China stellt sich im Healthcare-Bereich neu auf

Leiter Healthcare Funds & Mandates
Bellevue Asset Management AG, Küsnacht ZH
bellevue.ch
06.03.2019
Herr Dr. Zimmermann, steht die chinesische Biotechindustrie 2019 vor dem grossen Durchbruch?
Für die chinesische Gesundheitsindustrie war 2018 in vielerlei Hinsicht ein Schlüsseljahr. Eine Reihe von regulatorischen Neuerungen fördert die Medikamentenentwicklung innerhalb der heimischen biopharmazeutischen Industrie. Zugleich erleichtern die eingeleiteten Massnahmen ausländischen Anbietern den Markteintritt. Diese Schritte sind im grösseren politischen Kontext zu sehen. Erklärtes Ziel der politischen Führung ist es, dass China bis 2050 in allen massgeblichen Technologien zur Weltspitze gehören soll und damit unabhängig vom Know-how anderer Nationen wird.
Entspricht denn das chinesische Gesundheitssystem nordamerikanischen und europäischen Standards?
Man ist auf dem Weg dahin: auf regulatorischer Seite fliessen internationale Studiendaten jetzt in die Zulassungsverfahren der Behörde CFDA für alle Präparate ein, die in China die Zulassung anstreben. Diese Regelung beschleunigt zugleich den Markteintritt für Medikamente, die international bereits verkauft werden. Davon profitiert vor allem die Patientenbehandlung in Indikationen mit hohem medizinischem Bedarf wie Krebs. Entscheidend für den kommerziellen Erfolg ist auch, dass diese Produkte Einzug in die Liste für die Kostenerstattung finden - immer vorausgesetzt, sie versprechen Verbesserungen in bestimmten Krankheitsfeldern, für die es bislang keine adäquaten Behandlungsoptionen gibt. Zudem wurden beim Regulator massiv Ressourcen aufgebaut: So waren vor vier Jahren noch 100 Personen bei den chinesischen Zulassungsbehörden beschäftigt, während die Zahl jetzt 1’000 erreicht hat und die Qualität sowie die Schnelligkeit der Zulassungen massiv zunehmen.
Wie wirkt sich der globale Spardruck im Gesundheitswesen in China auf die Medikamentenhersteller aus, findet dort eine Konsolidierung statt?
Auch in China sollen Kosteneinsparungen die staatliche Gesundheitsversorgung effizienter ausrichten. Versucht wird, Standardmedikamente zum möglichst günstigen Preis lokal einzukaufen und den Einsatz hochpreisiger Medikamente zu begrenzen. Besonders betroffen sind Generika, die in China rund 95 Prozent aller registrierten Arzneimittel stellen. Die Hersteller müssen jetzt die in Europa und Nordamerika verpflichtenden Bioäquivalenzstudien durchführen. Dabei gilt es zu dokumentieren, dass die Produkte dieselbe Wirkung und den gleichen Wirkstoff wie das Originalpräparat haben. Gerade für viele kleinere und regional operierende Gesellschaften wird die Luft dünner, denn im neuen Bewertungsverfahren müssen nicht nur die Qualitätskriterien erfüllt, sondern die Tests auch selbst bezahlt werden.
Beschleunigt wird die hier laufende Marktbereinigung in China durch die sich anbahnende landesweite Ausweitung der «Marketing Authorization Holder» (MAH), welche die landesweite Auftragsfertigung von Medikamenten ermöglicht. Entgegen diesem international längst üblichen Verfahren sind in China bislang Lizenzen für die Medikamentenproduktion an die jeweils produzierenden Fabrikstandorte gebunden. Bis Ende 2018 wurde das MAH als Pilotprogramm in elf Provinzen umgesetzt. Mittelfristig soll die Auftragsfertigung bald landesweit möglich sein. Wer sich hier behaupten will, muss grössere Preisabschläge in Kauf nehmen. Zugleich werden mit der schrittweisen Abschaffung von Preisaufschlägen auf Medikamente die Krankenhäuser ihrer wichtigsten Einnahmequelle beraubt. Umgekehrt wird der noch stark fragmentierte Markt konzentrierter und entwickelt sich zu einer modernen wettbewerbsfähigen Generikaindustrie.
In China werden viele Biosimilars hergestellt, Nachahmerprodukte von biologischen Medikamenten. Was dürfen wir hier in der nächsten Zeit erwarten?
Chinesische Biotechfirmen verfolgen in der Regel ein zweigleisiges Geschäftsmodell, indem sie zugleich Biosimilars und eigene Medikamente auf der Basis von Proteinen und Antikörpern entwickeln. Die Fortschritte sind beträchtlich. Im Bereich der Immunonkologie stehen eine Reihe von klinischen Kandidaten vor dem grossen Durchbruch und könnten 2019 die Zulassung bekommen. BeiGene, Innovent Biologics und Jiangsu Hengrui sind hier an erster Stelle unter den Firmen zu nennen, die am weitesten fortgeschritten sind. Dabei handelt es sich zumeist um Checkpoint-Inhibitoren, welche dieselben Ziele wie die international führenden Krebsarzneien Opdivo und Keytruda angehen. In China sind die Forschungsschwerpunkte in der Krebsmedizin anders gelagert als in Europa. Am häufigsten diagnostiziert werden Tumore an Leber, Lunge und Magen. Die Behandlung von Diabetes ist ein weiteres Feld, in dem chinesische Firmen mit zahlreichen Innovationen tätig sind. So hat Hua Medicine von Roche 2011 einen Produktkandidaten übernommen, der sich mittlerweile in der zulassungsrelevanten klinischen Endphase III befindet. Als erstes Molekül seiner Art könnte es den Krankheitsverlauf ändern, indem es die Betazellen in der Bauchspeicheldrüse anregt, wieder mehr Insulin zu produzieren.
2018 haben fünf chinesische Biotechunternehmen den Börsengang in Hongkong gewagt. Wie kam es dazu, und wird es in diesem Tempo weitergehen?
Die Voraussetzungen, sich Kapital über einen Börsengang in Hongkong zu verschaffen, haben sich verbessert. So fällt die bisherige Regelung weg, dass Unternehmen für drei Jahre schwarze Zahlen schreiben oder zumindest annäherungsweise profitabel sein müssen, um ein Listing einzugehen. Eine Notierung in Hongkong könnte wiederum als Sprungbrett dienen für eine Zweitlistung an der Nasdaq, dem weltweit bedeutendsten Handelsplatz für Wertpapiere aus der Biotechbranche. Insgesamt fünf Biotechfirmen feierten 2018 ihre Börsenpremiere in Hongkong. Letztlich geht es aber auch darum, verstärkt internationale Investoren aus Europa zu gewinnen, die sich langfristig mit Long-only-Strategien engagieren und damit anders agieren als die eher kurzfristig denkenden chinesischen Anleger oder die Hedgefondsmanager aus den USA.
Link zum Disclaimer
Dr. Cyrill Zimmerman ist Leiter Healthcare Funds & Mandates sowie Mitglied der Geschäftsleitung von Bellevue Asset Management. 2001 gründete er Adamant Biomedical Investments und leitete die Investmentboutique bis zur Übernahme durch Bellevue in 2014. Cyrill Zimmermann promovierte an der Universität Zürich.