Butter oder Kanonen

05.06.2020
Herr Marti, Sie sind ein exzellenter Kenner der Rohstoffmärkte. Was geht Ihnen im Moment ganz spontan durch den Kopf?
Die ersten Stunden VWL, von der Butter und den Kanonen. Wenn man nur noch in die Fertigung von Kanonen investiert, gibt es bald zu wenig Butter. Noch nie wurde der Preis von Geld so manipuliert wie heutzutage, dies auf globaler Ebene. Zwangsläufig ergibt sich daraus die grösste Fehlallokation von Ressourcen. In unserem Sektor sind die Investitionen seit 2011 kollabiert und Corona hat es nun noch deutlich verschärft. So als Regel muss man im Bergbau jährlich 3 bis 4 Prozent der Produktion ersetzen, da eine Mine/ein Ölfeld irgendwann leer ist. Die Grössenordnung bedeutet, dass man alle drei Jahre ein neues Saudi Arabien in Produktion bringen muss. Das ist in etwa so, wie wenn die Bauern aufhören, Kartoffeln anzupflanzen. Wenn man dann warnt, es könnte eine Knappheit geben, wird man zwei Wochen später ausgelacht, da es immer noch genug davon hat in den Regalen…
Welche Rohstoffe verfolgen Sie besonders eng?
Diejenigen, in dessen Produktion man auch investieren kann. Beispielsweise ist die Landwirtschaft grösstenteils in privaten Händen und kaum zugänglich über börsenkotierte Firmen. Viele Rohstoffe sind auch Nebenprodukte. Es gibt Bulk Commodities wie Eisenerz, Potash, Bauxite, etc. Ein wenig salopp kann man diese als grosse Kiesgruben bezeichnen. Es gibt faktisch keine einzige Silbermine auf der Welt. Silber kommt vor allem in zwei Verbindungen vor. Electrum ist eine natürliche Verbindung von Gold, Silber, Kupfer und anderen Metallen. Das andere ist Galena, Bleisulfid. Somit sind Silberminen praktisch immer Gold/Kupfer- oder Bleiminen. Je nach Erzgehalt und Rohstoffpreise können die Erlöse der Nebenprodukte bedeutend sein. Da der Investor wissen will, was die Produktionskosten für eine Tonne Kupfer ist, subtrahieren die Unternehmen die Erlöse der Nebenprodukte von den Kosten. Manchmal bekommen auch gewisse Firmen höhere Bewertungen an der Börse, wenn sie zum Beispiel «Goldminen» sind. Sie könnten es einfach auch umgekehrt machen, dann wären sie «Kupferminen». Schliesslich gibt es einfach einen Erlös für die Erze und eine Mine muss profitabel betrieben werden können (was schwierig genug ist). Diese Geschichten, weshalb die Nachfrage vom Metall X wegen Grund Y explodiert, ist Bauernfängerei von Explorationsfirmen, um Finanzierungen zu bekommen. Es wird da auch viel Schindluderei betrieben.
Gibt es auch solche, die Sie überhaupt nicht interessieren?
Nein, eigentlich nicht. Uns interessieren Rohstoffe, in dessen Produktion zu wenig investiert wurde. Dies ist die Basis für steigende Preise. Zum Beispiel wurde aufgrund des ganzen Batteriehypes zu viel in die Produktion von gewissen «Batteriemetallen» investiert. Viele Energiefirmen haben auch zu viel in Flüssigerdgas (LNG) investiert. Dies aufgrund dessen, dass konventionelle Ölprojekte sehr knapp und auch aus politischen Gründen nicht mehr zugänglich sind. Sibirien ist beispielsweise 50 Prozent grösser als die Volksrepublik China. Aber Russland ist nicht mehr auf westliche Firmen angewiesen und entwickelt seine Ressourcen selbst.
Wird der Ölpreis Ihrer Meinung nach jemals wieder über 100 US-Dollar stehen?
