«Das Thema Nachhaltigkeit besitzt bei Familienunternehmen schon seit längerem einen hohen Stellenwert»

Lead Portfoliomanagerin - Entrepreneur-Strategien
Bellevue Asset Management AG, Küsnacht ZH
bellevue.ch
30.11.2021
Frau Olsen, das Thema Nachhaltigkeit ist ein vorherrschendes Thema und steht politisch ganz oben auf der Agenda. Wie steht es um Familienunternehmen in Sachen ESG?
Dieses Thema besitzt bei Familienunternehmen schon seit längerem einen hohen Stellenwert. Denn Eigentümerfamilien sind typischerweise mit einem Grossteil ihres eigenen Vermögens im Unternehmen investiert und nehmen ihre Verantwortung aller Stakeholder gegenüber mit einer langfristigen Perspektive wahr. Sie sind an der langfristigen Wertentwicklung und nicht an kurzfristiger Gewinnmaximierung interessiert - was heute zunehmend mit der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien verbunden ist. Denn ein proaktives Handeln in puncto ESG ist heute gleichzusetzen mit einer zukunftssichernden Strategie.
Wie schneiden sie dann konkret bei der Beurteilung durch ESG-Scores ab?
Schaut man sich eine Studie der Credit Suisse Research von 2020 an, zeigt sich, dass die durchschnittlichen ESG-Scores von Familienunternehmen zwischen 2014 und 2019 deutlich stärker gestiegen sind als die Scores von Nicht-Familienunternehmen. Heute werden die ESG-Scores von Familienunternehmen vor allem durch deren starke Orientierung an Umwelt- und sozialen Themen weiter vorangetrieben. Ein internationaler Vergleich zeigt zudem auch, dass europäische Firmen im Hinblick auf Nachhaltigkeitsfaktoren sehr viel besser abschneiden als etwa ihre US-amerikanischen oder asiatischen Pendants. Denn Nachhaltigkeit steht in Europa auf der politischen Agenda und davon dürften europäische Unternehmen im globalen Wettbewerbsvergleich langfristig profitieren.
Wie können Investoren nachhaltige Familienunternehmen finden? Welche Vorgehensweise gibt es hier?
Die ESG-Systematik entwickelt sich stetig, ist jedoch noch nicht ausgereift. Die Datenqualität variiert stark und die Korrelation zwischen Rating-Häusern ist gering. Ratingagenturen interessieren sich bislang auch zu wenig für das fundamentale Geschäft der Unternehmen. Schliesslich spiegeln die öffentlichen ESG-Ratings nicht immer die effektiven Unternehmensverhältnisse korrekt wider. Diese Inkonsistenzen sind für Stockpicker wie uns eine Chance. ESG-Überlegungen sollten idealerweise in der Fundamentalanalyse vollumfänglich integriert sein, denn Umweltfreundlichkeit wird zum Wettbewerbsvorteil und sollte in der Bewertung des Unternehmens hineinfliessen. Auch wollen wir den Fokus nicht nur auf Risiken, sondern auch auf Chancen legen, die sich aus der Nachhaltigkeitsperspektive ergeben können. Im Rahmen der fundamentalen Analyse wollen wir attraktiv bewertete Unternehmen identifizieren, die noch nicht über ein ESG-Scoring verfügen, das sie tatsächlich verdienen oder die - vom breiten Markt noch weitgehend unentdeckt - sich zu möglichen «ESG-Stars» von Morgen entwickeln können.
Können Sie uns so einen ESG-Star nennen?
Für eine nachhaltige Entwicklung steht beispielsweise die Firma Stora Enso, der weltgrösste Waldbesitzer. Das Unternehmen hat sich von seinem ursprünglichen Kerngeschäft - der Papierherstellung - stetig wegbewegt in Richtung nachhaltiger Verpackungsmaterialien, Biomaterialien und Holzprodukte wie zum Beispiel CLT. Wir sehen auch grosses Potenzial bei der Verwendung von bio-basierten Lignode. Dieses Nebenprodukt bei der Herstellung von Zellulosefasern kann als Ersatz von Graphite-Anode für Lithium-Ionen-Batterien genutzt werden.
Der «BB Entreprenuer Europe Fonds» wurde jüngst in «Bellevue Sustainable Entrepreneur Europe Fonds» umbenannt. Was sind die Gründe?
Wir haben den Fonds, der seit 15 Jahren erfolgreich in eigentümergeführte Unternehmen investiert, aktuell noch stärker an Nachhaltigkeitskriterien ausgerichtet. Mit Blick auf die EU-Offenlegungsverordnung wird der Fonds gemäss Artikel 8 als «light green» klassifiziert, nach der in Deutschland geläufigen BVI-Systematik gilt er als dedizierter Nachhaltigkeitsfonds. Der Fonds wurde zudem im November mit dem FNG-Siegel, einem der anerkanntesten Qualitätssiegel im deutschsprachigen Raum, ausgezeichnet.
Inwiefern kommt das Best-in-Class-Prinzip bei diesem Fonds zum Einsatz?
Die Anwendung eines strikten regelbasierten «Best-in-Class»-Ansatzes zwecks systematischen Ausschlusses vermeintlicher ESG-Laggards erachten wir als nicht zielführend und nutzen ESG-Bewertungen vielmehr als zusätzliche Tool-Box im Rahmen der eigenen Fundamentalanalyse. Es geht nicht nur darum, den heutigen Stand zu beurteilen, sondern auch die Möglichkeiten von Morgen zu betrachten. Dies führt dazu, dass das Anlageportfolio aus einem Mix von Unternehmen mit einem State-of-the-Art ESG-Management und Firmen mit starkem Aufholpotenzial besteht. Unser dreiköpfiges Entrepreneur-Investmentteam erhält im Zuge dieser Neuausrichtung des Investmentprozesses zusätzlich interne Unterstützung von Spezialisten, die im sich ständig verändernden Regulierungs-Umfeld stets auf dem neuesten Stand sind.
Link zum Disclaimer
Birgitte Olsen, CFA, Senior Portfolio Manager Aktien Europa, trat 2008 bei Bellevue Asset Management ein. Davor war sie über neun Jahre bei Generali Investments in Köln als Stellvertretende Leiterin für das Portfolio Management Aktien Europa zuständig. Als Fund Manager (Deutschland und Skandinavien) arbeitete sie 1997 und 1998 bei Vontobel Asset Management in Zürich. Birgitte Olsen startete ihre Karriere in der Finanzbranche 1994 als Sell-Side Analyst bei der Bank am Bellevue für die Sektoren Versicherungen und Pharma. Sie hat ein Studium in Finanz- und Rechnungswesen an der Universität St. Gallen abgeschlossen.