«Dem globalen Gegenwind zum Trotz sind die Aussichten für die USA nicht schlecht»

16.03.2016
Herr Swanson, besteht aus Ihrer Sicht das Risiko, dass die USA in die Rezession zurückfallen?
Seit Monaten fürchten die Marktteilnehmer eine erneute Rezession in den USA. Die Weltkonjunktur ist schwach, der Einbruch der Energiepreise hat in vielen wichtigen Sektoren für einen deutlichen Rückgang der Investitionen und straffere Finanzbedingungen gesorgt. Seit einigen Wochen lassen diese Sorgen nach. Dennoch ist es bei solchen Schlagzeilen wichtig, sich die Fundamentaldaten vor Augen zu halten.
Auf welche Konjunkturindikatoren achten Sie?
Die Ölpreise scheinen sich wieder ganz leicht zu stabilisieren, der Druck am High-Yield-Markt lässt nach, und die Märkte sind weniger volatil. Das US-Wachstum ist zwar alles andere als stabil, erreicht aber noch seinen Durchschnitt seit der Finanzkrise (etwa 2 Prozent).
Was geschieht derzeit auf fundamentaler Ebene?
Die grösste Unsicherheit ist das rückläufige Wachstum Chinas, der weltweit grössten Volkswirtschaft. Dadurch sind die Rohstoffpreise gefallen. Die niedrigeren Energiepreise schlagen in drei Schritten auf die Weltwirtschaft durch. Als erstes entsteht überall Unsicherheit und es kommt zu Kursverlusten. Diese Stufe haben wir bereits hinter uns. Als zweites fallen die Faktorkosten. Sowohl die Energie- als auch die Kupferpreise sind zurückgegangen. Davon profitieren Unternehmen, für die Faktorkosten eine wichtige Rolle spielen, beispielsweise das verarbeitende Gewerbe. Aus unserer Sicht geschieht das jetzt gerade, weil die Energiekosten schon eine Weile fallen.
Die dritte Stufe betrifft die US-Verbraucher. Sie bestimmen die weltweite Nachfrage massgeblich. In Laufe des derzeitigen Aufschwungs sind ihre Löhne gestiegen. Deshalb und wegen der fallenden Energiepreise haben US-Verbraucher mehr reale Kaufkraft. Allmählich scheint es, als würden sie ihr zusätzliches Einkommen zumindest zum Teil ausgeben, so dass die Nachfrage steigen dürfte.
Glauben Sie, dass diese leichten Verbesserungen ausreichen, um die Nachfrage nach risikoreicheren Assetklassen zu steigern?
Angesichts der sehr schwachen Markterwartungen in den letzten Monaten könnten diese ersten Zeichen einer Verbesserung tatsächlich zu einem wachsenden Interesse an risikoreicheren Wertpapieren beitragen. Trotz des schwachen Wachstums Ende 2015 und des Rückgangs der Ölpreise sind die Gewinnmargen von Unternehmen gestiegen - wenn man den Energiesektor herausrechnet. Da die Faktorkosten, wie die Preise von Energie und anderen Rohstoffen, fallen und die Zinsen niedrig bleiben, dürften die Gewinnmargen zahlreicher Unternehmen steigen. Für steigende Gewinne im Konsumverbrauchssektor braucht es nicht viel. Auch die Gewinne im Technologie- und Telekommunikationssektor könnten steigen, wenn ihre Umsätze auch nur ein bisschen anziehen. Die Konsensschätzungen für das Gewinnwachstum in diesem Jahr belaufen sich auf 2 bis 3 Prozent. Wenn die Umsätze ein wenig steigen, könnten es aus meiner Sicht bis zu 6 Prozent werden.
Wo werden die Umsatzsteigerungen denn herkommen?
Zum einen von den US-Verbrauchern. Wir können davon ausgehen, dass ihre Kaufkraft steigt - durch die etwas höheren Löhne, den Benzinpreisrückgang, geringere Heizkosten und fallende Preise für Bekleidung.
Seit einigen Monaten haben die Verbraucher diese Einsparungen auf die hohe Kante gelegt. Aber die Erfahrung lehrt uns, dass Verbraucher mehr ausgeben, wenn sie mit dauerhaft niedrigen Preisen rechnen, beispielsweise für Energie. Es besteht also ein Funken Hoffnung, dass die privaten Haushalte allmählich ihre Geldbeutel öffnen.
Wie sind die Aussichten für die US-Wirtschaft?
Wie es aussieht, wird die US-Wirtschaft nicht so bald wieder in eine Rezession fallen. Wahrscheinlicher ist eine Fortsetzung des schwachen Wachstums der letzten Jahre. Vor diesem Hintergrund wird die Fed das Risiko einer zu stark steigenden Inflation gering einschätzen und die Leitzinsen nur allmählich anheben. In einem solchen Umfeld könnten Anleger, zumindest die etwas jüngeren und risikobereiteren, durchaus über Investitionen in risikoreichere Assetklassen nachdenken.
James T. Swanson ist Chief Investment Strategist bei MFS Investment Management. In dieser Funktion trifft er regelmässig sowohl MFS Portfolio Manager und Analysten aus den Bereichen Ökonomie, Finanzmärkte und Gesundheitswesen wie auch aussenstehende Ökonomen, Regierungsbeamte, Wallstreet-Strategen und Analysten zur Wissensvertiefung innerhalb der globalen Ökonomie und zur Bewertung der Aktien- und Anleihemärkte.
Swanson stiess 1985 als Fixed Income Credit Analyst zu MFS und war als Portfolio Manager und Research Analyst tätig, bevor er 2001 Fixed Income Strategist und 2014 Chief Investment Strategist wurde.
Bevor er zu MFS kam, arbeitete Swanson 11 Jahre als Senior Investment Officer bei New England Mutual Life Insurance Company. Sein Examen machte er an der Colgate University und den MBA in Harvard. Er hat den CFA und ist Verwaltungsratsmitglied der Fixed Income Society of Boston.