«China zu ignorieren, ist ein Fehler»

Head Passive & ETF Specialist Sales Switzerland & Liechtenstein
UBS Asset Management Switzerland AG, Zürich
ubs.com/etf
24.11.2020
Herr Müller, Anfang November dieses Jahres sorgte der geplatzte Börsengang der Ant Group für reichlich Aufmerksamkeit - allerdings primär in informierten Fachkreisen. Teilen Sie diese Einschätzung?
An der Einschätzung ist sicherlich etwas dran. Zwar haben alle renommierten Fachzeitschriften die Vorgänge thematisiert, angesichts der Tatsache, dass es sich hier aber um den grössten Börsengang der Geschichte hätte handeln können, war die breite Aufmerksamkeit eher gering. Ähnliches hat sich bei chinesischen Unternehmen bereits in der Vergangenheit gezeigt. Das nach Marktwert siebtgrösste Unternehmen der Welt (Stand Mai 2020) Alibaba wurde der breiten Öffentlichkeit erst zum Börsengang in New York bekannt. Das achtgrösste Unternehmen, Tencent, ist bis heute nur Experten ein Begriff. Die Beispiele zeigen: China und seine Anlagemöglichkeiten fliegen bei vielen Anlegerinnen und Anlegern nach wie vor eher unter dem Radar.
China hat sich erst in den vergangenen Jahren immer mehr für Investoren aus dem Ausland geöffnet. Ist der Markt denn mittlerweile so attraktiv, dass sich ein breiteres Investment lohnt?
Mit Blick auf die rein wirtschaftliche Relevanz des Landes besteht andernfalls sogar ein erhebliches Risiko, Wachstumspotenziale und Diversifizierungsmöglichkeiten zu verpassen. China ist die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt und die jüngsten Wirtschaftskennzahlen lassen vermuten, dass es als eines der wenigen Länder auch im so herausfordernden Jahr 2020 wachsen wird. Zeitgleich ist der chinesische Aktienmarkt ebenfalls der zweitgrösste der Welt. In vielen Portfolios werden diese Aktien jedoch noch immer vernachlässigt und nur über einen breiteren Index wie etwa den MSCI Emerging Markets mitbedacht. Chinesische Aktien sollten heute jedoch kein Nischenthema mehr sein, im Gegenteil: Ich bin der Einschätzung, dass sie als eigenständige Allokation, als eigenständiger Baustein im Portfolio betrachtet werden sollten. UBS Asset Management hat nicht zuletzt daher im Frühjahr dieses Jahres einen ETF auf chinesische A-Shares, also auf Festlandtitel, die an den Börsen in Shanghai und Shenzhen domiziliert sind, lanciert. Er bietet internationalen Anlegerinnen und Anlegern einen effizienten und direkten Zugang zum chinesischen Aktienmarkt und erlaubt es, das Land in einer angemessenen Form im eigenen Portfolio zu würdigen.
Könnte vielleicht ein Grund für die stockende Einbeziehung Chinas sein, dass das Land im Megatrend unserer Zeit, der Nachhaltigkeit, hinterherzuhinken scheint?
In der Tat sind chinesische Unternehmen mit der Herausgabe von Nachhaltigkeitsdaten zurückhaltender als US-amerikanische oder europäische - die Verfügbarkeit ist also eingeschränkter. Es bestehen dennoch Möglichkeiten, die eigenen Nachhaltigkeitsvorstellungen auch mit Investitionen in den chinesischen Markt zu vereinen. Bei unserem «MSCI China ESG Universal ETF» filtern wir etwa Unternehmen heraus, die über ein schlechtes ESG-Rating verfügen oder von Kontroversen betroffen sind. Dazu zählen wir etwa die Beteiligung an kontroversen Waffentechnologien. Unternehmen mit einem stabilen ESG-Profil werden dahingegen stärker gewichtet. Eine zusätzliche Komponente erscheint darüber hinaus insbesondere mit Hinblick auf die gesellschaftliche Relevanz von Nachhaltigkeit erwähnenswert: Unternehmen, die über ein sich verbesserndes ESG-Profil verfügen, werden ebenfalls stärker gewichtet. Sollten Anlegerinnen und Anleger den Nachhaltigkeitsbemühungen chinesischer Unternehmen zweifelnd gegenüberstehen, bietet sich so die Möglichkeit, richtige Tendenzen zu honorieren. Die grundlegende Natur des Mutterindex MSCI China bleibt dabei erhalten - im 5-jährigen Backtest von Mai 2013 bis Mai 2019 lag die tägliche Korrelation bei 0.99. Auch auf Nachhaltigkeit bedachte Anlegerinnen und Anleger können somit an den immensen Potenzialen Chinas partizipieren.
Machen wir einen Strich unter die Aktien. Wie sieht es denn anleihenseitig aus? Hier hat sich die Öffnung des in weiten Teilen lange geschlossenen Landes ja hinausgezögert.
Die Öffnung des chinesischen Anleihenmarktes, der mittlerweile immerhin der viertgrösste der Welt ist, vollzieht sich tatsächlich etwas langsamer als auf der Aktienseite. Allerdings ist auch hier eine Beschleunigung zu konstatieren. So haben sowohl Bloomberg als auch J.P. Morgan in der ersten Jahreshälfte 2020 angekündigt, CNY-Anleihen, also in Renminbi denominierte, in ihre entsprechenden Indizes aufzunehmen. Eine Entwicklung, die positiv zu bewerten ist und für die kommenden Jahre umfangreiche Investments bedeutet. Wenn man in Erwägung zieht, chinesische Anleihen als alleinstehenden Baustein im Portfolio zu integrieren, sollte sich der Blick nicht nur auf die Grösse der Volkswirtschaft richten, sondern auch darauf, dass das Land über eine vergleichsweise niedrige Verschuldung verfügt. Innerhalb des lokalen, chinesischen Marktes gehören chinesische Staatsanleihen und Policy-Bank-Anleihen zu den grössten und liquidesten Anlagen, die ein nicht unerhebliches Diversifizierungspotenzial bieten. Über beispielsweise unseren «J.P. Morgan CNY China Government 1-10 Year Bond ETF» bieten wir einen direkten Zugang zu diesen Onshore-Anleihen. Zusammengefasst lässt sich also für Anleihen wie für Aktien sagen: Man kann kritisch auf China blicken, sollte es aber nicht ignorieren.
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Raimund Müller, Leiter Passive & ETF Schweiz und Liechtenstein, verfügt über eine 17-jährige Erfahrung in der Finanzindustrie mit besonderer Expertise in der Betreuung institutioneller Anleger. Seit 2012 ist er für UBS Asset Management in Zürich tätig. Vor dem Wechsel zu UBS arbeitete er in der Betreuung institutioneller Anleger im Asset Management der Deutschen Bank und bei Lombard Odier. Raimund Müller ist Certified International Investment Analyst (2008). Er beendete seine Studien an der Curtin University of Technology in Perth mit einem Master of Economics und Finance (2005) und an der ZHAW in Winterthur mit einem Bachelor of Business Administration (2003).