«Das Interesse der Biotech-Investoren ist nachhaltig»

23.10.2020
Herr Dr. Koller, mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ist der Biotechsektor ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit und der breiten Investorengemeinde gerückt. Die Gesundheitsbranche arbeitet intensiv an der Entwicklung von Lösungen wie zum Beispiel Impfungen. Wo stehen wir da aktuell?
Es wurden erste Ergebnisse zahlreicher therapeutischer Modalitäten zur Behandlung akuter Infektionen mit zumeist geringem medizinischem Nutzen vorgestellt. Bei der Entwicklung vorbeugender Impfstoffe wurden weitere Fortschritte erzielt. Angeführt wird das Feld dabei von den mRNA-Vakzinen von Moderna und Pfizer/BioNTech und AstraZeneca’s auf einem genetisch veränderten Schimpansen-Adenovirus basierten Impfstoff. Die Unternehmen führen umfassende klinische Studien durch, um die Wirksamkeit der Impfstoffe in Form einer Risikominderung symptomatischer Infektionen geimpfter Studienteilnehmer gegenüber einer Placebo-Kontrollgruppe zu überprüfen. Moderna veröffentlichte weitere Daten seiner klinischen Phase-I-Studie zu mRNA-1273. Je nach zeitlichem Ablauf von Moderna’s Phase-III-Studie COVE zu mRNA-1273 als vorbeugendem Impfstoff gegen SARS-CoV2 ist für den Produktkandidaten eine Notfallzulassung (EUA) vor Jahresende durchaus denkbar.
Sie sind ja in Moderna investiert…
Ja, seit 2018. Obwohl wir damals natürlich noch nichts von Covid-19 geahnt haben, erkannten wir vor einigen Jahren bereits das enorme Potenzial von mRNA-Vakzinen und haben an einer privaten Serie-G-Finanzierung für Moderna teilgenommen. Ausserdem investieren wir seit vielen Jahren in andere Therapiearten, die sich gegen entzündliche Signalwege richten, so etwa durch Engagements in tonangebenden Unternehmen wie Incyte. Dem Potenzial von RNA-Therapeutika tragen wir auch durch unsere langfristige Beteiligung an Alnylam und Ionis Rechnung. Nicht investiert sind wir generell in grossen Pharmaunternehmen oder Pharmakonzernen mit riesigen Impfstoffsparten. Angesichts der Ungewissheit über die letztendliche Rentabilität derartiger Investitionen und ihrer Auswirkungen auf den Börsenwert dieser Unternehmen bleiben wir zurückhaltend, wenn es darum geht, in grossem Stil eingesetzte konventionelle Arzneien und Technologien zu unterstützen. Sie sind zwar erfolgversprechend, stellen aber keine bahnbrechenden Investitionsmöglichkeiten dar.
In welchen Bereichen sehen Sie denn Investitionsmöglichkeiten?
Ein Bereich, dem wir nach wie vor viel Aufmerksamkeit schenken, sind identifizierte Risikofaktoren, die mit den zugrunde liegenden Gesundheitsdeterminanten einer ganzen Bevölkerung zusammenhängen, zum Beispiel Adipositas, Bluthochdruck, Diabetes, Atemwegserkrankungen, die die gesundheitliche und wirtschaftliche Belastung durch Pandemien deutlich verschlimmern. Zudem achten wir weiterhin auf Anzeichen langfristiger Spätfolgen von Covid-19, welche die negativen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Virus auf die Gesellschaft verstärken und verlängern können.
Wird das Interesse der Investoren am Biotechsektor auch in der Zeit nach Covid-19 anhalten, und was bedeutet das für Forschung und Entwicklung?
