Biotechsektor - Unterschätzte Newcomer

21.04.2022
Herr Dr. Koller, wie steht es um den Biotechsektor zurzeit?
Für viele Investoren ist Biotech zurzeit nicht besonders attraktiv. Der Nasdaq Biotechnology Index, der wichtigste Börsenindex des Sektors, hat in den letzten zwölf Monaten rund 15 Prozent an Wert verloren. Während Branchenschwergewichte wie Moderna oder Regeneron vereinzelt kräftige Kursgewinne verzeichneten, verloren die meisten klein- und mittelkapitalisierten Biotechs überdurchschnittlich. Ausschlaggebend für den aktuellen Abwärtstrend ist jedoch aufgrund der steigenden Inflation vor allem die Sektorrotation, weg von Growth hinzu Value. Dies hat den Biotechsektor undifferenziert getroffen. Biotechfirmen, die noch ohne Umsätze mit einem zugelassenen Produkt ihre Entwicklungspipeline finanzieren müssen, werden besonders abgestraft. Angesichts der steigenden Zinsen werden künftige Gewinne wegen der mit den steigenden Zinsen einhergehenden höheren Diskontierungssätzen von Analysten weniger hoch bewertet. Zahlreiche Small und Mid Caps sind jedoch mittel- bis langfristig gut durchfinanziert und finanziell weitaus besser ausgestattet als in der Vergangenheit.
Bedeutet das, dass man ein besonderes Augenmerk auf Small und Mid Caps richten sollte?
In fundamentaler Hinsicht könnten kleine und mittelgrosse Biotechs von einer Markterholung bei Biotechaktien überproportional profitieren. 65 Prozent aller Wirkstoffe, die sich 2021 weltweit in der klinischen Entwicklung befanden, wurden nach einer Studie des IQVIA Institute für Human Data Science von Biotechfirmen durchgeführt, die weniger als 500 Mio. US-Dollar Jahresumsatz hatten und jährlich weniger als 200 Mio. US-Dollar in ihre Forschungs- und Entwicklungsausgaben investierten. Wie deutlich diese Biotechs gereift sind, zeigt eine andere Zahl der Studie: für 76 Prozent ihrer entwickelten Produkte stellten die Unternehmen 2021 eigene Zulassungsanträge. Das ist ein klares Indiz für die gestiegene finanzielle Unabhängigkeit, welche die Unternehmen in eine vorteilhafte Lage versetzt, ihre Produkte ohne Partner in Eigenregie zu vermarkten und damit über ein höheres Gewinnpotenzial zu verfügen.
Die Pipeline ist also gut gefüllt?
Die Small und Mid Caps unter den Biotechs können das Kommerzialisierungspotenzial immer besser abschöpfen, weil sie bei Therapien der neuesten Generation häufig zu den Pionieren zählen. An erster Stelle zu nennen sind hier die Zell- und Gentherapien, das Gene Editing und die mRNA-Technologie, die mit den Impfstoffen gegen Covid-19 von Moderna und BioNTech den grossen Durchbruch geschafft haben. Rund 800 klinische Wirkstoffe sind aktuell solchen neuartigen Ansätzen zuzuordnen. In fundamentaler Hinsicht sind kleine und mittelgrosse Biotechs folglich sehr gut aufgestellt. Der entsprechende kurstreibende Nachrichtenfluss ist vorhanden, denn in diesem Jahr wird vor allem in der Krebsmedizin, der Neurologie und den seltenen genetisch bedingten Erkrankungen eine Vielzahl von klinischen Studienergebnisse und Zulassungsentscheidungen erwartet.
Sie meinten zu Beginn, dass der Biotechsektor im Moment nicht gerade hoch im Kurs ist bei Investoren. Mit diesen innovativen Produktpipelines könnte sich dies jedoch ändern?
Mit der wachsenden Zahl an Erfolgsmeldungen sollten wieder mehr Investoren dem Sektor Aufmerksamkeit schenken. Das Stimmungsbild dreht sich langsam bereits wieder zugunsten des Biotechsektors als Ganzes. Der jüngsten Umfrage von RBC Capital Markets zufolge erwarten 66 Prozent der befragten Investoren eine Biotech-Outperformance in diesem Jahr. Waren es in der zweiten Jahreshälfte 2021 noch 49 Prozent, die Biotechs als unterbewertet einschätzten, sind es jetzt 64 Prozent. Zugleich beabsichtigen 58 Prozent der Befragten, ihr Exposure in Biotech zu erhöhen.
Link zum Disclaimer
Dr. Daniel Koller kam 2004 zu Bellevue Asset Management und ist seit 2010 Head Investment Management Team der BB Biotech AG. Von 2001 bis 2004 war er als Investment Manager bei equity4life Asset Management AG und von 2000 bis 2001 als Aktienanalyst bei UBS Warburg tätig. Er absolvierte ein Studium in Biochemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich und promovierte in Biotechnologie an der ETH und bei Cytos Biotechnology AG, Zürich.