«Der Kunde wird die digitale Transformation in der Vermögensverwaltung fordern»

07.11.2018
Herr Dr. Hunger, gemäss Medienspiegel tut sich gleichzeitig viel und wenig bei den unabhängigen Schweizer Vermögensverwaltern. Welche Themen interessieren Sie?
Die Entwicklung bei den Schweizer Vermögensverwaltern findet tatsächlich mehrdimensional statt. Das macht das erfolgreiche Navigieren für alle Leistungserbringer und Partner in deren Wertschöpfungsketten anspruchsvoll. Gegenwärtig interessieren mich besonders vier Themen: Erstens scheint sich die Industrie betreffend Regulierung ihrem Schicksal aktivistisch hinzugeben, indem sie beispielsweise bei der Umsetzung von Fidleg/Finig versucht - um die Worte des Verbandes Schweizerischer Vermögensverwalter VSV zu verwenden - «Licht und Schatten in der bundesrätlichen Vorlage» ausgewogen zu halten. Zweitens drängen neue Finanzdienstleister in den Vermögensverwaltungsmarkt mit dem Ziel, digitalen Vermögenswerten und neuen Technologien in der Vermögensverwaltung zum Durchbruch zu verhelfen. Drittens schickt sich die Vermögensverwaltungsindustrie an, endlich Frieden mit den Maschinen zu schliessen und sich zu «amazonisieren», das heisst, die On- und Offline-Welt als zumindest komplementäre Spielwiesen für die «hybride» Kundeninteraktion auszuschöpfen.
Und viertens?
Viertens schliesslich zeichnet sich die Branche gemäss jüngsten Studien durch eine gewisse Konsolidierungsresistenz aus. Ausschlaggebend dafür scheint die in der Branche stark verankerte Unantastbarkeit der eigenen Unabhängigkeit zu sein. Auch wenn die Konsolidierung bisher ausgeblieben ist, werden die neu in den Markt eintretenden Finanzdienstleister, die Regulierung und die steigenden Kosten für IT, Compliance und Risk Management zu Zusammenschlüssen und grösseren Einheiten führen. Der Plattformgedanke spielt bei den unabhängigen Vermögensverwaltern eine immer wichtigere Rolle, was sich nahtlos in die allgemeine strukturelle Entwicklung der Finanzindustrie einfügt.
Ihre Bank ist die bevorzugte Heimat für digitale Vermögensverwalter, sogenannte Robo-Advisor. Woher kommt das?
In der Tat haben wir es geschafft, uns für Robo-Advisor als besonders attraktiver Plattform- und Technologie-Partner im Markt zu positionieren. Ausschlaggebend ist unser konsequent globaler Ansatz: Als «Moderator» stellen wir unseren Partnern unsere Technologie-Plattformservices individuell konfigurierbar zur Verfügung - und dies unabhängig von Ort, Zeit und Endgerät. Open Banking wird so grenzenlos erlebbar.
Weshalb ist das für Robo-Advisor attraktiv?
Dadurch ermöglichen wir es unseren digitalen Vermögensverwaltungspartnern, sich auf die Distribution, sprich Kundeninteraktion respektive Kundenerlebnis zu fokussieren und nicht-strategische Wertschöpfungselemente von uns zu beziehen. Diese Auslagerung und Verringerung der eigenen vertikalen Leistungstiefe reichen von Multi-Asset-Liquiditätsoptimierung-Services bis hin zu Risk Management Tools.
Wie sieht es bei klassischen Vermögensverwaltern aus?
Auch hier helfen wir, die vertikale Leistungstiefe effizient zu verringern. Wir bieten ein weitreichendes und preislich sehr attraktives Plattform-, Produkt- und Service-Offering, das sich der Vermögensverwalter individuell zusammenstellen kann. Basierend auf unserem technologischen, auf einem vielfältigen API Layer basierenden Setup hat der Vermögensverwalter die Möglichkeit, sich nahezu beliebig mit unserer Infrastruktur zu verbinden.
Was heisst dies genau?
Er kann sein ortsunabhängiges Trading und Investing beispielsweise über Allokationsschlüssel und Online Bond Trading optimieren, den Datentransfer gestalten und Prozess- und Reporting-Lösungen flexibel einbinden. Zudem profitieren unsere Partner von einer flach organisierten und hochspezialisierten Organisation, von direktem Zugang zu sämtlichen Entscheidungsträgern und IT-Spezialisten sowie einem zentralisierten Portal für Marketing und Training.
Ist denn die Zeit für Digitalisierung schon gekommen oder kann man getrost noch etwas zuwarten?
