«Biotechsektor: Anhaltender positiver Nachrichtenfluss»

Head Investment Management Team BB Biotech bei Bellevue Asset Management
BB Biotech AG, Schaffhausen
bbbiotech.ch
24.10.2022
Herr Dr. Koller, der Biotechnologiesektor gilt als Innovationslabor für die Medikamentenentwicklung. Zugleich zeigen die teilweise deutlichen Kursverluste in diesem Jahr, dass sich die Branche den globalen Marktentwicklungen nicht entziehen kann. Woran liegt es?
Die Gründe dafür sind weniger inhaltlich-fundamentaler Natur, sondern dem börsentechnischen Verhalten geschuldet. Das gilt vor allem für die Aktien von Biotechfirmen aus dem Mid-Cap-Bereich, die bereits profitabel sind und ein klares Wachstumspotenzial haben, aber zusammen mit den Aktien der kleineren Firmen abgestraft wurden. Diese kleineren Firmen entwickeln eine kapitalintensive Pipeline und für diese Unternehmen werden die Gewinne der Zukunft bei steigenden Zinsen, wie wir sie gerade sehen, aufgrund der höheren Diskontierungssätze nun weniger hoch bewertet. Dieser Bewertungsabschlag strahlt jedoch unfairerweise auf die gesamte Branche aus.
Erwarten Sie hier eine Trendwende?
Im abgelaufenen 3. Quartal führten die kontinuierlich hohe Inflation, die damit einhergehenden Zinsanhebungen der Zentralbanken und die Ankündigung weiterer Zinsschritte zu einem Anstieg der Anleiherenditen, zu Verwerfungen der Wechselkurse und zu weiteren Korrekturen an den Aktienmärkten. Wir sind aber davon überzeugt, dass die Märkte bald wieder den Blick auf die fundamentale Verfassung der Branche richten.
Was macht Sie so zuversichtlich?
Der anhaltende positive Nachrichtenfluss. In diesem Jahr gilt das insbesondere für die Krebsmedizin, die seltenen genetisch bedingten Erkrankungen und die Nervenerkrankungen. Zum Jahresende erwarten den ersten grossen Durchbruch in der Genom-Editierung, also dem Herausschneiden von fehlerhaften Sequenzen bei einem Gendefekt und deren Ersatz mit dem korrekten genetischen Bauplan. Vertex Pharma uns CRISPR Therapeutics, zwei unserer Portfoliofirmen, werden als erste Gesellschaften überhaupt Zulassungsdaten und einen Zulassungsantrag für die Behandlung gegen Sichelzellenanämie und Beta-Thalassämie einreichen. Gegen diese zwei seltene Bluterkrankungen gibt es bislang keine adäquaten Behandlungsoptionen.
Im Beteiligungsportfolio überwiegen US-amerikanische Firmen. Warum diese eindeutige geografische Ausrichtung?
Europa und auch Asien haben in den letzten Jahren bei der Entwicklung innovativer Arzneien aufgeholt. Trotzdem sind wir der Auffassung, dass sich der US-Markt durch eine ausserordentliche Innovationsstärke auszeichnet. Begünstigt wird diese Tatsache durch global führende Forschungsstandorte, industriefreundliche regulatorische Rahmenbedingungen sowie vielfältige Finanzierungsmöglichkeiten. Diese Standortvorteile reflektieren sich entsprechend in unserem Portfolio.
Was im Umkehrschluss aber auch bedeutet, dass Sie die politische Diskussion in den USA um die Senkung von Medikamentenpreisen immer im Auge behalten.
Die Neugestaltung der Medikamentenpreise, wie sie durch den Mitte August im US-Kongress verabschiedeten Inflation Reduction Act (IRA) gesetzlich festgelegt wurde, soll vor allem dazu beitragen, Lücken bei der Gesundheitsversorgung zu schliessen. Zugleich soll sie die Eigenbeteiligung der Patienten an den Kosten vollständig auf die Krankenversicherer und Hersteller verlagern vor dem Hintergrund, dass die Anhebung der Versicherungsprämien bis 2030 auf jährlich maximal 6 Prozent beschränkt wird. Zwar sieht der IRA vor, dass die Zahl die für Preisverhandlungen in Frage kommenden Pharmazeutika jährlich steigen soll. Die Preise zahlreicher Arzneimittelkategorien sind jedoch nicht verhandelbar, beispielsweise Medikamente für seltene Krankheiten. Weil der Fokus unserer Portfoliofirmen auf Indikationen mit hohem medizinischem Bedarf liegt, sehen wir diese von Preisdeckelungen für Arzneien kaum betroffen.
Welche Entwicklungen erwarten Sie in naher Zukunft?
Aufgrund des zu erwartenden Nachrichtenflusses bei klinischen Studien und möglichen Produktzulassungen könnte sich die Tendenz des 3. Quartals fortsetzen, dass Mid Caps von der Aktienperformance besser abschneiden als Large Caps. Zugleich begünstigen die anhaltend tiefen Unternehmensbewertungen Übernahmeofferten von Seiten der Pharma- und grossen Biotechkonzerne, wie sie bereits im Jahresverlauf wieder zugenommen haben.
Link zum Disclaimer
Dr. Daniel Koller kam 2004 zu Bellevue Asset Management und ist seit 2010 Head Investment Management Team BB Biotech. Von 2001 bis 2004 war er als Investment Manager bei equity4life Asset Management AG und von 2000 bis 2001 als Aktienanalyst bei UBS Warburg tätig. Er absolvierte ein Studium in Biochemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich und promovierte in Biotechnologie an der ETH und bei Cytos Biotechnology AG, Zürich.