«Der Regulierungs-Tsunami nimmt viel Zeit in Anspruch»

11.02.2022
Herr Sauterel, die Inflationsentwicklung ist derzeit das alles beherrschende Thema. Können Sie als Aktienspezialist angesichts der aktuellen Inflationszahlen noch ruhig schlafen?
Wir erleben in der Tat eine hohe und volatile Inflation, aber zum Glück passen sich Unternehmen und Anleger an. Der Übergang zu einem inflationären Umfeld ist sicherlich brutal, aber es stellen sich neue Gleichgewichte ein… bis es zum nächsten Umbruch kommt. Schauen Sie sich die Fundamentaldaten an: Die wirtschaftlichen Aussichten sind solide, das globale Wachstum wird voraussichtlich 4.4 Prozent im Jahr 2022 erreichen. Die Gewinn- und Ertragsaussichten der Unternehmen sind positiv, zumal die Nachfrage stark bleibt und die in den letzten 18 Monaten angehäuften Ersparnisse eine erhebliche Reserve für Konsum und Investitionen darstellen. Unsere Managementteams sind reaktiv. Wir bevorzugen insbesondere Unternehmen, die über eine Preissetzungsmacht verfügen, d.h. die in der Lage sind, ihre Preise nach oben anzupassen. Das ist in diesem Marktumfeld unbestreitbar notwendig. Ausserdem achten wir besonders auf ein striktes Management der operativen Kosten. Wir bevorzugen Managementteams, die sich in diesem Bereich bewährt haben. Unternehmen, die es verstehen, ihre Kosten und ihre Lieferkette zu steuern, werden von diesem Umfeld profitieren, wie dies beispielsweise in den 1980er Jahren der Fall war.
Wo sehen Sie die Chancen für Aktieninvestoren?
Eine der Herausforderungen im laufenden Jahr wird darin bestehen, Aktien mit angemessenen Bewertungen zu finden, die vor einem zu starken Rückgang der Multiples schützen. D.h. es geht um Unternehmen mit soliden Fundamentaldaten, welche die Gewinnerwartungen erfüllen. Die andere Herausforderung besteht darin, die Volatilität zu nutzen, die nach mehr als 18 Monaten steigender Märkte interessante Einstiegspunkte bieten wird. Die Rückkehr der Inflation wird zwar zu einer Verschärfung der monetären Bedingungen führen, wird aber durch eine robuste Nachfrage untermauert. Für Unternehmen mit soliden Fundamentaldaten und der Fähigkeit, die Preise anzupassen, ist dies bei weitem nicht das denkbar schlechteste Umfeld. Ein Teil unserer thematischen Strategien investiert auch in Megatrends, strukturelle Trends, die die Wirtschaft von morgen prägen werden. Dies sind langfristige Investitionen, die es uns ermöglichen, unsere Portfolios zu diversifizieren und die Zukunft zu antizipieren. Dies gilt zum Beispiel für Künstliche Intelligenz und die Raumfahrt.
Ein Thema, das kürzlich hohe Wellen geschlagen hat, ist der «grüne Stempel», den die EU der Kernenergie und dem Erdgas verliehen hat. Inwieweit beeinflusst dies Ihre Investitionsentscheidungen?
Der Grund für die Aufnahme der Kernenergie ist, dass die Schwankungen der erneuerbaren Energien mittelfristig ausgeglichen werden sollen. Einige befürchten, dass durch die Einbeziehung der Übergangsenergien in die Taxonomie langfristig die Gas- oder Kernkraftinfrastrukturen aufrechterhalten werden. Wir stehen erst am Anfang eines langen Weges. Heute sind nur wenige Sektoren erfasst, und der Prozess sollte bis Ende 2023 abgeschlossen sein. Diese Einbeziehung wird kaum Auswirkungen auf unser Investment Management haben. Als verantwortungsvoller Investor müssen wir über die reine Regulierung hinausgehen. Gas- und Nuklearaktivitäten spielen in unseren Portfolios eine sehr geringe Rolle und werden für einen Teil unserer SRI-Aktienfonds im Zusammenhang mit der Erlangung verschiedener europäischer Labels ausgeschlossen.
Welche Rolle spielt die Politik bei der Umschichtung von Vermögenswerten in nachhaltige Lösungen? Sollte der Markt dies regeln, und brauchen wir neue Vorschriften?
Das Problem liegt heute in der fehlenden Einheitlichkeit der verschiedenen Vorschriften, insbesondere zwischen den nationalen Richtlinien, dem europäischen und dem internationalen Rahmen. Der Regulierungs-Tsunami, mit dem wir konfrontiert sind, nimmt viel Zeit der SRI-Teams bei den Asset Managern in Anspruch, ganz zu schweigen von der Unschärfe des Rahmenwerks, welche die Anwendung komplex und uneinheitlich macht. Die Bedeutung, die der «Sustainable Finance Disclosure Regulation» (SFDR) in den letzten Monaten beigemessen wurde, erscheint uns unverhältnismässig. Da diese europäische Verordnung freie Hand bei der Auslegung lässt, führt sie zu einer Unklarheit zwischen den Vermögensverwaltern und deren Kunden. Und je grösser die Unklarheit ist, desto mehr Raum gibt es für Greenwashing. Eine Harmonisierung der Vorschriften wäre für alle von Vorteil.
Wo sehen Sie bei der Greenwashing-Problematik den grössten Handlungsbedarf?
Aus unserer Sicht gibt es nur wenige Initiativen, die gegen Greenwashing vorgehen. Im März 2021 forderte die «Net Zero Asset Manager Initiative», der LFDE beigetreten ist, die Unterzeichner auf, ihre Klimaverpflichtungen zu konkretisieren, indem sie quantifizierte Ziele festlegen und ein Referenzszenario als gemeinsame Grundlage wählen. Dies ist ein Weg, um von deklarativen Erklärungen wegzukommen und zu konkreten Massnahmen überzugehen, um das Risiko zu begrenzen, das den Worten keine Taten folgen. Bei LFDE steht Transparenz an erster Stelle. Es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, unsere Vorgehensweise und unsere Produkte klar zu erläutern, unsere Ziele beruhen auf Transparenz und wir setzen alles daran, sie zu erreichen. Transparenz ist entscheidend. Unsere gesamte Dokumentation ist auf unserer Website frei zugänglich, ob es sich nun um unsere Grundsätze und Strategien oder um spezifische Reportings, wie die Jahresberichte unserer Impact Funds, handelt. Wichtig ist, dass die Botschaft an den Anleger klar ist und keine Zweifel aufkommen, wie die Gelder angelegt werden; aus diesem Grund ist Transparenz unerlässlich.
Link zum Disclaimer
Alexandre Sauterel ist Country Head Schweiz bei LFDE - La Financière de l'Echiquier. Zu seinen früheren Stationen gehören Fidelity, Invesco sowie Lombard Odier IM. Die französische Fondsgesellschaft ist spezialisiert auf europäische und globale Aktienstrategien. Sauterel absolvierte einen MBA in Wirtschaftswissenschaften an der Universität Freiburg.