«DeFi ist etwa da, wo der e-Commerce-Markt vor 15 Jahren war»

07.10.2021
Herr Borini, Sie sind einer der besten Kenner von Bitcoin & Co. in der Schweiz und über die Grenzen hinaus bekannt. Was ist aktuell der wichtigste Trend in der Industrie?
Vielen Dank für die Blumen, Herr Caduff. Also, was passiert gerade im Krypto-Space? Ganz viel. Schauen wir kurz in den Rückspiegel. Wir haben zu Beginn des Jahres eine enorme Kursrally bei vielen Krypto-Assets gesehen, bis im Frühling ein starker Einbruch kam. Beispielsweise rauschte der Bitcoin-Kurs rasant in den Keller. Die Rekordmarke lag im April bei 64’000, sein Tief sah er im Juli bei rund 30’000 US-Dollar. Das sind Einbussen von über 50 Prozent! Doch, diese Verluste konnte der Bitcoin zum grössten Teil wieder Wett machen. Der Bitcoin ist wieder auf dem Weg ins Parterre in Richtung 60’000 US-Dollar. Was wir auch sehen, ist, dass der Krypto-Markt bedeutend an Reife gewonnen hat. Immer mehr professionelle Investoren, aber auch führende Wallstreet-Banken, sind in diesem Markt aktiv. Ein stark wachsendes Interesse ist auch in den Anwendungen des Dezentralen Finanzsystems (DeFi) zu sehen. In diesem Bereich passiert enorm viel und ist vergleichbar wie eCommerce vor 15 Jahren. Online-Shopping war kompliziert, unübersichtlich, teilweise unsicher und noch ein kleiner Markt. Heute geht eine Welt ohne eCommerce gar nicht mehr. Leiden mussten ganz viele Retailer, Stichwort «Lädelisterben». Das könnte auch im DeFi passieren. Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Entwicklungen exponentiell wachsen, deswegen sollte man frühzeitig sich mit DeFi und mit dem ganzen Krypto-Asset-Markt auseinandersetzen.
Sind Schweizer Banken im Kryptomarkt aktiv?
Für die meisten Institute sind Krypto-Assets nach wie vor ein rotes Tuch. Das begreife ich nicht, denn Kundenanfragen sind da. Banken müssen dabei gar nicht ein eigenes Angebot haben, doch sie sollten in der Lage sein, ihren Kunden profund Auskunft geben zu können. Und hier, das bekommen wir tagtäglich mit, harzt es. Banken müssen ihre Berater ausbilden! Natürlich gibt es einige Institute, die aktiv sind, wenige haben auch ein breites Krypto-Angebot. Zudem kenne ich eine etablierte Privatbank, die Bitcoin in der strategischen Asset-Allokation einsetzt, Stichwort «Gold 2.0». Diejenigen Institute, die Krypto-Assets auf ihrer Roadmap haben, werden - das ist so sicher wie das Amen in der Kirche - mit Krypto-Assets Erfolg haben: Sie befriedigen für gewisse Kunden ein Bedürfnis, sie können Neukunden gewinnen und letztlich profitieren sie von einer attraktiven Marge, die im Vergleich zum traditionellen Banking, noch attraktiver ist. Dazu muss man Krypto verstehen und natürlich investieren. Also entweder will eine Bank in ein «Make-Money-Geschäftsmodell» eintauchen, oder sie bleibt im bisherigen Modell: «Safe money».
Dazu gehört auch Fintech & Co. Sie sind auch sehr aktiv im Bereich «Digital Finance». Erzählen Sie mal…
Generell finde ich nach wie vor, die Schweiz ist zu langsam im Bereich Fintech, Open-Banking oder Embedded Finance. Wir sollten über Landesgrenzen schauen, was bereits im Ausland da ist. Denken wir an Apple: Die haben nicht nur eine eigene Debitkarte, sie steigen jetzt ins Kreditgeschäft ein mit «Buy now, pay later»-Service. Das ist höchstspannend. Hierzulande hört man über solche Services nichts, ich bin nicht mal sicher, ob alle C-Level dieses Geschäft verstehen. Auch im Thema Open-Banking sind wir meines Erachtens zu langsam unterwegs, das hört man sogar aus Bundesbern. Dort heisst es: «The second best option» ist Regulierung. Und ich denke, das ist nicht im Interesse der Industrie. Ich wünschte mir, dass Swiss Banking wieder an Drive und vor allem an Passion gewinnt, mit dem Wissen, wir befinden uns in einer digitalen Ära. Wir sollten doch das beste Banking der Welt anbieten. Dazu ist Open-Banking ein zentrales Element.
