«Die Aktiv-/Passiv-Diskussion wird auf allen Ebenen geführt - manchmal allerdings zu Unrecht»

01.06.2016
Herr Glow, bald ist das erste Halbjahr um. Was geht Ihnen dabei sofort durch den Kopf?
Das erste Halbjahr 2016 war für die europäische Investmentindustrie aus meiner Sicht sehr durchwachsen. Während das erste Quartal durch die Marktschwankungen im Januar und Februar geprägt war, hat sich der Fondsabsatz im März und April wieder stabilisiert. Wir liegen zwar noch lange nicht auf dem Rekordniveau des Vorjahres, aber der Markt scheint jetzt wieder stabil zu wachsen. Von daher gehe ich für das Gesamtjahr 2016 von einem guten Jahr für die Investmentindustrie aus.
Kamen mehr «Überraschungen» von der ETF- oder der Fonds-Seite?
Insgesamt betrachtet hat das Jahr 2016 in der europäischen Investmentindustrie bisher noch keine grossen Überraschungen gezeigt. Dennoch war es für mich persönlich überraschend zu sehen, das die sogenannten «liquid Alternatives» oder auch «Alternative UCITS» in den ersten drei Monaten des Jahres die meistgekaufte Anlagekategorie waren.
Hier kann man sicherlich davon sprechen, dass die Anleger in Europa bei ihrer Suche nach Rendite in diesem Bereich fündig geworden sind. Dieser Trend ist allerdings nicht neu, denn diese Anlageklasse konnte, mit Ausnahme des Jahres 2014, schon in den Vorjahren hohe Mittelzuflüsse auf sich vereinen.
Wir haben die Mittelbewegungen in dieser Anlagekategorie über die letzten fünf Jahre hinweg untersucht und dabei festgestellt, dass die Anleger diese Produkte aus einem bestimmten Grund zu kaufen scheinen. Denn die neuangelegten Gelder flossen nur zu einem Teil in die Produktkategorie mit der höchsten Wertentwicklung. Vielmehr scheint es so zu sein, dass die Investoren sich mit den Anlagezielen der Fonds auseinandergesetzt haben und die Produkte kaufen, die zu ihren persönlichen Anlagezielen passen. Dass die Wertentwicklung dabei auch eine Rolle spielt, zeigt sich dann innerhalb der Vergleichsgruppen, denn die Anleger bevorzugten hier die Fonds, die in der Verangenheit eine überdurchschnittliche Wertentwicklung erzielen konnten.
Die beiden Seiten nähern sich dank den Smart Beta ETFs an. Teilen Sie diese Einschätzung?
Dass sich ETFs und aktiv gemanagte Fonds immer weiter annähern, zeigt sich gerade in den USA, wo immer mehr klassische aktive Fondsmanager planen, eine eigene ETF-Palette aufzulegen. Dies war allerdings zu erwarten, denn am Ende des Tages ist der ETF nichts anders als ein neuer, hocheffizienter Vertriebsweg, mit dem sich die Fondsanbieter relativ schnell und preiswert neue Märkte, Kundengruppen und Vertriebswege erschliessen können.
Somit werden die beiden Produktkategorien ETF und traditioneller Publikumsfonds meiner Ansicht nach im Laufe der Zeit weiter zusammenwachsen und irgendwann wahrscheinlich miteinander verschmelzen, sodass wir dann ETFs Indexfonds und aktiv gemanagte Fonds unterscheiden werden.
Soweit sind wir aber selbst in den USA noch lange nicht. In Europa ist gerade erst das Thema Smart Beta den Kinderschuhen entwachsen und fängt an, sich in den verschiedensten Arten im Markt zu etablieren. Wir sind hier also noch ein paar Schritte weiter davon entfernt, dass aktiv gemanagte Produkte als ETFs aufgelegt werden. Dies könnte sich jedoch schnell ändern, wenn die grossen aktiven Manager in den USA mit ihrer ETF-Initiative erfolgreich sind. Denn ich könnte mir vorstellen, dass sie diese Produkte dann auch schnell nach Europa bringen werden.
