Die europäische Fondsindustrie hat die Corona-Krise überwunden

04.05.2021
Herr Glow, es ist viel los im Fondsgeschäft. Haben Sie noch den Überblick?
Die europäische Fondsindustrie ist im Moment sehr aktiv. Dies liegt zum einen an der Umsetzung neuer regulatorischer Vorgaben, wie aber auch an der Aktivität der Anbieter selbst. Ein gutes Beispiel hierfür ist die angehende Übernahme von Lyxor durch Amundi.
Aber auch die Investoren sorgen für einige Bewegung im Markt. In den ersten drei Monaten des Jahres verzeichnte die europäische Fondsindustrie Mittelzuflüsse in Höhe von 118.3 Mrd. Euro.
Besonders beachtenswert ist dabei, dass die Investoren in Europa, trotz der immer noch andauernden Corona-Pandemie mit all ihren negative Effekten, anscheinend wieder in den «Normalmodus» zurückgekehrt sind. Dies lässt sich zum einen daraus ableiten, dass die Investoren auf der einen Seite begonnen haben, die im Jahr 2020 aufgebauten Geldmarkpositionen zu reduzieren, während sie gleichzeitig ihre Positionen in Aktien und festverzinslichen Wertpapieren aufgebaut haben. Ein Blick auf die Statistik für das 1. Quartal 2021 zeigt, dass Geldmarktfonds die Anlageklassen mit den höchsten Mittelabflüssen (-66,5 Mrd. Euro) waren, während Aktienfonds (+120.8 Mrd. Euro) die höchsten Mittelzuflüsse verzeichneten.
Wenn man auf die Mittelbewegungen im Bereich der Anleihen schaut, stellt man fest, dass es hier zu einer Trendwende kommen könnte. Denn, obwohl Fonds für festverzinsliche Wertpapiere im 1. Quartal 2021 insgesamt betrachtet Mittelzuflüsse in Höhe von 35.7 Mrd. Euro auf sich vereinen konnten, flossen im März 4.3 Mrd. Euro aus diesem Segment ab. Ob es sich hierbei nur um eine kurzfristige Reaktion der Investoren auf die Bewegungen an den Zinsmärkten gehandelt hat oder ob dies eine echte Trendwende ist, werden die Mittelbewegungen der nächsten Monate zeigen.
Auch bei den ETFs?
Im Bereich der ETFs sehen wir bei den Mittelbewegungen in diesem Jahr einen interessanten Trend. Während ETFs im Bereich der langfristig orientierten Fonds (Aktien-, Anleihen-, Misch- und Rohstofffonds etc.) in den Jahren 2019 und 2020 höhere Mittelzuflüsse verzeichneten als aktiv gemanagte Fonds, hat sich der Trend im 1. Quartal 2021 umgekehrt. Denn ETFs verzeichneten in den ersten drei Monaten des Jahres Mittelzuflüsse in Höhe von 49.4 Mrd. Euro, während aktiv gemanagte Fonds im gleichen Zeitraum 68.8 Mrd. Euro an Mittelzuflüssen verzeichneten.
Zudem würde die Übernahme von Lyxor durch Amundi den europäischen ETF-Markt ein Stück weit neu ordnen, denn durch diese Übernahme würde der nach iShares zweitgrösste ETF-Anbieter in Europa entstehen. Allerdings tatsächlich nur ein Stück weit, denn iShares würde den Markt weiterhin klar dominieren, während der Vorsprung von Amundi auf Xtrackers, die in der Folge der Akquisition neue Nummer 3 nach Assets under Management (AuM), «nur» rund 24 Mrd. Euro betragen würde. Somit könnte sich die Reihenfolge unter den Top-3-Anbietern auch schnell wieder ändern. Auch hinsichtlich der Marktkonzentration würde sich nach der Akquisition nicht viel ändern. Denn während die Top-10-ETF-Anbieter in Europa Ende März 2021 93.21 Prozent der AuM auf sich vereinten, hätte der Zusammenschluss von Amundi und Lyxor diesen Anteil per Ende März nur auf 94.32 Prozent erhöht.