Diese Diskussion hat sich meines Erachtens längst erübrigt. Die Digitalisierung ist in vollem Gange und demnach kein neues Phänomen mehr. Der Durchdringungsgrad von Technologie ist zwar abhängig vom jeweiligen Business-Modell des Vermögensverwalters und «digitization for the sake of digitial» bekanntlich keine Strategie.
Was muss der Vermögensverwalter tun?
Jeder Vermögensverwalter muss zusammen mit seinen Wertschöpfungspartnern bewusst und vorausschauend entscheiden, welchen Nutzen Technologie für seine Kunden heute und morgen stiften kann. Das Wunderbare an Technologie ist, dass sie - sofern erlebnisorientiert eingesetzt - das Kreieren individueller Kundenwelten ermöglicht, die On- und Offline-Begegnungen generationenübergreifend zusammenführt.
Was denken Sie wird in Zukunft das Vermögensverwaltungsgeschäft verändern?
Das ist eine spannende Frage, denn wir alle kennen die Zukunft nicht. Immerhin sehe ich einige Entwicklungen, die den Vermögensverwaltungsmarkt nachhaltig verändern können. Dazu gehört, dass die Regulierung den Einsatz von Technologie weiter begünstigen wird, was für digitale Vermögensverwaltungslösungen und Plattformanbieter spricht. Zudem wird sich die vertikale Leistungstiefe des Vermögensverwalters zusätzlich verringern respektive mit Unterstützung der Regulierung gänzlich auflösen. Kosten und Kosteneffizienz, Margendruck und Performance werden auch in Zukunft Wettbewerbstreiber sein und durch neue Konkurrenten zusätzlich akzentuiert.
Und wird sich die Schnittstelle zum Kunden verändern?
Die Kundenschnittstelle wird auch in der Vermögensverwaltung in Frage gestellt und insbesondere «Super Apps» und «Data Aggregator» werden die Kundenverhalten betreffend Convenience, Accessibility, Immediacy und Connectivity grundlegend verändern hin zu «Invisible Wealth Management».
Was ist mit dem Menschen?
Relationales Spezialwissen und «Human Interaction as a Service» dürfte angesichts der zunehmenden Bedeutung der Vorsorge, der Übertragung von Familienvermögen, der Betreuung von international vernetzten Familien und Unternehmen sowie vermehrtem Nachfragen von Nischenstrategien in Ergänzung zum digitalen Grundbedarf der Kunden künftig vermehrt gegen Entgelt nachgefragt werden.
Sehen Sie neue Geschäftsmodelle?
Die Leistungserbringung der Vermögensverwalter wird sich erweitern und «Operator»-Modelle, vergleichbar mit dem Wet Leasing in der Aviatik, werden sich etablieren und die Wertschöpfungsketten weiter aufbrechen. Auch werden die bereits genannten «Data Aggregator» als digitaler Integrations-Layer die Kundenschnittstelle streitig machen und den Zugang zu sowie den Umgang mit Vermögenswerten unabhängig von ihrer Beschaffenheit bzw. Aufbewahrung vereinfachen und den Druck auf die Leistungstransparenz zusätzlich erhöhen.
Zum Schluss: Was macht Technologie und wird die Industrie «amazonisiert»?
Vermögensverwaltung wird durch Technologie erlebnisorientierter sowie situativer werden, und digitale Vermögensverwalter werden künftig im Markt bestehen. Zudem werden digitale Vermögenswerte das geforderte Leistungsvermögen und -spektrum der Vermögensverwalter sowie deren Wertschöpfungsketten neu definieren. Technologie wird möglicherweise dem Beratungsgeschäft trotz umfangreichen Dokumentationspflichten wieder mehr Bedeutung zukommen lassen und den Siegeszug des Verwaltungsmandates relativieren. Allerdings wird die technologische «Literacy» der Kunden die Vermögensverwalter auch zunehmend zwingen, sich zu «amazonisieren».
Dr. Patrick Hunger wurde im Sommer 2016 zum CEO der Saxo Bank (Schweiz) AG berufen. Vor seinem Eintritt bei Saxo Bank war er über viele Jahre namentlich in der Finanzindustrie tätig als Legal und Corporate Counsel (Schweizerische Nationalbank und UBS Investment Bank), Global Head Compliance (CS Trust Group) und General Counsel (CS Trust Group). Patrick Hunger studierte an der Universität Zürich Rechtswissenschaften (Dr. iur und LL.M.), verfügt über ein Anwaltspatent (St. Gallen) und erwarb einen EMBA von der Universität Zürich sowie einen Executive Master in Organisationspsychologie von der INSEAD (EMCCC).