«Der vermeintliche Guru ist in Wahrheit Teil des Anlageproblems»

13.07.2016
Herr Masarwah, das erste Halbjahr ist um. Was fällt Ihnen dazu zum Schweizer Fonds-Markt spontan ein?
Vielleicht stehe ich noch zu sehr unter dem Eindruck des Brexit-Referendums, aber mir fällt zu dieser Frage spontan ein, dass Investmentzyklen immer kürzer werden. Auch bei Fonds. Das ist eigentlich absurd, denn Fonds sind langfristige Anlagevehikel. Wenn kurz nach dem Referendum in den Medien die ersten Rennlisten kursieren, die zeigen, welche Fonds an den zwei Brexit-Crash-Tagen mehr und welche weniger als ihre Benchmark verloren haben, dann kann ich mich nur wundern. Solche Statistiken sagen nichts aus, im Zweifel sind sie sogar schädlich. Sollen sie eine Handlungsanweisung darstellen? Herzlichen Glückwunsch, denn in der Woche darauf sind die Verluste an vielen Märkten in Teilen wieder wettgemacht worden! Man kann nur hoffen, dass Berater solche Rennlisten nicht zum Anlass nehmen, um Anleger aus bestimmten Fonds heraus- und in andere hereinzudrehen…
Kurzfristigkeit sollten Anleger nur bei ETFs ausleben?
Nein, auch dort nicht, auf keinen Fall! ETFs sind zwar börsennotiert und als solche sekündlich Real Time handelbar. Aber das ist für die allermeisten Investoren irrelevant, denn sie haben einen langfristigen Anlagehorizont. Übrigens gilt das auch für die Profis. ETFs entfalten ihr Potenzial langfristig. Wer ETFs intraday handelt, weil sie intraday handelbar sind, vernichtet Performance. Ich kann anlässlich dessen immer wieder nur die Studie mit dem phantastischen Namen «Dark Side of ETFs» anführen, die gezeigt hat, dass ETFs zu häufigem Trading animieren und damit die Anleger-Rendite vermindern. Aber da Sie das Stichwort ETFs erwähnen, können wir auch gleich zum zweiten Aspekt kommen, der mir in diesem Jahr am Fondsmarkt aufgefallen ist.
Bitte!
Dass europaweit eine Abwanderung der Anlegergelder von aktiv verwalteten Aktienfonds hin zu ETFs und anderen passiven Fonds stattfindet, ist ja inzwischen eine Binsenweisheit. Der Trend setzt sich ungebrochen fort, und verzeichnen Aktien-ETFs in einem Monat einmal Mittelabflüsse, kann man davon ausgehen, dass die Abflüsse aus aktiv verwalteten Aktienfonds noch höher sind. Dass sich diese Sogwirkung nunmehr auch auf der Bond-Seite entfaltet, ist in der Nachhaltigkeit, die wir sie im ersten Halbjahr gesehen haben, schon bemerkenswert.
Die Manager aktiver Rentenfonds müssen also noch aktiver werden und mutigere Entscheidungen treffen.
Jein, so einfach ist das nicht, übrigens auch nicht bei Aktienfonds. Natürlich sollten aktive Manager auch aktiv sein und nicht aktive Gebühren für eine indexnahe Leistung vereinnahmen. Aber das ist nur ein Teil der Gleichung. In Zeiten tiefster, ja teilweise sogar negativer Renditen müssen die Gebühren von Rentenfonds auf den Prüfstand. Bei den meisten Fondskategorien sind die Gebühren längst nicht so weit zurückgegangen, wie es hätte der Fall sein müssen. Wenn Sie heute mit Rentenmanagern sprechen, dann geht es nicht um die Frage, ob sie auf risikoreiche Segmente setzen, sondern darum, wie weit es in den High-Yield-Bereich geht. Man tut so, als ob es das Natürlichste der Welt ist, Anleger, die vermutlich auf der Bond-Seite Risiken vermeiden wollten, immer stärker in risikoreiche Assets zu treiben, die eine hohe Korrelation mit Aktien aufweisen. Vielleicht wäre es eher an der Zeit, Investoren reinen Wein einzuschenken, dass nämlich die Asset-Klasse «Bonds» derzeit nur magere Prämien bietet. Zeitgleich sollten die Gebühren für Bondfonds signifikant gesenkt werden, vor allem in solchen Strategien, bei denen der Anbieter Skaleneffekte infolge hoher Volumina erzielt. Das Gleiche gilt übrigens auch für konservative Mischfonds, die überwiegend sichere Assets auf der Bond-Seite einsetzen sollten. Die Gebühren gehören dringend auf den Prüfstand.
Welchen Wunsch haben Sie an die Industrie für die nähere Zukunft?
Die Vermögensverwaltung entwickelt sich infolge des technologischen Fortschritt rasant weiter. Inzwischen ist man sich weitgehend einig, dass es vielfältige Renditequellen quer über alle Asset-Klassen gibt, und man ist sich auch einigermassen einig, wo sie verortet sind. Die Welt der Kapitalanlage wird also zugleich immer transparenter. Ich würde mir vor diesem Hintergrund eine kritischere Herangehensweise der Anleger und ihrer Berater wünschen, die sich leider viel zu oft auf die Suche nach dem ultimativen Guru machen, der vorgibt, schlüsselfertige Lösungen von Anlageproblemen servieren zu können. Aber wer Renditen verspricht, muss auch Risiken eingehen. Und die Risikoquellen sind bekannt. Es ist an der Zeit, dass erkannt wird, dass Anlageerfolg und Anlagerisiko zwei Seiten derselben Medaille sind. Wer vorgibt, Anlegern einen Free Lunch zu servieren, erweist sich häufig im Nachhinein als Teil des Problems. Ich glaube, ein Problem, das auch der ganze technologische Fortschritt nicht lösen wird, sind die überzogenen Erwartungen der Anleger. Sie müssten sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass wir uns vermutlich in einer länger andauernden Phase bewegen, in der alle Asset-Klassen im historischen Vergleich unterdurchschnittliche Renditen liefern. Und gerade deswegen gewinnt das Thema Kosten eine immer grössere Bedeutung.
Ali Masarwah ist Mitglied im europäischen Research-Team von Morningstar und als Chefredaktor für die deutschsprachigen Webseiten von Morningstar verantwortlich. Seit Juni 2015 ist er zudem als Direktor für das Editorial Team von Morningstar EMEA zuständig. Nach seinem Volontariat bei der Wirtschaftsnachrichtenagentur ADX in Berlin fand er recht zügig den Zugang zum Thema Investmentfonds. Im Jahr 2000 wurde er Mitglied der Fondsredaktion bei der Nachrichtenagentur vwd, die er von 2001 bis 2003 leitete. 2003 wechselte Ali Masarwah zur portfolio Verlagsgesellschaft, Frankfurt, wo er zunächst als Chefredaktor das Magazin «portfolio international» übernahm. Von 2006 bis zu seinem Wechsel zu Morningstar im Herbst 2011 hatte er zusätzlich als Redaktionsleiter die journalistische Verantwortung für alle Magazine und Webseiten des Verlags inne.