«Der Renminbi wird in den kommenden Jahren deutlich an Stellenwert gewinnen»

Country Head Switzerland, Sales & Client Management
Eurizon Capital S.A., Zürich
eurizoncapital.com
24.06.2021
Herr Dalla Corte, der Wert des US-Dollars hat sich in den letzten zwölf Monaten deutlich abgeschwächt. Sehen wir hier den Anfang vom Ende der US-Währung als Weltleitwährung?
Das glaube ich nicht. Zwar hat sich die US-Währung in den letzten zwölf Monaten tatsächlich abgeschwächt, aber das sehen wir ja immer wieder, dass der Wert des Dollars im Laufe der Zeit und in verschiedenen Phasen des Konjunkturzyklus schwanken kann - genau wie andere Währungen und Vermögenspreise. Solche Schwankungen im Wert des Dollars sollten nicht mit dem globalen Status des Dollars in Verbindung gebracht werden. Zwar ist der Marktanteil des Dollars als Reservewährung laut Zahlen des Internationalen Währungsfonds (IMF) von rund 66 Prozent im Jahr 2015 auf rund 60 Prozent gesunken. Allerdings entspricht Letzteres in etwa dem Niveau von Mitte der 1990er-Jahre. Gemessen an seinem Marktanteil ist die Beliebtheit des Dollars als Reservewährung also weiterhin relativ hoch, trotz des allmählichen Abwärtstrends in den letzten Jahren. Viel wichtiger ist meines Erachtens die regelmässige Umfrage der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) unter ihren 53 Mitgliedszentralbanken, darunter alle grossen Zentralbanken der Welt, zu den in ihrem Zuständigkeitsbereich getätigten Währungstransaktionen. Laut dem jüngsten BIZ-Bericht aus dem Jahr 2019 betrug der tägliche Devisenumsatz 6.6 Billionen US-Dollar, wovon fast die Hälfte auf den Dollar entfiel. Auf den Renminbi (RMB) entfiel hingegen nur ein Bruchteil des gesamten Umsatzes. Daher gehe ich nicht davon aus, dass der Renminbi jemals die internationale Rolle des US-Dollars herausfordern wird, ähnlich wie dies dem Euro nicht gelungen ist.
Die chinesische Regierung hat Interesse an einer starken Währung. Dennoch spiegelt der Renminbi an den Währungsmärkten bei weitem nicht die wirtschaftliche Stärke Chinas wider. Weshalb?
Obwohl laut Zahlen von IMF, Weltbank und BIZ Chinas BIP im Jahr 2019 den zweiten Platz in der Welt einnahm, der Gesamthandel ebenfalls den zweiten und die Staatsverschuldung den vierten Platz, betrug der Währungsumsatz nur rund vier Prozent des weltweiten Gesamtumsatzes. Man könnte also sagen, dass der Renminbi bei Weitem nicht die wirtschaftliche Stärke Chinas widerspiegelt. Dazu ist allerdings auch festzuhalten, dass nach Recherchen von Eurizon SLJ Capital die Kapitalströme etwa 50 Mal so hoch sind wie die Handelsströme - weniger als zwei Prozent des täglichen Umsatzes an den Devisenmärkten beziehen sich auf die Abwicklung des Handels. Hinzu kommt, dass sich Peking jahrzehntelang auf die Entwicklung der Realwirtschaft konzentriert hat und viel weniger auf die des Finanzsektors. Die Kapitalmärkte in China sind zwar gross, aber ineffizient und noch nicht ausreichend verfeinert, um die enorme Realwirtschaft zu ergänzen. Gleichzeitig haben sich ausländische Investoren bis vor kurzem kaum an den chinesischen Kapitalmärkten beteiligt, und die ausländische Marktdurchdringung ist immer noch gering. Ebenso verfügt der chinesische Privatsektor nicht über grosse ausländische Vermögensbestände.
Wie steht es um die Stärke und die Rolle des Euros?
