«Die europäische Fondsbranche wird weiter konsolidieren»

09.11.2015
Herr Glow, Sie zählen in unseren Breitengraden zu den besten Kennern der Fondsbranche. Es gab im bald abgelaufenen Jahr viele Höhepunkte. Gibt es ein Ereignis, das Sie für lange Zeit im Kopf behalten werden?
In 2015 gab es nicht nur viele Höhepunkte, sondern auch viele Tiefpunkte und was einem am Ende im Gedächtnis bleibt, sind dann ja eher die negativen Ereignisse. Aus meiner Sicht wird uns wahrscheinlich die Wertentwicklung einiger ETFs am vergangenen 24. August noch ein wenig beschäftigen, denn die Performanceunterschiede, die man dort im Vergleich zum Index sehen konnte, sind noch nicht genau erklärt und bis dies geschehen ist, werden wir wohl noch häufiger davon hören. Persönlich hat mich im abgelaufenen Jahr der Tod von Frank Lingohr sehr betroffen gemacht. Mit ihm ist eine der grossen Persönlichkeiten der Branche von uns gegangen, denn schliesslich war Frank Lingohr der Vorreiter des systematischen Value-Investings in Deutschland und hat so einen Teil der Finanzbranche geprägt.
Welche Trends können Sie in den Absatzzahlen der europäischen Fondsanbieter erkennen?
Bis zum 30. September 2015 waren Mischfonds mit einem geschätzten Nettoabsatz von 87,9 Mrd. Euro die erfolgreichste Anlageklasse in Europa. Dass Mischfonds in diesem Jahr die Verkaufslisten anführen werden, hat sich bereits im Jahr 2014 angekündigt. Aber die Gesamthöhe der Mittelzuflüsse in Investmentfonds in Europa hat mich vor allem im ersten und zweiten Quartal des Jahres überrascht. Eine weitere Überraschung ist, dass alternative Fondsprodukte mit einem Nettoabsatz von 70,9 Mrd. Euro auf Platz zwei liegen. Allerdings muss bei dieser Zahl berücksichtigt werden, dass Lipper auch Misch- beziehungsweise Multi-Asset-Fonds, die eine hedgefondsähnliche Strategie, zum Beispiel Relative Value oder Global Macro nutzen, oder ihre Strategie mit Hilfe von Derivaten umsetzen, in diese Kategorie einordnet, was die aussergewöhnlich hohen Absatzzahlen in diesem Segment ein wenig relativiert. Diese Zahlen zeigen klar, dass Anleger in Europa weiterhin nach Alternativen zu festverzinslichen Wertpapieren suchen und ihre Portfolien durch den Einsatz von unkorrelierten Anlageklassen vor den Auswirkungen eines möglichen Zinseranstieges schützen wollen.
Was erwarten Sie für das Jahr 2016?
Die Trends des Jahres 2015 werden sich meiner Ansicht nach, insbesondere im Bezug auf den Fondsabsatz, im Jahr 2016 fortsetzen, immer vorausgesetzt, dass es zu keinen grösseren Verwerfungen an den Wertpapiermärkten kommt. Trotz dieser Erwartung glaube ich, dass sich die Konsolidierung in der Fondsindustrie weiter fortsetzen wird. Wir werden also meiner Ansicht nach auch im Jahr 2016 wieder mehr Fondsschliessungen als Neuauflagen sehen. Zudem erwarte ich, dass die M&A-Aktivitäten in der Finanzindustrie weiter zunehmen werden. Somit könnte es in Europa zum Ende des nächsten Jahres sowohl weniger Fonds, wie auch weniger Produktanbieter geben. Dies ist aber nicht unbedingt als negativ zu werten, denn wenn man den europäischen Fondsmarkt mit dem amerikanischen vergleicht, stellt man fest, dass es in den Vereinigten Staaten deutlich weniger Fonds als in Europa gibt. In der Folge verwalten diese Fonds ein deutlich höheres Vermögen. Ob dieses höhere Vermögen positiv oder negativ zu bewerten ist, muss im Einzelfall geprüft werden, aber es macht die Fonds für die Anbieter profitabel, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit verringert, dass diese Fonds schnell vom Markt verschwinden.
Was können Ihre Kunden in den kommenden 12 Monaten von Lipper erwarten?
Mit der voranschreitenden Integration von Lipper-Daten und Analysemöglichkeiten in die breite Thomson-Reuters-Produktwelt ist hier der Fokus für 2016 klar gesetzt. Dabei profitieren unsere Kunden von der weiteren Zusammenführung des Lipper-Fondsdatenuniversums sowie damit verbundener Analysemöglichkeiten mit der breiten Datenabdeckung für andere Anlageformen, die in Thomson-Reuters-Produkten wie Eikon bereits vorhanden sind. Darüber hinaus sind Erweiterungen im Bereich der Fondsanalyse geplant, die den vielfältigen Anforderungen seitens unserer Kunden entgegenkommen.
Desweiteren werden wir in den nächsten Monaten unser Webseiten verbessern, so dass die Nutzer dann auf ein vereinfachtes Angebot mit umfangreicheren Inhalten zugreifen können.
Das klingt nach viel Arbeit. Werden Sie im nächsten Jahr auch wieder die Lipper Fund Awards veranstalten?
Diese Frage kann ich mit einem klaren Ja beantworten. Die Termine stehen zwar noch nicht fest, aber wir werden wie in der Vergangenheit auch im Jahr 2016 wieder in verschiedenen Städten Awards-Verleihungen abhalten. Der einzige Termin, den ich Ihnen in diesem Zusammenhang bereits nennen kann, ist der Termin für die Lipper Fund Awards in Zürich, die wie jedes Jahr am Abend vor der Finanzmesse, also am 2. Februar 2016, stattfinden werden.
Detlef Glow, MBA (UoW), begann im Jahr 2005 als Leiter der Fondsanalyse für Deutschland und Österreich bei Thomson Reuters Lipper Anfang 2007 übernahm er die Leitung für die Regionen Zentral-, Nord- und Osteuropa. Seit Oktober 2010 ist Detlef Glow Leiter der Fondsanalyse von Lipper in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika (EMEA). Zuvor war er als Direktor Portfoliomanagement bei der Feri Wealth Management GmbH in Bad Homburg als Portfoliomanager für vermögende Privatkunden tätig. Seine Karriere begann Glow neun Jahre zuvor bei der tecis Holding AG in Hamburg, wo er zuletzt als Leiter der Fondsanalyse sowohl für das quantitative als auch das qualitative Fondsresearch der tecis Asset Management AG verantwortlich war.