Was denken Sie über die derzeitige Diskussion über vermeintlich aktive Manager, die aber im Grunde nur ihrem Index folgen.
Grundsätzlich denke ich, dass diese Diskussion gut ist, denn sie könnte die gesamte Industrie neu beleben und zu einem Umdenken bei dem Thema des relativen Risikomanagements führen. Denn meiner Ansicht nach hilft es keinem Anleger, wenn sein Fondsmanager sich an Risikovorgaben halten muss, die von einer Benchmark abgeleitet werden. Denn dies kann bedeuten, dass der Manager eine sehr negative Meinung zu einem Titel hat, er diesen aber trotzdem zu einem Anteil im Portfolio halten muss, da er in der Benchmark ist. Dies macht aus meiner Sicht keinen Sinn.
Allerdings sagt die Aktivität eines Fondsmanagers allein nichts über die Qualität eines Fonds aus. Denn nur weil ein Manager viel Aktivität zeigt und weit von seinem Index abweicht, heisst dies noch lange nicht, dass der Manager mit diesen Transaktionen auch einen Mehrwert für seine Anleger erzielen kann. Somit ist die Annahme, dass eine hohe Aktivität gut sei, ein gedanklicher Fehler, der in der derzeitigen Diskussion um den sogenannten «Active Share» gemacht wird. Meiner Ansicht nach muss die Diskussion in eine andere Richtung geführt werden, denn am Ende des Tages muss die Rendite in einem positiven Verhältnis zum eingegangen Risiko stehen, dies kann zum Beispiel mit der «Information Ratio» berechnet werden. Dies heisst nicht, dass der «Active Share» überflüssig ist, aber ich denke, dass die derzeitige Diskussion um diese Kennzahl falsch geführt, denn sie ist nur eines der Instrumente, das bei der quantitativen Fondsanalyse eingesetzt werden kann. Ein vollständiges Bild ergibt sich aber erst, wenn man mehrere Kennzahlen miteinander kombiniert.
Ich finde auch, dass die von professionellen Investoren in einigen Ländern eingereichten Schadenersatzklagen gegen Fondsanbieter, deren Fonds vermeintlich zu nah an ihrem Index kleben, zu weit gehen und hoffe, dass die Richter hier ein gesundes Augenmass behalten. Schliesslich sollten gerade professionelle Investoren in der Lage sein anhand der Wertentwicklung zu beurteilen, ob ein aktiv gemangter Fonds ein vermeintlicher Indexfonds ist und ob die für die erbrachte Leistung geforderte Verwaltungsvergütung gerechtfertig ist.
Bei Privatanlegern ist dies allerdings anders zu bewerten und hier hoffe ich, dass die europäischen Marktregulatoren tatsächlich verbindliche Kennzahlen einführen, mit denen die Anleger einfach und verständlich die Qualität eines Fonds beurteilen können. Wobei man hier nicht vergessen darf, dass sich alle Kennzahlen nur auf die Vergangenheit beziehen und auch der Privatanleger Eigenverantwortung übernehmen und die Entwicklung der jeweiligen Kennzahlen auch nach dem Kauf eines Fonds weiter verfolgen muss.
Detlef Glow, MBA (UoW), begann im Jahr 2005 als Leiter der Fondsanalyse für Deutschland und Österreich bei Thomson Reuters Lipper. Anfang 2007 übernahm er die Leitung für die Regionen Zentral-, Nord- und Osteuropa. Seit Oktober 2010 ist Detlef Glow Leiter der Fondsanalyse von Lipper in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika (EMEA). Zuvor war er als Direktor Portfoliomanagement bei der Feri Wealth Management GmbH in Bad Homburg als Portfoliomanager für vermögende Privatkunden tätig. Seine Karriere begann Glow neun Jahre zuvor bei der tecis Holding AG in Hamburg, wo er zuletzt als Leiter der Fondsanalyse sowohl für das quantitative als auch das qualitative Fondsresearch der tecis Asset Management AG verantwortlich war.