Tatsächlich hat die Einführung des Euro im Jahr 1999 den internationalen Status entgegen den zuversichtlichen Erklärungen einiger Experten nicht gestärkt. Die Zahlen von IMF, Weltbank und BIZ zeigen, dass der Umsatz des Euros um rund ein Drittel unter dem liegt, was die Wirtschaftskraft der Eurozone rechtfertigen würde. Tatsächlich hat der mexikanische Peso demzufolge eine höhere Umsatzquote als der Euro. Dies ist bemerkenswert, weil die Eurozone eine entwickelte Wirtschaft ist, mit hochentwickelten Kapitalmärkten und einem lebhaften Handel. Ausserdem verfügt die EU über eine starke Soft Power und die EZB ist genauso transparent wie die Fed. Unserer Meinung nach ist der Hauptgrund für das Missverhältnis, dass die Eurozone in Bezug auf ihre Politik und ihren Fokus regional orientiert ist. Auch sind die meisten Finanzzentren in Europa lokal oder national ausgerichtet, nicht aber internationale Finanzzentren wie London, New York, Hongkong oder Singapur.
Um noch einmal auf China zurückzukommen - was unternimmt die chinesische Regierung, um die Relevanz der eigenen Währung zu erhöhen?
Peking hat im Jahr 2018 unter der Führung von Guo Shuqing, dem Chairman der China Banking & Insurance Regulatory Commission, ein aggressives Programm von Finanzreformen verabschiedet, mit dem Ziel, die Qualität dieses Sektors durch bessere Governance, grössere Transparenz und strengere Vorschriften zur Eindämmung übermässiger Verschuldung zu verbessern. Die eingeleitete Reform des Finanzsektors dürfte noch weitergehen, in Richtung Marktliberalisierung sowie einer Aufwertung und Öffnung der chinesischen Finanzmärkte, was den Marktanteil des chinesischen RMB im internationalen Handel deutlich erhöhen könnte.
Wie beurteilen Sie die weitere Entwicklung des Renminbis?
Die Zukunft des RMB ist unseres Erachtens nach rosig. Eine Fortsetzung der Währungsliberalisierung, einschliesslich der schrittweisen Aufhebung der Kapitalverkehrskontrollen, dürfte den Umsatz des RMB steigern. Die Erfahrungen der Schwellenländer können hier hilfreich sein, die in den 1980er- und 1990er-Jahren feste Wechselkurssysteme mit offenen Kapitalkonten unterhielten. Durch diese Konstellation waren sie in der Dreifaltigkeit gefangen, auch die inländischen Zinskonditionen managen zu müssen. Aber die Einführung von Inflationszielen und die Tatsache, dass die globalen Zinssätze synchron nach unten tendierten, brachten Ruhe und grössere Währungsumsätze. Chinas Vorgehen war anders: Es hat die Kapitalkontrollen so lange beibehalten, bis die Binnenwirtschaft, die Inflationskontrolle und die Gesundheit des Bankensystems ein zufriedenstellendes Niveau erreichten, sowohl was die Grösse als auch die Qualität betrifft. Nun kann China durch eine schrittweise und strategische Lockerung der Kapitalkontrollen im Einklang mit der zunehmenden Widerstandsfähigkeit der heimischen Wirtschaft sowie des Finanz- und Bankensektors den RMB allmählich zu einer bedeutenden internationalen Währung ausbauen. Daher gehen wir bei Eurizon davon aus, dass der RMB in den kommenden Jahren einen deutlich höheren Marktanteil erreichen wird - aber der US-Dollar bleibt King.
Link zum Disclaimer
Manuel Dalla Corte, Country Head Switzerland bei Eurizon, verfügt über eine 20-jährige Erfahrung in der Finanzindustrie mit besonderer Expertise in der Betreuung institutioneller Anleger. Er ist für die Entwicklung des Geschäfts in der Schweiz verantwortlich und arbeitet eng mit Banken, Vermögensverwaltern, Asset Managern und institutionellen Kunden zusammen. Vor dem Wechsel zu Eurizon arbeitete Dalla Corte in den letzten 15 Jahren im Asset Management in der Betreuung institutioneller Kunden in Südeuropa. Zuletzt war er bei Aviva Investors für den Aufbau des Vertriebs in Südeuropa verantwortlich und davor bei Jefferies und Lombard Odier tätig. Manuel Dalla Corte ist Certified International Investment Analyst und hält einen Bachelor of Business Administration von der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich.