«Die Auswahl des Index hat erhebliche Auswirkungen»

Head Passive & ETF Specialist Sales Switzerland & Liechtenstein, Asset Management
UBS AG, Zürich
ubs.com/etf
02.06.2017
Herr Müller, für viele Investoren, die systematisch die Risikoprämien der Aktienmärkte einfangen wollen, sind passive Anlagevehikel wie ETFs aufgrund ihrer Liquidität und günstigen Kostenquote mittlerweile das Mittel ihrer Wahl. Was müssen Anleger bei der Auswahl der ETFs beachten?
Anleger sollten vor allem genau prüfen, ob der zugrundeliegende Index geeignet ist, um ihre Anlageziele zu erreichen. Bei den Kernkomponenten eines passiven Anlageportfolios geht es um die Abbildung der Marktentwicklung. Dabei haben Anleger üblicherweise die Auswahl zwischen Blue-Chip-Indizes und breiteren Marktindizes. Diese Entscheidung kann erhebliche Auswirkungen haben. Dass ein breiterer Index repräsentativer ist, liegt auf der Hand. Entscheidend ist jedoch, dass sich die Segmente des Marktes, die Anleger damit zusätzlich abbilden, in vielen Fällen dynamischer entwickeln als das Spitzensegment der jeweils grössten Unternehmen.
Können Sie das an einem Beispiel erläutern?
Der EURO STOXX 50 gilt als Leitindex für die Eurozone und dominiert die öffentliche Wahrnehmung, so wie in ihren jeweiligen Regionen der Dow Jones Industrial Average, der DAX oder der SMI. Die darin enthaltenen Large Caps stehen für rund 54 Prozent des Gesamtmarktes, die Marktkapitalisierung des kleinsten Unternehmens betrug Ende April 15,9 Mrd. Euro. Nehmen wir zum Vergleich den MSCI EMU Index, der auch Unternehmen aus der zweiten Reihe berücksichtigt. Er deckt etwa 85 Prozent des Marktes ab. Das kleinste Unternehmen wies im April eine Marktkapitalisierung von 2,7 Mrd. Euro auf. Es ist bekannt, dass sich die Kurse kleinerer Unternehmen im Mittel besser entwickeln - Anleger versuchen ja nicht umsonst, diese Grössenprämie gezielt einzufangen. Dieser Unterschied in der Marktabdeckung macht sich auch bei den Renditen bemerkbar: Der MSCI EMU Index hat seit Januar 1999 im Vergleich jährliche Überrenditen von rund 80 Basispunkten erzielt.
Lässt sich diese Beobachtung aus der Eurozone auch auf andere Bereiche, etwa einzelne Länder, übertragen?
In vielen Fällen ist das so, auch wenn die Effekte geringer ausfallen. Die Blue-Chip-Indizes sind von Land zu Land unterschiedlich stark konzentriert, ausserdem kommen länderspezifische Faktoren zum Tragen. Im Vereinigten Königreich umfasst der Leitindex 100 Titel, in der Schweiz sind es dagegen nur 20 Titel. In allen Fällen aber sind die entsprechenden MSCI-Indizes breiter aufgestellt und erzielen seit 1999 meist annualisierte Überrenditen gegenüber den Leitindizes. Besonders hoch ist die Differenz in der Schweiz: Hier konnte der MSCI Switzerland eine Outperformance von rund 20 Basispunkten pro Jahr erzielen. Da der EURO STOXX 50 aus einem der grössten Märkte der Welt gebildet wird, ist die notwendige Marktkapitalisierung für Unternehmen hier besonders hoch und trägt zu den hohen Überrenditen des MSCI EMU Index bei. Lassen Sie mich aber noch auf eine weitere Eigenschaft des breiteren Index hinweisen, die nicht so offensichtlich ist.
Welche wäre das?
Bei der Konstruktion des MSCI EMU Index werden die einzelnen Länderindizes zunächst unabhängig gebildet und danach aggregiert. Dagegen blickt der EURO STOXX 50 nur auf die Large Caps, die jedoch nicht gleichmässig über die Eurozone verteilt sind. Deutschland und Frankreich sind die grössten Volkswirtschaften, mit dem höchsten Aufkommen an Large Caps, was sich dann auch in der Ländergewichtung bemerkbar macht. Daher sind diese beiden Länder im breiten Marktindex gegenüber dem Blue-Chip-Index um vier Prozent untergewichtet. Diese Beobachtung - eine bessere Länderdiversifikation - lässt sich nicht auf alle breiten Marktindizes übertragen. Aber sie zeigt: Die unterschiedlichen Konstruktionsprinzipien haben Konsequenzen, die Anleger bei der Auswahl durchdenken sollten.
Rechnen Sie damit, dass breite Indizes ihre Vorzüge auch in Zukunft ausspielen können?
Natürlich lässt sich die Entwicklung der Vergangenheit nicht einfach in die Zukunft fortschreiben. Doch der fundamentale Trend ist: Die Bedeutung von Mid Caps nimmt zu, während die von Blue Chips abnimmt. Das gilt sowohl für den Anteil am Gesamtmarkt als auch für die Grösse einzelner Unternehmen. Beides lässt sich gut an den beiden Euroland-Indizes aufzeigen. Im Jahr 1999 repräsentierte der EURO STOXX 50 noch 73 Prozent des breiteren MSCI EMU Index. Dieser Anteil ist im Jahr 2017 auf 54 Prozent gefallen. In derselben Zeit ist die durchschnittliche Marktkapitalisierung der Mid Caps von 3,4 Mrd. Euro um satte 126 Prozent auf 7,7 Mrd. Euro angewachsen, während dessen die 50 Blue Chips lediglich 20 Prozent zulegen konnten. In den Nachrichten werden die Blue-Chip-Indizes noch immer mit der Entwicklung des Gesamtmarktes gleichgesetzt, und in der Vergangenheit waren sie in der Tat ein gutes Instrument, um diese abzuschätzen. Doch Zahlen wie diese zeigen, dass sich die Zeiten ändern.
Raimund Müller ist Head Passive & ETF Specialist Sales Switzerland & Liechtenstein. Seit seinem Eintritt ins UBS Exchange Traded Funds Team von UBS Asset Management in Zürich ist er für die Kundenbetreuung zuständig. Vor dem Wechsel zur UBS AG arbeitete er in der Betreuung institutioneller Kunden im Asset Management der Deutschen Bank für zwei Jahre und Lombard Odier für fünf Jahre. Raimund Müller beendete seine Studien an der Curtin University of Technology in Perth mit einem Master of Economics und Finance (2005), an der ZHAW in Winterthur mit einem Bachelor of Business Administration (2003) sowie die AZEK als Certified International Investment Analyst (2008).