«Das Thema Robo-Advice ist derzeit noch ein sehr unklares Feld»

02.07.2018
Herr Glow, Sie sind als exzellenter Kenner der europäischen Fondsindustrie bekannt. Hat Sie in den ersten fünf Monaten des Jahres etwas wirklich überrascht?
Es war tatsächlich überraschend zu sehen, wieviel Geld in den ersten vier Monaten immer noch in Rentenprodukte (+10,1 Mrd. Euro) geflossen ist, obwohl (zumindest in den USA) die Zinswende ja schon Realität ist. Dies hat sich im Mai schlagartig verändert. Rentenfonds mussten in nur einem Monat Mittelabflüsse in Höhe von 15,9 Mrd. Euro verkraften und weisen somit in den abgelaufenen fünf Monaten Nettomittelabflüsse aus.
Auf der anderen Seite sind Aktienfonds bisher in diesem Jahr die Gewinner. Bis Ende Mai flossen diesen Produkten 42,0 Mrd. Euro netto zu. Multi-Asset-Fonds als zweitbeste Anlageklasse verzeichneten im gleichen Zeitraum 29,0 Mrd. Euro an Mittelzuflüssen. «Alternative»-UCITS-Fonds konnten als drittbeste Anlageklasse in den ersten fünf Monaten des Jahres 14,4 Mrd. Euro an Mittelzuflüssen auf sich vereinen.
Grundsätzlich könnte man sagen, dass diese Mittelbewegungen nicht besonders auffällig seien, bedenkt man aber die Vorliebe der europäischen Investoren für Renten- und Multi-Asset-Fonds in den letzten Jahren, erscheint es mir schon bemerkenswert, das Aktienfonds in diesem Jahr die Favoriten der europäischen Anleger sind.
War das nicht vorauszusehen?
Prognosen sind immer schwierig, insbesondere dann, wenn sie die Zukunft betreffen. Aufgrund der exorbitant hohen Mittelzuflüsse im Jahr 2017 war es sehr wahrscheinlich, dass wir im Jahr 2018 in Europa nicht wieder Rekordmittelzuflüsse sehen werden, aber dass Aktienfonds, zumindest bis zur Jahresmitte, die Anlageklasse mit den höchsten Mittelzuflüssen sein wird, hätten wohl nur die wenigsten geglaubt.
Werfen wir einen Blick auf die ETF-Branche. Da scheinen die Bäume doch nicht in den Himmel zu wachsen…
Das ist - glaube ich - immer eine Frage der Sichtweise. Viele Marktbeobachter scheinen von den derzeitigen Wachstumsraten im ETF-Segment enttäuscht zu sein. Doch wenn man genauer hinschaut, sieht es im Bereich der ETFs gar nicht schlecht aus. Der Marktanteil am Neuabsatz im europäischen Fondsgeschäft betrug per Ende Mai rund 22 Prozent und war damit eher überdurchschnittlich, was zeigt, dass es im ETF-Segment nach wie vor «rund» läuft. Allerdings ist die insgesamte in Fonds investierte Summe in diesem Jahr niedriger als in den Vorjahren, was dazu führt, dass aufgrund des Basiseffektes die Wachstumsrate der in ETFs verwalteten Vermögen etwas geringer ausfällt. Das ist aber mit steigenden Volumen ganz natürlich. Zudem kann auch in einem stark wachsenden Marktsegment nicht jedes Jahr ein Rekordjahr sein.
Und von einigen grossen aktiven Fondsadressen hört man, dass ihr Absatz in den letzten Monaten ziemlich ernüchternd sei.
Wenn ich mir die Mittelzuflüsse auf Anbieterebene anschaue, stimme ich dem zu. Aber diese Situation ist nicht neu und sollte einige der betroffenen Anbieter auch nicht überraschen. Zum einen ist wie gesagt das Gesamtniveau der Mittelzuflüsse im Vergleich bisher deutlich niedriger als in den Vorjahren, zum Anderen sehen wir in einigen Sektoren sehr stake Mittelabflüsse und wenn ein Anbieter in den Vorjahren von den starken Zuflüssen in diesen Sektoren besonders profitiert hat, wird dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit auch überproportional von Abflüssen betroffen sein. Das hat dann nichts mit der Produktqualität zu tun, da es sich hier um eine klare Asset-Allocation-Entscheidung auf Seiten der Investoren handelt.
Das heisst nicht, dass die Produktqualität in Bezug auf Mittelabflüsse keine Rolle spielt. Denn wenn die Investoren von der Wertentwicklung eines Fonds enttäuscht sind, ist es nur logisch, dass sie diesen verkaufen. Somit müssen die Anbieter genau hinschauen, was in einem Sektor gerade passiert und die Mittelbewegungen in ihrem Haus gegebenenfalls sehr selbstkritisch hinterfragen. Das Gleiche gilt übrigens auch bei Mittelzuflüssen.
Von Robo-Advisorn müssen sie sich aber nicht fürchten. Die scheinen nur mühsam in die Gänge zu kommen. Oder wie sehen Sie das?
Das Thema Robo-Advice ist für mich derzeit noch ein sehr unklares Feld. Obwohl ich mir darüber bewusst bin, dass dies ein guter Weg ist, um eine grosse Anzahl von Privatanlegern zu erreichen, glaube ich, dass viele der derzeit am Markt verfügbaren Konzepte dafür eher ungeeignet sind. Zum einen sind viele der Anbieter relativ teuer und/oder bieten nur ein eingeschränktes Dienstleistungsspektrum an. Auch mussten sich die Konzepte bisher noch nicht beweisen, wie gut sie in schwierigen Marktphasen sind, da es in den letzten Jahren keine echte Krise an den Märkten gab. Dementsprechend wird es noch eine Weile dauern, bis man die Leistung und damit den Nutzen der Robo-Advisors für den Anleger richtig beurteilen kann.
Detlef Glow, MBA (UoW), begann im Jahr 2005 als Leiter der Fondsanalyse für Deutschland und Österreich bei Thomson Reuters Lipper. Anfang 2007 übernahm er die Leitung für die Regionen Zentral-, Nord- und Osteuropa. Seit Oktober 2010 ist Glow Leiter der Fondsanalyse von Lipper in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika (EMEA). Zuvor war er als Direktor Portfoliomanagement bei der Feri Wealth Management GmbH in Bad Homburg als Portfoliomanager für vermögende Privatkunden tätig. Seine Karriere begann Detlef Glow neun Jahre zuvor bei der tecis Holding AG in Hamburg, wo er zuletzt als Leiter der Fondsanalyse sowohl für das quantitative als auch das qualitative Fondsresearch der tecis Asset Management AG verantwortlich war.