«China ist längst kein Schwellenland mehr - und die Emerging Markets sehen ohne China ziemlich ärmlich aus»

Country Head Switzerland, Sales & Client Management
Eurizon Capital S.A., Zürich
eurizoncapital.com
04.03.2021
Herr Dalla Corte, ist es denn nach der imposanten wirtschaftlichen Entwicklung überhaupt noch vertretbar, China als Schwellenland zu bezeichnen?
Betrachtet man die Entwicklung des Pro-Kopf-Einkommens, dann hat China gewaltige Erfolge zu verzeichnen und sich zum Teil deutlich von den Emerging Markets abgehoben. In absoluten Zahlen ist das Reich der Mitte allerdings noch immer weit von den entwickelten Ländern entfernt. In diesem Sinne ist es auch immer noch richtig, China als einen Emerging Market zu bezeichnen. Allerdings halten wir es für zunehmend problematisch, China in einen Topf mit den anderen Emerging Markets zu werfen, da die Divergenz zwischen China und dem Durchschnitt der Schwellenländer sehr gross ist.
Chinas Aufstieg setzte im ersten Jahrzehnt der Globalisierung 1.0 ein, der 2001 mit der Aufnahme Chinas als Vollmitglied in die WTO begann. Unterdessen haben die Emerging Markets ohne China in den letzten zehn Jahren in vielerlei Hinsicht deutlich schlechter abgeschnitten als der Rest der Welt. Ihr Dollar-BIP hat in den letzten 12 Jahren sogar ein Nullwachstum verzeichnet.
Bislang hat man Emerging Markets gemeinhin als Synonym für starkes Wachstum und überdurchschnittliche Anlagechancen verstanden. Stimmt das denn überhaupt noch, wenn man China aus dieser Betrachtung herauslöst?
Wir alle sind uns bewusst, dass China im Laufe der Jahre zu einem wichtigen Exporteur geworden ist, aber wir haben nicht wirklich realisiert, dass die Emerging Markets ex-China in den letzten zehn Jahren nicht mit China aufgestiegen sind. Bei der Analyse des globalen Exportanteils der verschiedenen Schwellenländer stellen wir fest, dass der Anteil Chinas in den letzten 30 Jahren dramatisch gestiegen ist, aber die Marktanteile der anderen Schwellenländer, nachdem sie von 1991 bis etwa zur Zeit der globalen Finanzkrise (GFC) 2008 gestiegen waren, seitwärts gegangen sind, wobei die Regionen des Nahen Ostens und Nordafrikas (MENA) seit 2012 sogar Marktanteile verloren haben. Der Punkt ist, dass entgegen der landläufigen Annahme die Schwellenländer ohne China im vergangenen Jahrzehnt bei den Exporten und auch der wirtschaftlichen Entwicklung insgesamt nicht mehr mit China mithalten konnten.
Ein Umstand, der bei der Anlegerschaft - wahrscheinlich aufgrund der starken Entwicklung in China, die das Gesamtbild sehr positiv beeinflusst - bislang noch wenig Beachtung findet.
Darüber hinaus bemüht sich China seit 2005 mittels Importsubstitution und Insourcing seine Wertschöpfung im Produktionsprozess zu erweitern. Dies hat zu dem Nebeneffekt geführt, dass der Wert der Exporte der übrigen Schwellenländer nach China verdrängt wurde und praktisch alle Schwellenländer ein Handelsdefizit mit China aufweisen, da China ein grösserer Exporteur in die Schwellenländer wurde als Importeur aus den Schwellenländern.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der anhaltende wirtschaftliche Aufstieg Chinas keine Gewähr mehr für den Aufstieg anderer aufstrebender Volkswirtschaften ist. Vor diesem Hintergrund würden wir dringend empfehlen, die Anlagemöglichkeiten in Aktien und Anleihen in China getrennt von den übrigen Schwellenländern zu prüfen.
Gilt das auch für die sogenannten BRIC-Staaten?
Ja, das tut es, mit noch mehr Beweisen. Wenn man sich das nominale Dollar-BIP der vier Länder Brasilien, Russland, Indien und China anschaut, kann man feststellen, dass der BRIC-Block im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts etwa ein Jahrzehnt lang im Gleichschritt expandierte, seit 2010 ist das nominale BIP für Brasilien, Russland und Indien indes eher flach, das heisst, es gibt seit mehr als einem Jahrzehnt fast ein Nullwachstum. Auf der anderen Seite hat sich das nominale BIP Chinas in US-Dollar verdoppelt und wird voraussichtlich weiter vom Rest der BRIC-Volkswirtschaften sowie dem Rest der Schwellenländer abweichen.
Wie steht denn wiederum China für sich gesehen wirtschaftlich da? Und könnte das Land so gesehen mit den Developed Markets mithalten?
Die Corona-Pandemie kann hier als Wendepunkt gesehen werden, da es China gelungen ist, sich schneller und stärker als die entwickelten Länder von ihr zu erholen. Das brachte China einige Vorteile auf dem Weg, die Lücke zum Rest der entwickelten Welt zu schliessen - und es werden alle möglichen Anstrengungen unternommen, um in der Weltrangliste aufzurücken.