Wir gehen davon aus, dass dieses Interesse nachhaltig ist. Einerseits erwarten wir, dass uns die Pandemie sicherlich noch einige Zeit beschäftigen wird, andererseits glauben wir, dass die Biotechbranche weiterhin eine zentrale Rolle im Bereich der innovativen Medikamentenentwicklung einnehmen wird. Wie sie es historisch schon getan hat. Aber auch auf Grund der Pandemie von neuen Ansätzen profitieren wird. Sei es von Prozessoptimierungen, schnellere klinische Studien, bis hin zur Akzeptanz von diagnostischen Tests, sei dies im Bereich von Covid-19 aber sicherlich auch zukünftig möglicherweise durch eine höhere Akzeptanz von genetischen Tests, sei dies bei verschiedenen Erberkrankungen oder in der Onkologie.
Wo haben Sie konkret Investments getätigt?
Wir erweiterten das Portfolio im 3. Quartal um Relay Therapeutics nach erfolgreicher Partizipation an dessen Börsengang. Das Unternehmen stellt die Bewegung von Proteinen in den Mittelpunkt des Prozesses der Wirkstoffentdeckung, um lebensverändernde Therapien zu entwickeln. Sein Ansatz kombiniert wichtige technologische Fortschritte biophysikalischer Experimente und computergestützter Chemie in einer integrierten Plattform, die eine effektive rationelle Wirkstoffentdeckung der nächsten Generation ermöglicht.
Abgesehen vom dominierenden Thema Covid-19, gab es noch anderen Newsflow?
Unternehmen wie Intra-Cellular (Lumateperone) und Myovant (Relugolix) präsentierten positive Ergebnisse aus ihren klinischen Studien oder gaben Produktzulassungen bekannt (Incyte/Monjuvi). Für den Rest des Jahres erwarten wir wichtige Daten und Ergebnisse unserer Portfoliounternehmen, unter anderem von Moderna (mRNA-1273), Scholar Rock (SRK-015) sowie die Zulassung für drei Wirkstoffe: Relugolix von Myovant zur Behandlung von fortgeschrittenem Prostatakrebs; Lumasiran von Alnylam bei primärer Hyperoxalurie Typ 1; und Margetuximab von Macrogenics als Therapie für Patientinnen mit HER2-positivem metastasiertem Brustkrebs.
Nach einer sehr ruhigen ersten Jahreshälfte 2020 nahmen die Übernahmeaktivitäten im 3. Quartal mit der Ankündigung grösserer Transaktionen zu…
Ja. Gilead legte ein Angebot für Immunomedics in Höhe von 21 Mrd. US-Dollar vor, Sanofi unterbreitete Principia ein Übernahmeangebot im Umfang von 3.7 Mrd. US-Dollar und Johnson & Johnson bot 6.5 Mrd. US-Dollar für Momenta. Leider zählte keiner dieser Übernahmekandidaten zu unseren Portfoliounternehmen. Dafür unterstützen wir jedoch Ionis in seiner Entscheidung, seine börsennotierte gewerbliche Tochtergesellschaft Akcea Therapeutics vollständig zu integrieren und sämtliche ausstehenden Aktien der Tochter zu erwerben. Zu Beginn des 4. Quartals konnten wir dann auch von einer Übernahme profitieren: Bristol-Myers Squibbs unterbreitete Myokardia eine Offerte in Höhe von 13 Mrd. US-Dollar.
Link zum Disclaimer
Dr. Daniel Koller trat 2004 bei Bellevue Asset Management ein und ist als Senior Portfolio Manager im Bereich Biotechnologie mit Spezialgebiet Herz-Kreislauf-Krankheiten tätig. Seit 2010 ist er Head Management Team der börsenkotierten Beteiligungsgesellschaft BB Biotech AG. Vor seinem Eintritt bei Bellevue Asset Management war er während vier Jahren in der Finanzindustrie tätig, zuerst in der Funktion als Aktienanalyst bei UBS Warburg, danach als Private-Equity-Investor bei equity4life. Daniel Koller studierte Biochemie an der ETH Zürich und doktorierte im Bereich Biotechnologie während seiner Tätigkeit bei Cytos Biotechnology.