«Big Tech» ist derzeit so attraktiv wie lange nicht

27.02.2023
Herr Fischer, 2022 war in der jüngsten Vergangenheit sicher eines der schwierigsten Jahre an den Kapitalmärkten. Wie sind Sie damit umgegangen?
Ja, das Jahr hatte einige Überraschungen parat, mit denen so anfangs wohl niemand gerechnet hatte. Wir sind vorsichtig in das Jahr gestartet, da uns die möglicherweise ansteigenden Zinsen skeptisch gemacht haben. Diese defensive Positionierung mit einer Nettoaktienquote von rund 41 Prozent hat sich dann ausgezahlt: Als der russische Krieg gegen die Ukraine begann, konnten wir unsere Volatilität insgesamt niedrig halten. Wir haben die Nettoaktienquote dann im Jahresverlauf sukzessive wieder erhöht, waren aber weiterhin vorsichtig und haben immer wieder abgesichert und den Fuss vom Gas genommen. Die Gemengelage aus gestiegenen Zinsen und einer drohenden Rezession gibt wenig Anlass zu Euphorie - auch wenn die Märkte das zum Jahreswechsel anders gesehen haben.
Wie bewerten Sie die Rally der ersten Januarwochen?
An den Märkten wurde eine wirtschaftliche Erholung Chinas nach Corona und ein Rückgang der Inflation gespielt, was zu tendenziell sinkenden Zinsen führen sollte. Nun macht sich wieder etwas Ernüchterung breit, denn vielleicht bleiben die Zinsen länger hoch als ursprünglich von vielen Marktteilnehmern erwartet. Ich glaube, dieses Wechselbad der Gefühle wird uns in diesem Jahr noch etwas begleiten.
Die Rally war ja auch ein Aufatmen nach einem schlechten Jahr 2022 für Anleihen und für Aktien. Vor allem die lange heiss geliebten Technologieaktien wurden abgestraft. Ist «Big Tech» damit am Ende? Sie haben ja auch einige Titel im Portfolio…
«Big Tech»-Titel wie Alphabet, Amazon, Meta oder Microsoft sind in 2022 dramatisch eingebrochen - eine Meta-Aktie hat zum Beispiel rund zwei Drittel ihres Wertes verloren. Ist damit die Story «Big Tech» zu Ende? Nein. In der Zeit des billigen Geldes haben die Unternehmen stark investiert, in Personal aber auch in andere Unternehmen. Die Kostendisziplin war schlecht. Es wurde alles gekauft, egal zu welchem Preis. Aber das ändert sich gerade. Der hohe Stellenabbau ist immer noch niedrig, verglichen mit der Anzahl der Mitarbeitenden, die eingestellt wurden. Und die Zukäufe helfen den Unternehmen, weiter zu wachsen. Da war 2022 viel Panik und Angst im Spiel - aber so etwas nutzen wir, um «wunderbare» Unternehmen zu kaufen.
Sie sind also weiterhin von Namen wie Meta oder Microsoft überzeugt?
Ja, denn die Unternehmen erfüllen die Anforderungen, die wir an ein «wunderbares» Unternehmen haben: sie haben einen tiefen wirtschaftlichen Burggraben, haben meist Management mit signifikant eigenem Geld im Feuer, generieren einen hohen Cashflow und haben Wachstumspotenzial. Eine bessere Kostendisziplin auf der einen Seite und neue Technologien auf der anderen Seite sprechen klar dafür. ChatGPT ist das Tool der Stunde - Microsoft ist am Mutterkonzern OpenAI beteiligt. Das sind die Ertragsperlen von morgen.
Vielfach heisst es, die hohen Zinsen verändern die Regeln an den Märkten dauerhaft. Sehen Sie das genauso?
Selbst wenn die Inflation wieder ein Stück zurückkommt, haben festverzinsliche Anlagen immer noch eine negative Realrendite und sind somit keine Alternative zu Aktien. Inflation bedeutet steigende Preise, wovon wiederum Aktien mit Preissetzungsmacht profitieren. Und in solche Geschäftsmodelle investieren wir für unsere Anleger.
Was heisst das für Ihren Investmentansatz?
Das Marktumfeld kommt uns entgegen. Denn wir suchen familien- oder eigentümergeführte Unternehmen mit einem tiefen Burggraben, der sich durch strukturelle Wettbewerbsvorteile und Preissetzungsmacht auszeichnet. Unsere «wunderbaren Unternehmen» haben eine hohe interne Verzinsung, eine gesunde Bilanz mit einer Verschuldung, die dem Geschäftsmodell angemessen ist und benötigen für ihr organisches Wachstum wenig bis gar kein Kapital. Damit sind sie für ein Umfeld, in dem Kapital wieder einen Preis hat, gut aufgestellt.
Sie haben an Ihrem Investmentansatz in den letzten Jahren ziemlich konsequent festgehalten, obwohl der Markt nicht immer für «Value» lief?
Wir sind Stockpicker und wir betreiben «Value Investing» und nutzen dafür einen «Modern Value-Ansatz».
Dabei wählen wir Aktien aus, die attraktive risikoadjustierte Wertsteigerungen über volle Marktzyklen liefern. Um diese «wunderbaren» Firmen zu finden, setzen wir nicht primär auf die klassische Lehrbuchdefinition des «Value Investing» nach Benjamin Graham, sondern haben über Jahrzehnte einen eigenen Ansatz entwickelt. Entscheidend ist nicht so sehr, was eine Aktie kostet, sondern, was ich als Investor dafür bekomme.
… und das Stockpicking?
Mit der Aktienauswahl nutzen wir jetzt gezielt die Volatilität an den Märkten und die Tatsache, dass einige Unternehmen ungeachtet ihrer guten Fundamentaldaten abgestraft wurden. So gibt es beispielsweise Firmen, die unter der gestiegenen Inflation leiden und andere, die davon profitieren, weil sie Preise erhöhen können. Und solche Titel wählen wir gezielt aus.
Was ist aktuell Ihre Lieblingsaktie und warum?
Zu unseren Dauerfavoriten zählt secunet. Das ist eine Aktie, die wir seit Auflegung des «Frankfurter Aktienfonds für Stiftungen» im Portfolio haben. secunet ist das führende deutsche Unternehmen im Cybersecurity-Bereich. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine verzeichnen deutsche Unternehmen und öffentliche Einrichtungen ja verstärkte Hacker-Angriffe von dort, das Thema ist also brandaktuell und secunet ist hier bestens positioniert. Zu den Kunden zählen unter anderem die deutsche Bunderegierung oder auch die Bundeswehr. secunet generiert rund 80 Prozent seiner Umsätze mit diesen Aufträgen aus dem öffentlichen Bereich und dort wächst der Bedarf weiter. Das Unternehmen erfüllt unsere Kriterien eines «wunderbaren Unternehmens»: verlässliche Umsätze, eine starke Marktstellung sowie ein Management, das am Unternehmen beteiligt ist, also «Skin in the Game» hat. Das sind die Unternehmen, nach denen wir suchen.
Link zum Disclaimer
Frank Fischer ist Chief Executive Officer (CEO) und Chief Investment Officer (CIO) der Shareholder Value Management AG sowie Berater des «Frankfurter Aktienfonds für Stiftungen». Der 58-jährige ist überzeugter Value-Investor.