Kann die Bankenwelt diesem horrenden Tempo folgen?
Jein! Fairerweise muss ich auch sagen, es ist auch nicht einfach. Die Banken sitzen auf museumsreifen Technologien, sie sind kaum auf der Cloud und haben meist keine standardisierten Schnittstellen. Das verrückte ist: Vielen Instituten fehlen Visionen und die Vorstellungskraft, wohin die Reise gehen kann. Technologie ist dabei nur Mittel zum Zweck. Das Problem: Es geht immer schneller und wird immer komplexer. Digitalisierung ist das eine, die digitale Transformation das andere. Eine Randbemerkung: Nebst den Digital-Themen prallt ein neues Thema auf die Industrie zu: Netto-Null-Emissionen, das betrifft Banken auch. Viele Herausforderungen, doch ich sehe mehr Chancen als Gefahren.
Die Institute können das Know-how einkaufen. Sie haben ja genug Geld.
Das würde ich nicht unterschreiben! Schauen wir auf die Challenger-Bank Revolut: Die haben ganz klar gezeigt, wie Customer Experience geht. Revolut hat inzwischen etwa 18 Millionen Nutzer und ist mit über 30 Mrd. US-Dollar bewertet. Die zweitgrösste Bank der Schweiz, Credit Suisse, ist irgendwo bei einer Bewertung von 25 Mrd. US-Dollar. Oder der deutsche Freetrading-Anbieter Trade Republic konnte kürzlich 750 Mio. US-Dollar frisches Kapital aufnehmen und ist fünf Milliarden schwer. Die Banken haben zu wenig Geld, um diese zu kaufen. Die BigTechs haben hingegen Milliarden in der Kriegskasse, die könnten. Ob sie aber wollen, da bin ich unsicher. Ich denke, Zukäufe machen in vielen Bereichen gar keinen Sinn, viel besser sind gute Kooperationen. Banken müssen überlegen, an welchen Elemente an der Wertschöpfungskette wollen sie relevant sein und wo nicht. Und wenn man ganz ehrlich ist: An vielen Elementen macht es mehr Sinn, wenn Banken kooperieren. Was ist der Value einer Bank: Trust! Ich würde vielmehr in Beratung und Omnichannel-Welten investieren.
Können Sie uns verraten - was sind Ihre nächsten Pläne?
Während dem Corona-Lockdown haben wir eine Bieridee umgesetzt und das «House of Satoshi», das schweizweit erste Ladenlokal für Bitcoin, Blockchain & Friends gestartet. Als Pop-up-Idee gestartet, wird nun daraus ein Produkt innerhalb einer neuen Rechtseinheit. Da wollen wir die eine oder andere Idee umsetzen und schauen. Aber viel Neues wird es sonst nicht geben, wir wollen unseren Fokus nicht verlieren und insbesondere unseren Bereich Ausbildung und Beratung in «Digital Finance» weiter ausbauen. Aber Sie kennen mich ja, wenn ich eine Chance für was Neues sehe und auch Lust dazu habe, dann packe ich diese. Ab und an muss man einfach «mache» und frech sein. Fragen sie mich in sechs Monaten wieder…
Link zum Disclaimer
Rino Borini ist Mitgründer des Beratungs- und Medienhauses Scarossa, Das Unternehmen setzt den Fokus auf digitale Transformation der Finanzindustrie sowie «Next Generation Invest» und betreibt unter anderem die Anlegerplattform «10x10.ch» und die Veranstaltungsplattform «Finance 2.0». Rino Borini leitet den Certificate of Advanced Studies (CAS) «Digital Finance» an der Hochschule Zürich und ist Verwaltungsratspräsident beim digitalen Vermögensverwalter Descartes Finance. Im Herbst 2020 hat ihn das Wirtschaftsmagazin «BILANZ» zu den «Digital Shapers 2020» gekürt, also den 100 wichtigsten Köpfen, die die Digitalisierung im Land vorantreiben.