So hat China beispielsweise mit dem 14. Fünf-Jahres-Plan einen absolut überwältigenden politischen Plan verabschiedet, dem die westliche Welt grosse Aufmerksamkeit schenken sollte, nicht nur Investoren. Er beinhaltet bedeutsame Schlüsselkomponenten: Erstens wird China seine Anstrengungen bei der Entwicklung neuer Technologien beschleunigen. Um dies zu untermauern, wurde zeitgleich ein 15-Jahres-Plan für Hightech verkündet, der den Zeitraum 2020 bis 2035 abdeckt und ein bedeutsamer Sprung in die Zukunft sein könnte, um die Technologieführerschaft in der Welt zu übernehmen. Zweitens will China erhebliche Fortschritte bei der Verbesserung der Umwelt machen. Präsident Xi überraschte die Weltöffentlichkeit, als er auf der UN-Vollversammlung ankündigte, dass China bis 2060 Kohlenstoffneutralität erreichen wird. Drittens wird China, nachdem sich das Land in den letzten 20 Jahren grösstenteils auf den «Aussen-/Exportkreislauf» konzentriert hat, nun seinen Schwerpunkt auf die Entwicklung der Binnennachfrage verlagern und die eingeleitete Importsubstitution verstärken. Die Länder, die in der Vergangenheit im Windschatten Chinas aufgestiegen sind, werden erkennen müssen, dass diese Wachstumselastizität in den kommenden Jahren nachlassen könnte, da China viele ihrer Waren und Dienstleistungen möglicherweise nicht mehr benötigt. Viertens wird China seinen Finanzsektor weiter reformieren, um ausländische Investoren einzuladen, chinesische Vermögenswerte zu kaufen und zu halten - um so das chinesische Wachstum zu alimentieren.
Es liegt nahe zu glauben, dass das Erreichen dieser vier Ziele China in der Weltrangliste nach oben katapultieren wird.
Wenn man dies alles zugrundelegt - welche Anlagechancen bieten sich Investoren in China?
Hier bieten sich, gelinde gesagt, enorme Chancen. Um allerdings die attraktiven Investitionsmöglichkeiten zu identifizieren und zu nutzen, empfehlen wir, sich auf ein erfahrenes Team mit starken chinesischen Wurzeln zu verlassen. Eurizon ist in China seit 2007 durch ein Joint Venture mit Penghua Fund präsent, einem der Top-10-Vermögensverwalter Chinas mit über 100 Mrd. Euro verwaltetem Vermögen.
In Hongkong haben wir unseren Hub für das Management von chinesischen A-Aktien-Portfolios aufgebaut, während der Fixed-Income-Bereich von der in London ansässigen Eurizon SLJ mit China-stämmigen Experten abgedeckt wird. Sie verwalten beispielsweise die grösste Strategie in RMB-denominierten Anleihen ausserhalb Chinas - eine attraktive Anlagemöglichkeit für Euro-Investoren, die den Zugang zu RMB-denominierten Anleihen ermöglicht, die höhere und dekorrelierte Renditen als die entwickelten Märkte bieten.
Wir halten es überdies für sinnvoll, die beiden Anlageklassen Aktien und Anleihen aus China in einem einzigartigen Portfolio zu kombinieren, um die Chancen auf überdurchschnittliche risikoadjustierte Renditen zu erhöhen. Eurizon wird hierzu einen innovativen Multi-Asset-Investmentfonds aufgelegen: ein Portfolio mit einem signifikanten Engagement in auf RMB lautenden chinesischen Onshore-Anleihen, gemischt mit chinesischen A-Aktien. Dieses neue Produkt mit einem Multi-Asset-Ansatz profitiert von der Expertise unseres Teams in chinesischen Anleihen und Aktien. Wir sind zuversichtlich, dass diese Formel, die hierzulande jahrzehntelang hervorragend funktioniert hat, in der Lage sein wird, mittel- und langfristig stabile Erträge aus den chinesischen Märkten über Konjunkturzyklen hinweg zu erzielen.
Link zum Disclaimer
Manuel Dalla Corte, Country Head Switzerland bei Eurizon, verfügt über eine 20-jährige Erfahrung in der Finanzindustrie mit besonderer Expertise in der Betreuung institutioneller Anleger. Er ist für die Entwicklung des Geschäfts in der Schweiz verantwortlich und arbeitet eng mit Banken, Vermögensverwaltern, Asset Managern und institutionellen Kunden zusammen. Vor dem Wechsel zu Eurizon arbeitete Dalla Corte in den letzten 15 Jahren im Asset Management in der Betreuung institutioneller Kunden in Südeuropa. Zuletzt war er bei Aviva Investors für den Aufbau des Vertriebs in Südeuropa verantwortlich und davor bei Jefferies und Lombard Odier tätig. Manuel Dalla Corte ist Certified International Investment Analyst und hält einen Bachelor of Business Administration von der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich.