Biotechnologie - mit Schwung ins neue Jahr

09.12.2015
Frau Haueter, im Biotech-Sektor liest man von Tumor-bekämpfenden Viren und Gentherapien. Ist das nur Science-Fiction oder gibt es dazu tatsächlich schon positive Ergebnisse zu berichten?
Das sind nur zwei der vielen Ergebnisse des biotechnologischen und molekularbiologischen Fortschritts in den letzten Jahren und die ersten Therapien dieser Klassen wurden bereits zugelassen. Im Oktober bekam Amgen die US-Zulassung für seinen «onkolytischen» - also Tumorzellen-auflösenden - Virus. Dabei handelt es sich um einen modifizierten Herpes-Virus, der in den Tumor gespritzt wird und dort das Immunsystem rekrutiert, um den Tumor zu bekämpfen. Die Therapie kann somit als Immuntherapie klassifiziert werden und gehört damit zum momentan heissesten Feld in der Onkologie.
Mit Glybera von Uniqures ist in Europa nun auch die erste Gentherapie für eine Krankheit namens «Hyperchylomikonämie Typ 1» auf dem Markt. Dabei handelt es sich keinesfalls um ein Monster aus der griechischen Mythologie, sondern um eine vererbliche seltene Erkrankung, bei der Patienten gefährlich hohe Blutfette haben.
Diese Therapie hat einen stolzen Preis von mehr als 1 Mio. US-Dollar pro Patient. Ist das gerechtfertigt?
Der Preis von Glybera wirkt abschreckend, aber dabei handelt es sich um eine einmalige Behandlung. Andere seltene Erkrankungen benötigen chronische Therapie mit Kosten von teilweise über 300‘000 US-Dollar pro Patient pro Jahr. Solche Preise werden vom System gebilligt, da die Konditionen so wenige Patienten betreffen, dass die Gesamtausgaben für seltene Krankheiten beim Gesundheitssystem nicht gross ins Gewicht fallen. Vielmehr ist klar, dass Medikamentenpreise die Kosten für Innovation genügend decken müssen. Allerdings gibt es überall Firmen, welche dieses System ausnutzen. Ein solches Beispiel hat sich mit der Firma Turing Pharmaceuticals abgespielt, welche den Preis eines alten Medikaments über Nacht um 5‘000 Prozent angehoben hat, was zur Folge hatte, dass sich die Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton auf Twitter gegen solchen Preiswucher äusserte. Dies sorgte für allgemeine Turbulenz im Biotechnologie-Markt. Eine Verknüpfung des Preises mit dem medizinischem Nutzen ist denkbar und wird in einigen europäischen Ländern bereits praktiziert. Die Umsetzung solcher Systeme in den USA dürfte aber noch auf sich warten lassen, da dies mit Gesetzesänderungen einhergehen müsste, was sich in der Vergangenheit als schwierig erwiesen hat. Dass die Investition in Innovation in den Vereinigten Staaten nach wie vor ein wichtiges Thema ist, zeigt auch der 21st Cure Act Entwurf, welcher die Zulassung von dringend benötigten Therapien weiter vereinfachen soll.
Die letzten Jahre im Biotech-Sektor waren geprägt durch das Thema Hepatitis C. Welche Schwerpunkte erwarten Sie für 2016?
Hepatitis C ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Biotech-Unternehmen durch Innovation einen riesigen Markt schaffen können. Die nächste grosse Bewegung, welche schon im vollen Gange ist, stellt die Immun-Krebstherapie dar. Die erste grosse Medikamentenklasse und das Rückgrat der Immunonkologie sind die PD-1 und PD-L1 Hemmer, die aus den Labors der Pharmabranche kommen. Analysten schätzen den Markt für diese Klasse allein auf über 30 Mrd. US-Dollar. Dabei sind die Ansprechraten der Patienten bei 20 bis 30 Prozent noch nicht überwältigend. Mit Kombinationstherapien können diese jedoch erhöht werden, sind allerdings mit relativ schweren Nebeneffekten belastet. Die Suche nach der 2. Welle an Immuntherapien ist entsprechend intensiv. Sehr vielversprechend sehen erste Kombo-Daten von Incyte’s IDO1 Hemmer mit PD1 aus. Ein weiteres, schnell wachsendes Gebiet der Immun-Krebstherapie sind die zellbasierten Therapien, wo T-Zellen geradezu auf den Tumor abgerichtet werden.
Gerade mit seinem Erfolg im Hepatitis C Bereich hat sich Gilead ein Luxusproblem geschaffen: Wie kann das Unternehmen sein Umsatzwachstum zukünftig auf einem solch hohen Niveau halten?
Das Managementteam hat in der Vergangenheit bewiesen, dass es strategisch kluge Übernahmen tätigt. Entsprechend wird in der nächsten Zeit eine grössere Akquisition erwartet, welche beispielsweise Gileads Onkologie-Franchise oder auch Leber-Franchise erweitern könnte. Dies betrifft auch andere Unternehmen: Biogen musste dieses Jahr bereits seine Wachstumserwartungen zurückstufen und ist ebenfalls auf eine Akquisition angewiesen, falls die Pipelineprodukte, welche ein relativ hohes Entwicklungsrisiko tragen, nicht aufgehen. Celgene wiederum hat dieses Jahr mit der Übernahme von Receptos bewiesen, dass es dem Unternehmen mit seiner Sparte in den entzündlichen Erkrankungen ernst ist. Weitere Deals sind durchaus denkbar und das Unternehmen hat eine sehr starke Cash-Basis. Auch bei Amgen ist ein Deal it einer potenziellen Höhe von 10 Mrd. US-Dollar nicht ausgeschlossen. Zahlreiche grosse Deals wurden dieses Jahr angekündigt, sehr wenige gingen allerdings durch. Viel Aktivität war im Specialty-Pharma-Bereich zu verzeichnen, aber mit Pharmacyclics, Synageva, Receptos und Dyax wurden aber auch einige grössere Biotechs gekauft. Big Pharma bleibt ebenfalls am Verhandlungstisch: Laut Bloomberg sollen Roche und Johnson & Johnson zusammen über 70 Mrd. US-Dollar für M&A einsetzbare Mittel auf der Seite haben. Falls der angekündigte Merger von Pfizer und Allergan das grüne Licht erhält, hätten wir es dort sogar mit einer Transaktion von 160 Mrd. US-Dollar zu tun.
Was dürfen Investoren an weiterem Newsflow aus dem Sektor erwarten?
Klinische Daten und Zulassungen bleiben die Haupt-Kurstreiber für den Biotechsektor und wir rechnen in den nächsten zwölf Monaten mit zahlreichen Zulassung von unter anderem Actelion, Neurocrine, Intercept und Regeneron, um nur einige zu nennen. Mit immer mehr reifen, breiter aufgestellten Unternehmen lässt sich leicht vergessen, dass ein Grossteil der Unternehmen doch noch relativ binäre Bewegungen machen können wie die Beispiele Clovis und Tetraphase dieses Jahr gezeigt haben. Ein gut aufgestelltes, diversifiziertes Portfolio ermöglicht somit die Investition in den spannenden, wachstumsstarken Biotech-Sektor mit einem stark herabgesetzten Risiko.
Lydia Haueter ist 2011 zu Bellevue Asset Management gestossen und arbeitet als Research Analyst/Portfoliomanager für die Beteiligungsgesellschaft BB Biotech AG. Sie hat an der ETH Zürich studiert und 2011 in der Fachrichtung Systembiologie mit Auszeichnung abgeschlossen.