Das könnte schneller der Fall sein, als einem lieb ist. Die Ölproduktion wäre sowieso bald gesunken. Seit 2011 sind die Investitionen in konventionelle Förderung zusammengebrochen. Die letzten grossen Projekte sind jetzt in Produktion gegangen. Die amerikanische Schieferölproduktion ist innert knapp zehn Jahren auf 9 Mio. Fass pro Tag gestiegen. Da hat man praktisch ein neues Saudi-Arabien aus dem Boden gestampft. Leider war es nie nachhaltig profitabel. Das grösste Ölfeld der Welt ist Ghawar in Saudi-Arabien mit knapp 4 Mio. Fass pro Tag. Es ging 1951 in Produktion. Schieferöl ist nach 5 bis 7Jahren praktisch bei Null. Einfach erklärt, ist ein konventionelles Ölfeld das Abpumpen von einem unterirdischen flüssigen Reservoir. Schieferöl hingegen ist eine unterirdische Form von Bergbau. Ähnlich wie das Immobiliengeschäft ist die Ölindustrie sehr kapitalintensiv. Somit ist der grösste Kostenfaktor die Abschreibung der Förderanlage. Wenn man nur für 5 bis 7 Jahre produzieren kann, müsste man es auch über diesen Zeitraum abschreiben. Die amerikanische Ölproduktion wäre so oder so gesunken. Dank Corona verschärft sich das nun massiv. Mit den natürlichen Produktionsrückgängen und den Investitionsstopps/OPEC dürfte die Welt innert zwölf Monaten eine Ölförderung in der Grössenordnung von Saudi-Arabien (10 Prozent) verlieren.
Was empfehlen Sie konkret Goldenthusiasten?
Sie sollen ihren Enthusiasmus noch beibehalten. Das System ist nur noch mit exponentiellem Gelddrucken am Leben zu erhalten. Ereignisse wie Corona sind immer ein Grund, um einen Schritt weiterzugehen. Nun sind weltweit alle Dämme gebrochen. Fiskaldefizite explodieren, Notenbankbilanzen steigen exponentiell und es scheint auch keinen mehr gross zu kümmern. Jedenfalls gibt es null Widerstand dagegen. Das Gold gelangt immer in die Keller der Nettogläubiger. Dies ist auch geopolitisch so: Holland, Portugal, Grossbritannien, USA, etc.
Es ist ratsam, den Gläubigern zuzuhören. Schliesslich bestimmen diese, auch wenn die Schuldner lauter schreien. China schiebt über 3 Trillionen US-Dollar an Währungsreserven vor sich her, dies als Auswirkung der Handelsüberschüsse. Zwangsweise ist man in diesen Ländern alles andere als glücklich mit der Tätigkeit der westlichen Notenbanken. Die russische Zentralbank unter der Leitung von Elwira Nabiullina kauft seit langem so ziemlich jede Unze Gold, die sie bekommt. Mittlerweile ist die gesamte Verschuldung, welche die russische Volkswirtschaft in irgendeiner Form im Ausland hat, durch physisches Gold gedeckt (welches vollumfänglich in Russland liegt). Für China ist eine solche Diversifikation viel schwieriger, da es viel grösser ist. Trotz allem Enthusiasmus sind viele Rohstoffe so tief wie noch nie gemessen in Gold. Silver/Gold Ratio, Öl/Gold Ratio, etc. sind auf den tiefsten Ständen seit 100 Jahren. Öl war noch nie so tief seit dem Beginn von dessen Gebrauch, so um 1860. Über die Zyklen hinweg ist Gold die beste Anlage. Dies jedoch, weil es in Rohstoffbärenmärkten viel stabiler bleibt als anderes. Ray Dalio sagte kürzlich: «Wer in dieser Zeit kein Gold besitzt, versteht erstens nichts von Wirtschaft und zweitens nichts von Geschichte.» Aber die Welt braucht verschiedene Dinge. Die Goldindustrie ist eine verschwindend kleine Industrie im Rohstoffsektor. Rohöl, Kupfer, Zink, Nickel, Uran, diverse Nebenprodukute sind nicht minder attraktiv, die Aktien eher noch billiger. Nebst Gold und Goldminen empfiehlt es sich, auch in einen breit diversifizierten Fonds mit den besten Minen und Ölfelder zu investieren. Anders als in Edelmetallen ist der physische Besitz bedeutend schwieriger aufgrund verschiedener Eigenschaften der Rohstoffe und den damit verbundenen Lager-/Transportproblematiken.
Link zum Disclaimer
Geboren in Zürich, begann Urs Marti seine Karriere 1987 bei der UBS mit einer traditionellen Lehre und einem Traineeprogramm im Finanzbereich. In 1999 erhielt er einen BBA von der KSZH. Bis 2003 arbeitete er in den Handels- und Verkaufsabteilungen von UBS und Credit Suisse First Boston (heute Credit Suisse) und war Mitglied des Start-up-Teams der Swiss Capital Group. Im Jahr 2003 wechselte er zu Zulauf Asset Management, um einen Rohstoffaktien-Fonds zu gründen, den er auch nach 2008 als Partner einer kleinen Vermögensverwaltungsgesellschaft weiter verwaltete. Während dieser Zeit war er auch für einen Uran-Fonds verantwortlich. Im Jahr 2012 gründete er ein Unternehmen, das direkt in Ressourcen und Landwirtschaft investiert. Seit 2016 ist er Co-Manager des «Long Term Investment Funds Natural Resources» bei der SIA Funds AG.