«Die chinesische Regierung hat noch Handlungsspielraum»

28.08.2014
Herr Peters, in den Medien ist öfters zu lesen, der Immobilienmarkt in China befände sich in einer Blasenbildung. Teilen Sie diese Ansicht?
Auch wir sehen einige problematische Entwicklungen im chinesischen Immobilienmarkt und Finanzsektor. Zum Beispiel die hohe Verfügbarkeit von Krediten und insbesondere die Kreditvergabe über Schattenbankgeschäfte. Zudem scheinen Bauvorhaben bei den Gewerbeimmobilien, insbesondere in der Peripherie, in den sogenannten Tier-3-Städten, aus dem Ruder gelaufen zu sein. Oft passt das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage nicht, und wir lesen dann über menschenleere Einkaufszentren von gigantischem Ausmass. Das erzeugt zwar grosses mediales Interesse, aber was in der Berichterstattung häufig zu kurz kommt, ist, dass der Urbanisierungsgrad in China gemessen an der arbeitenden Bevölkerung gerade mal bei etwas mehr als 50 Prozent liegt. Deshalb gibt es eine hohe Nachfrage nach Wohnimmobilien durch den anhaltenden Zuwanderungsstrom in die Städte. Und der Trend wird anhalten, wenn die chinesische Regierung auch nur annähernd ihre Urbanisierungsvorgaben aus dem derzeitigen 5-Jahres-Plan einhält. Wir sprechen hier von einem Urbanisierungsgrad von rund 60 Prozent bis 2020. Unsere Analysen besagen, dass lediglich rund 11 Prozent der Immobiliennachfrage in den vergangenen Jahren aus spekulativen Geschäften herrühren.
Wo lauern die grössten Risiken?
Die chinesische Regierung bemüht sich, eine schrittweise Korrektur z.B. über eine stärkere Regulierung bei der Kreditvergabe herbeizuführen. Den fiskal- und monetärpolitischen Handlungsspielraum dafür hat sie. Hier lauert die Gefahr eines Fehltritts, der beispielsweise zu einem starken Liquiditätsengpass und einem daraus resultierenden Crash führen könnte. Unsere hauseigenen Analysen besagen jedoch, dass selbst in einem extremen Crash-Szenario die Reserven des chinesischen Staats ohne weiteres ausreichen, um den von Kreditausfällen betroffenen Bankensektor zu rekapitalisieren. Auch wenn dies natürlich kein wünschenswertes Szenario wäre.
Wie könnte sich eine Korrektur am Immobilienmarkt auf das chinesische Wirtschaftswachstum auswirken?
Ungefähr 50 Prozent des chinesischen Wirtschaftswachstums resultierte im letzten Jahr aus Sachinvestitionen, wovon wiederum nahezu 30 Prozent auf Immobilienprojekte zurückzuführen sind. Ein Rückgang von derartigen Investitionen hätte entsprechend einen abschwächenden Effekt auf das chinesische Wirtschaftswachstum. Unser Basisszenario sieht eine graduelle Korrektur des Sektors vor, die sich dann auch schrittweise in den Wachstumszahlen niederschlagen sollte. Unseren Berechnungen zufolge sollte die notwendige Konsolidierung des Immobiliensektors rund 3 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt abtragen. Das heisst aber nicht, dass das chinesische Wirtschaftswachstum von heute auf morgen von 7,5 auf 4,5 Prozent schrumpft, sondern wir gehen davon aus, dass sich dieser Gesamteffekt über mehrere Jahre verteilen wird.
Was sollten die Schlussfolgerungen für Anleger in chinesischen Wertpapieren sein?
Für Fixed-Income-Anleger macht es grundsätzlich Sinn, sich weiterhin mit China zu beschäftigen. Wenn sich der Markt im Zuge der Internationalisierung des Renminbi irgendwann komplett öffnet, werden die lokalen Anleihen in den globalen Benchmarks enthalten sein, und Anleger müssen sich zwangsläufig damit auseinandersetzen. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir jedoch nicht die Augen davor verschliessen, dass im breiten chinesischen Anleihenmarkt, der derzeit über Offshore- bzw. sogenannte Dim-Sum-Anleihen zugänglich ist, Kreditrisiken lauern. Hier kommt dem Credit Research eine tragende Bedeutung zu. Für ein China-Exposure können Investoren zum Beispiel flexible Anlagestrategien bemühen, die losgelöst von den klassischen Dim-Sum-Benchmarks investieren. So kann man sich die Möglichkeit erhalten, in gut aufgestellte Unternehmen aus den Wachstumssegmenten im Konsumgüterbereich zu investieren, ohne die Risiken im Finanz- und Immobiliensektor einzugehen.
Markus Peters ist Senior Portfolio Manager im Fixed-Income-Team von AllianceBernstein. In seiner Funktion als Experte für Fixed-Income-Märkte und -Anlagestrategien ist er insbesondere für den deutschsprachigen Markt zuständig. Vor seiner derzeitigen Tätigkeit war er mit einem ähnlichen Aufgabengebiet im Anleihenteam von M&G Investments betraut. Markus Peters verfügt über einen MSc in Politics and Government in the European Union von der London School of Economics und einen M.A. von der RWTH Aachen.