«Der Medizintechnik-Sektor bereitet oft Freude und selten Ärger»

18.09.2014
Herr Blum, was sind die wesentlichen Wachstumstreiber des Medizintechniksektors?
Die Reformen der staatlichen Gesundheitssysteme in den westlichen Industriestaaten zwingen Anbieter zu einer effizienteren Patientenversorgung. Diese geht einher mit neuen Produkten und Dienstleistungen. So kommen minimalinvasive Technologien zum Einsatz, die einen schnelleren Genesungsprozess nach sich ziehen. Zu den am schnellsten wachsenden Feldern in der medizinischen Behandlung zählt die Molekulardiagnostik. Sie ermöglicht die schnelle Diagnose von Krankheitsbildern und ist ein Schrittmacher für die personalisierte Medizin. Ihre Aufgabe besteht darin, zu erkennen, welche Patientengruppen aufgrund ihrer genetischen Veranlagung am besten für die Behandlung mit bestimmten Medikamenten geeignet ist. Nicht zuletzt weisen die aufstrebenden Schwellenländer einen erhöhten medizinischen Bedarf auf, der sich positiv auf die Sektorentwicklung niederschlägt.
Seit 2012 zeichnet sich eine deutliche Wachstumsbeschleunigung der Medtech-Unternehmen ab. Worin liegen die Gründe?
Während 2012 für die Unternehmen das Jahr der Marktstabilisierung war, dominierte 2013 die breit abgestützte Wachstumsbeschleunigung, vor allem in den reifen Märkten der Kardiologie und Orthopädie. Getrieben von einer Normalisierung der Patientenzahlen, einer unternehmerischen Neuausrichtung und einer daraus resultierenden Vielzahl von innovativen Produkteinführungen, die einen klaren medizinischen Mehrwert aufweisen, verfügen die Medtech-Unternehmen über ein stabiles Umsatz- und überdurchschnittliches Gewinnwachstum, das sich zukünftig noch weiter akzentuieren dürfte.
Wer sind die Gewinner?
Vor allem die grosskapitalisierten multinationalen Medizintechnikunternehmen gehören zu den Gewinnern, weil sie gegenüber den derzeitigen Herausforderungen gut gewappnet sind. Denn ähnlich zur Autoindustrie vor 25 Jahren erfährt die Gesundheitsindustrie auf allen Ebenen dramatische Veränderungen. Krankenhäuser müssen das finanzielle Risiko der Behandlung mittragen, was eine Konsolidierungswelle sowie Prozess- und Beschaffungsoptimierungen auslöst. Die Healthcare-IT-Software spielt dabei eine wichtige Rolle. Auf Zulieferseite, also bei den Medizintechnikanbietern, führt das zu vergleichbaren Entwicklungen: Tier-1-Anbieter liefern ganze Systeme und werden zum Dienstleistungs- und Outsourcing Partner. Beispielsweise hat das weltgrösste Medizintechnikunternehmen Medtronic damit begonnen, für Krankenhausketten Katheterlabore zu bauen, zu unterhalten und zu betreiben. Das bedeutet: Medtronic verkauft als «Shop-in-Shop» dem Krankenhaus zu Fixpreisen «All inclusive»-Herzschrittmacher- und Transkatheterherzklappen-Operationen und übernimmt damit auch die Verantwortung für das klinische Ergebnis. Damit kann das Unternehmen die Skaleneffekte in Produktion und Vertrieb noch besser ausspielen und aufgrund der gesicherten Abnahme bestimmter Absatzvolumina verliert der Margendruck auf der Preisseite etwas an Gewicht.
Und wer befindet sich auf der Verliererseite?
Für die Tier-2/3-Subsystem- und Komponentenzulieferer wird es schwieriger. Sie sind einem drastischen Preisdruckanstieg ausgesetzt und können nur dank stetiger Innovationen langfristig bestehen. Es ist davon auszugehen, dass sich in den kommenden Jahren eine neue Konsolidierungswelle abzeichnet, die ja bereits schon heute einen Anfang gefunden hat.
In diesen Zusammenhang ist der geplante Zusammenschluss zwischen Medtronic und Covidien zu erwähnen. Wie beurteilen Sie diesen M&A?
