Zeit im Home Office unter unsicheren Bedingungen ausharren müssen, weil dort die erste Infektionswelle anscheinend umstandslos in die zweite übergeht. Da sind wir auf der Insel der Glückseligen!
Machen Sie Witze? Die Wirtschaft ist schwer getroffen, und die Luft an den Märkten ist doch extrem dünn!
Ich wirke vielleicht nicht immer so, aber ich bin prinzipiell optimistisch, was die Adaptionsfähigkeit von Menschen anbelangt und ihrer Fähigkeit, zu vergessen und zu verdrängen. Auch wenn die Lage der Wirtschaft heute nicht gut ist, so spricht meines Erachtens viel dafür, dass die Erholung der Konjunktur in Europa im dritten Quartal an Fahrt aufnehmen wird, auch getragen vom steigenden Konsum, der wiederum angetrieben wird von der Sehnsucht der Menschen nach Normalität. Vielleicht sind ja die Aktienbewertungen doch nicht abstrus hoch?
Wenn Sie in ein paar Jahren zurückblicken, an was werden Sie sich am meisten erinnern?
An die grosse Verunsicherung vieler Anleger, ja die Panik einzelner, als es im März kein Halten mehr gab an den Märkten. Das war Angst pur, das habe ich so das letzte Mal im Herbst 2008 erlebt und davor im Herbst 2001, als tageweise die Welt aus den Angeln gehoben zu sein schien. Prägend war in diesem Jahr die Erkenntnis, dass absolut identische Investorentypen vollkommen konträre Verhaltensweisen an den Tag legen können. Darf ich das etwas ausführen?
Bitte!
Ein Bekannter von mir, der sonst das Risiko nicht scheut, arbeitet als Vermögensverwalter. Der hat das Risiko aus den Depots der Kunden einigermassen rechtzeitig rausgenommen Anfang März. Ich dagegen habe, in meiner Eigenschaft als Morningstar Analyst, der Langfristinvestoren anspricht, genau das Gegenteil getan: Ich habe lautstark propagiert, dass im Einkauf der Gewinn liegt und Anleger daher zugreifen müssten, wenn die Kurse am Boden sind und es so richtig weh tut. Und jetzt raten Sie mal, wie ich mich als Investor verhalten habe und wie mein Bruder im Geiste?
Sie haben investiert, und er nicht?
Richtig! Ich war in meiner Rolle, in meinem Frame, gefangen, er in seinem, und das, so würde ich behaupten, ist typisch für uns: Wir Menschen sind als Anleger in unseren sozialen und beruflichen Sozialzusammenhängen gefangen, und das konditioniert unsere Verhaltensweisen. Das Sein bestimmt das Bewusstsein, da hatte ein weiser Mann aus Urzeiten einmal Recht. Oder, etwas moderner: «Put your money where your mouth is» - der Spruch ist weniger präskriptiv zu verstehen, sondern vielmehr als eine realistische Umschreibung menschlicher Verhaltensweisen.
Aktive Fondsgesellschaften sagen gerne, in Krisen wären ihre Vorteile versus passiven Produkten besonders gross. Konnten aktive Fondsmanager im Grossen und Ganzen überzeugen, konnten sie die Referenzindizes schlagen?