Somit wird es auch in Zukunft in dem dynamisch wachsenden Marktsegment der ETFs weiter spannend bleiben.
Fondsgesellschaften machen viel Wirbel um ihre neuen Fonds. Aber wie sieht es eigentlich bezüglich Zusammenlegungen und Schliessungen aus? Darüber liest man ja fast nichts.
Das stimmt. Allerdings ist das ja auch verständlich, denn mit Fonds, die vom Markt genommen werden, lässt sich kein Geld mehr verdienen. Zudem könnte das Verschwinden einer in der Vergangenheit stark beworbenen Strategie als Malus gesehen werden. Somit ist es nicht verwunderlich, dass sich die Anbieter hinsichtlich der öffentlichen Kommunikation in Bezug auf Fondsschliessungen zurückhalten.
Wenn man sich die Zahlen zu den Fondsauflagen und -schliessungen im 1. Quartal 2021 anschaut, stellt man fest, dass in den ersten drei Monaten 491 Fonds neu aufgelegt wurden, während 391 Produkte vom Markt verschwunden sind. Der Schwerpunkt der Aktivität lag sowohl bei den Fondsauflagen (202), wie auch bei den Fondsschliessungen (158) im Bereich der Aktienfonds. Das Sement der Mischfonds zeigt die zweithöchste Zahl der Fondsauflagen (144) und -schliessungen (111), während Fonds für festverzinsliche Wertpapiere nach den Aktienfonds den zweithöchsten Zuwachs an Produkten (36) verzeichneten. Diese Zahlen zeigen, dass die Fondsanbieter in Europa ständig bemüht sind, ihre Produktpaletten an die Präferenzen der Anleger anzupassen.
Wenn Sie einen Wunsch bei den Gesellschaften anbringen könnten: wie würde der lauten?
Ich formuliere ja schon länger den Wunsch, dass die Fondsindustrie ihren Aufgaben als Treuhänder der Investoren besser nachkommen sollte. Nach wie vor erfüllen viele Anbieter hinsichtlich der Transparenz ihrer Produkte nur die gesetzlichen Vorschriften. Dies beginnt bei der Beschreibung der Anlagestrategien und geht dann bei der Berichterstattung rund um das Portfolio weiter. Ich würde mir wünschen, dass die Anbieter zum Beispiel ihre Anlagestrategie in den Fondsdokumenten klar und deutlich formulieren und dabei auf Marketingfloskeln verzichten. Zumindest im Bereich der nachhaltigen Investments haben die Marktregulatoren damit begonnen, durch Vorgaben für mehr Produktklarheit und -wahrheit zu sorgen. Leider gibt es auch hierbei wieder Lücken, die findige Anbieter dazu nutzen können, ihre Fonds nachhaltiger erscheinen zu lassen, als diese dann tatsächlich sind. Hier wäre es schön, wenn die Industrie sich selbst regulieren würde, statt auf regulatorische Vorgaben zu warten.
Link zum Disclaimer
Detlef Glow, MBA (UoW), begann im Jahr 2005 als Leiter der Fondsanalyse für Deutschland und Österreich bei Lipper at Refinitiv. Anfang 2007 übernahm er die Leitung für die Regionen Zentral-, Nord- und Osteuropa. Seit Oktober 2010 ist Glow Leiter der Fondsanalyse von Lipper in Europa, dem Nahen Osten und Afrika (EMEA). Zuvor war er als Direktor Portfoliomanagement bei der Feri Wealth Management GmbH in Bad Homburg als Portfoliomanager für vermögende Privatkunden tätig. Seine Karriere begann Detlef Glow neun Jahre zuvor bei der tecis Holding AG in Hamburg, wo er zuletzt als Leiter der Fondsanalyse sowohl für das quantitative als auch das qualitative Fondsresearch der tecis Asset Management AG verantwortlich war.