Der angestrebte Zusammenschluss von Medtronic und Covidien ist die Antwort auf die Herausforderungen der bereits erwähnten Industrialisierung. Das breite, umfassende Produktangebot schafft Synergien in der Logistik und im Vertrieb. Dadurch können die Kunden von tieferen Preisen profitieren und die Zulieferer wahren gleichzeitig ihre Ertragskraft. Der Zusammenschluss von Medtronic und Covidien kreiert nicht nur die Plattform für zukünftiges Wachstum, sondern auch einen sehr attraktiven Investment Case mit signifikantem Kurspotenzial. Das Umsatzwachstum beschleunigt sich, das Geschäft ist besser diversifiziert, die Eintrittsbarrieren sind hoch und dank einer kombinierten Marktkapitalisierung von 65 Mrd. US-Dollar werden neue Investorengruppen erreicht. Das Risiko-Ertrags-Profil von Medtronic wird deutlich attraktiver und zeigt zu vergleichbaren Konsumgüteraktien ein Aufwertungspotenzial von über 20 Prozent.
Welchen Stellenwert hat die Medizintechnik innerhalb des Gesundheitssektors? Ist die breitere Pharmabranche nicht ähnlich interessant?
Der MSCI Healthcare Index setzt sich zu gut zwei Dritteln aus Pharmatiteln zusammen, ergänzt durch jeweils etwa 10 Prozent Medizintechnik, Biotech und Medizinische Dienstleister. Die Medizintechnik ist der zweitwichtigste Subsektor, bleibt in der Asset Allocation aber häufig unbeachtet.
Die Investoren, welche ein konservativeres Risiko-Rendite-Profil bevorzugen, sollten die aktuellen sektorspezifischen Entwicklungen in ihren Investitionsentscheid miteinbeziehen. Beispielsweise hat der Pharmasektor während der «Patentkliff-Problematik» eine deutlich unterdurchschnittliche Performance gezeigt. Genau diese sektorspezifischen Entwicklungen im Medizintechniksektor stimmen uns positiv, dass der Medizintechniksektor sich in den nächsten Jahren in einer Aufwärtsspirale bewegen wird und das Potenzial hat, die breiten Aktienmärkte und den Pharmasektor in der Performance zu übertreffen.
Der BB Medtech Fonds hat seinen Wert seit seiner Auflegung 2009 um rund 70 Prozent gesteigert. Welchen Anlagestil verfolgen Sie?
Besonders interessant sind Large Caps, welche vom Umbruch im Gesundheitswesen profitieren und ihre Grössenvorteile ausspielen können. Ausserdem setzen wir auf wachstumsstarke und innovative Small- und Mid-Cap-Unternehmen, deren Aktienkurse von verstärkten M&A-Aktivitäten profitieren dürften. Ein weiterer Investitionsfokus liegt auf Unternehmen mit grossem Umsatzanteil in den aufstrebenden Märkten, welche bereits 50 Prozent des globalen Wachstums generieren. Generell verfolgen wir einen konservativen und von Vorsicht geprägten Anlagestil, den wir trotz der allgemein euphorischen Stimmung an den Aktienmärkten und potenziell geringerem Interesse an hohen Dividendenrenditen beibe¬halten und investieren weiterhin schwergewichtig in solid finanzierte Unternehmen mit hoher Free-Cash-Flow-Rendite.
Und für welche Anleger eignet sich der Fonds?
Er eignet sich besonders für Anleger mit einem Anlagehorizont von mindestens fünf Jahren, die ihr Portfolio gezielt durch Anlagen im Medizinaltechniksektor diversifizieren wollen und bereit sind, die für diesen Sektor üblichen Aktienrisiken zu tragen.
Stefan Blum trat 2008 bei Bellevue Asset Management AG ein und ist Lead Portfolio Manager des BB Medtech (Lux) Fonds. Er verfügt über 15 Jahre Berufserfahrung im Bereich Healthcare. Vor seinem Eintritt bei Bellevue Asset Management war er während vier Jahren verantwortlich für die Betreuung der Investoren beim weltgrössten Hörgerätehersteller Sonova. Bei der Bank Sarasin (heute Bank J. Safra Sarasin) war Stefan Blum von 1996 bis 2000 als Finanzanalyst tätig und betreute den Medizinaltechnik- und Hightech-Sektor. Ausserdem leitete er die Finanzabteilung von Obtree Technologies Inc. und beriet Schweizer börsennotierte Unternehmen in strategischen Investor-Relations-Fragen. Stefan Blum schloss sein Studium in Wirtschaftswissenschaften an der Universität St. Gallen ab und ist Absolvent der AZEK.