Oje, ich hatte gehofft, Sie würden das nicht fragen. Natürlich nicht! Das ist ein Ammenmärchen, und ich denke, dass die meisten Investoren es als solches durchschaut haben. Ich schere zwar ungern alles über einen Kamm, aber wenn Sie nach dem Grossen und Ganzen fragen, dann gilt im Aufschwung dasselbe Gesetz wie im Abschwung: Im Mittel erzielen Fonds die Rendite des Marktes, auf dem sie aggieren, aber dann muss man ja noch die Kosten abziehen. Deshalb fällt die Durchschnitts-Rendite von Fonds zwangsläufig schlechter aus als die des Marktes, egal, ob sie aktiv investieren oder ob es Indexfonds sind. Der Grad der Underperformance richtet sich an den Kosten, die das Investment kostet. Das gilt auf dem Weg nach oben wie auf dem Weg nach unten. Ich würde sogar weiter gehen und die These aufstellen, dass das Gegenteil der Fall war: Indexfonds hatten absolut keine Probleme im ersten Halbjahr: Sie sind planmässig nach unten gerauscht und dann planmässig nach oben zurückgeschnellt. Sie sind nun mal ihren Indizes gefolgt. Einige aktive Manager haben dagegen nach unten etliches mitgenommen, haben dann kalte Füsse bekommen und standen zu lange an der Seitenlinie, derweil ihnen die Märkte enteilt sind. Im Gegensatz zu früheren Zeiten haben das viele Anleger bewusst mitbekommen, und die pushen jetzt Indexfonds zu neuen Höhen.
Was passiert mit den Hunderten von kleinen Fonds, deren Kurse absackten? Kommen die jemals wieder zurück ins Spiel?
Da sieht es nicht gut aus. Natürlich gibt es kleine Fonds, die auf engen, ineffizienten Märkten agieren, wo ein kleines Volumen geradezu eine Notwendigkeit ist, um eine Outperformance zu erzielen. Das sind oft die Fonds von kleinen, spezialisierten Asset Managern. Um die mache ich mir keine Sorgen. Aber Ihre Skepsis ist absolut berechtigt; gerade bei grossen Asset Managern kommt nach einer Kapitalmarktkrise die Zeit des Grossreinemachens, und dann wird geholzt, bis der Arzt kommt. Nicht zuletzt deswegen haben grosse Häuser oft hohe Sterblichkeitsraten bei Fonds; das fördert aber nicht das Vertrauen der Anleger. Ist ja auch ärgerlich: Da hält man durch in der Krise und gratuliert sich zu seinem Mut, und dann wird der Fonds, an dem man festgehalten hat, liquidiert. Aber vielleicht kommt es dieses Mal anders; ich bin zwar diesbezüglich skeptisch, lasse mich aber gerne eines Besseren belehren.
Welche beruflichen Wünsche haben Sie für den Rest des Jahres?
Mehr Büroschlaf wagen! Im Ernst: Ich bin jetzt erst mal ziemlich ausgepowert; das Halbjahr war ziemlich intensiv und fordernd, und ich freue mich jetzt erst mal auf zwei Wochen Urlaub. Ansonsten freue ich mich auf eine stärkere Normalisierung des Alltags im zweiten Halbjahr und hoffe, dass wir vernünftig genug sind, eine zweite Corona-Welle im Herbst zu vermeiden. Auch wenn der Krisenmodus für Analysten und Journalisten zweifellos eine wahnsinnig spannende Zeit ist, habe ich erst einmal Lust auf Normalität.
Link zum Disclaimer
Ali Masarwah ist Mitglied im europäischen Research-Team von Morningstar und als Chefredaktor für die deutschsprachigen Websites von Morningstar verantwortlich. Seit Juni 2015 ist er zudem als Direktor für das Editorial Team von Morningstar EMEA zuständig. Nach seinem Volontariat bei der Wirtschaftsnachrichtenagentur ADX in Berlin fand er recht zügig den Zugang zum Thema Investmentfonds. Im Jahr 2000 wurde er Mitglied der Fondsredaktion bei der Nachrichtenagentur vwd, die er von 2001 bis 2003 leitete. 2003 wechselte Ali Masarwah zur portfolio Verlagsgesellschaft, Frankfurt, wo er zunächst als Chefredaktor das Magazin «portfolio international» übernahm. Von 2006 bis zu seinem Wechsel zu Morningstar im Herbst 2011 hatte er zusätzlich als Redaktionsleiter die journalistische Verantwortung für alle Magazine und Websites des Verlags inne.