Die europäische Fondsindustrie 2019 - viele gewinnen aber wenige viel

14.02.2020
Herr Glow, Sie schreiben wöchentlich in der Industrie stark beachtete Reports und Analysen. Geht Ihnen der Stoff eigentlich nie aus?
Die gute Nachricht ist, dass in der europäischen Fondsindustrie kein Mangel an Nachrichten herrscht und sich so mindestens ein Thema pro Woche findet, über das geschrieben werden kann. Die schlechte Nachricht ist, dass es viel zu häufig negative Themen sind. Ich bin der Fondsbranche gegenüber eigentlich positiv eingestellt, aber ab und an stellt sich dann doch die Frage, ob das, was alles in der Industrie passiert, so richtig ist. Nehmen wir zum Beispiel den Skandal um den englischen Starfondsmanager Neil Woodford. Hier ist es richtig, dass er als Fondsmanager die Regeln der UCITS-Regulierung sehr grosszügig ausgelegt und an der einen oder anderen Stelle die Grenzen ausgetestet hat. Dies geschah aber unter den Augen der Finanzmarktaufsicht und eines Wirtschaftsprüfers sowie eines Board of Directors, die alle nur sehr zögerlich eingeschritten sind beziehungsweise den Finger gehoben haben. Da muss man sich dann schon fragen, warum die offiziellen Organe hier nicht massiver eingegriffen haben. Das gleiche gilt aber auch für die Fondsselektoren, die jetzt zum Teil behaupten, sie seien getäuscht worden, obwohl die Aktien, die in dem Fonds gehalten wurden, bekannt waren. Selbst wenn die Titel und die Marktkapitalisierung nicht auf den ersten Blick eingeordnet werden konnten, sollte ein professioneller Fondsselektor die Zusammensetzung eines Fonds mit Hilfe einer modernen Datenbank wie zum Beispiel «Lipper for Investment Management» oder «Refinitiv Eikon» prüfen, bevor er einen Fonds empfiehlt und auch wenn dieser sich im Portfolio seiner Kunden befindet. Bei diesem Beispiel haben also verschiedene Kontrollmechanismen nicht gegriffen und man muss hier fragen, wer da geschlafen hat und nicht eine Überarbeitung der UCITS-Richtlinien fordern, um solche Dinge zukünftig auszuschliessen. Auch wenn es mir nicht zusteht, in einem solchen Fall Schuldzuweisungen zu tätigen, was ich auch nie machen würde, kann man dann in entsprechenden Marktkommentaren zumindest darauf hinweisen, dass hier auch etwas ganz anderes falsch gelaufen sein könnte.
Aber Sie können auf ein grosses Team zurückgreifen?
Unser Lipper Research Team ist eher klein, aber da wir im Konzern arbeitsteilig aufgestellt sind, werden wir bei unserer täglichen Arbeit von Analysten aus vielen Bereichen unterstützt. Dadurch können wir sehr datenintensive Marktberichte produzieren, die dem Leser helfen sollen, sich in dem Informationsdschungel zurechtzufinden, beziehungsweise das Augenmerk auf spezielle Bereiche lenken, um es dem Leser so zu ermöglichen, wichtige Trends zu identifizieren.
Anfang Februar publizierten Sie die «European Fund Industry Review 2019». Es scheint ein prächtiges Jahr für die Fondsindustrie gewesen zu sein…
Wenn man sich die Überschrift und die Gesamtzahlen anschaut: ja, dann war 2019 ein starkes Jahr für die europäische Fondsbranche. Wir hatten starke Mittelzuflüsse und durch die gestiegenen Märkte einen schönen Anstieg bei den verwalteten Vermögen. Diese Kombination führt in der Regel dazu, dass die Fondsanbieter zufrieden sein können, da ihre Einnahmen insbesondere durch die gestiegenen verwalteten Vermögen steigen.
… und trotzdem klagen nicht wenige. Können Sie sich das erklären?
Der Teufel liegt im Detail. Denn auch wenn die Zahlen auf den ersten Blick gut aussehen, gab es einige Besonderheiten. Zum einen haben die Anbieter von passiven Produkten (Indexfonds und ETFs) im Jahr 2019 zum ersten Mal höhere Mittelzuflüsse verzeichnen können als die Anbieter von aktiv gemanagten Produkten. Dies ist darauf zurückzuführen, dass immer mehr Investoren nicht mehr bereit sind, die hohen Gebühren für aktives Management zu zahlen, da die Ergebnisse der aktiven Manager sehr häufig hinter den Erwartungen der Investoren zurückbleiben.
Zum anderen gab es bei den Mittelzuflüssen eine Konzentration auf eine verhältnismässig kleine Gruppe von Anbietern, so dass viele Anbieter trotz des positiven Umfeldes Mittelabflüsse verzeichneten. Dies betraf aber nicht nur den Neuabsatz von Fonds. Ebenso waren auch Mittelumschichtungen von einem Fondsanbieter zum anderen eine treibende Kraft für die Enttäuschung auf der Anbieterseite. Ohne hier jetzt zu sehr in die Tiefe zu gehen, lässt sich festhalten, dass sich viele Anleger aufgrund der Ergebnisse der von ihnen gekauften Fonds nach neuen Alternativen umgesehen haben oder einfach nur aufgrund der marktbedingten Kursrückschläge das Risiko in ihrem Portfolio verringern wollten.
Am 26. Februar 2020 finden in Zürich die 31. «REFINITIV LIPPER FUND AWARDS SWITZERLAND» statt, wo Sie die begehrten Auszeichnungen übergeben werden. Freuen Sie sich darauf - was bedeutet das für Sie ganz persönlich?
Unsere Veranstaltung in der Schweiz hat für mich persönlich einen sehr hohen Stellenwert, da es für uns immer der Auftakt der «Awards-Saison» ist und vor einer Premiere ist man ja immer auch ein wenig aufgeregt. Zum anderen haben wir gerade in der Schweiz sehr viele Gäste, die sich intensiv mit dem Fondsmanagement und der Fondsselektion beschäftigen, was gerade vor dem Hintergrund der Awards-Verleihung zu vielen sehr guten Gesprächen führt, wodurch die «REFINITV LIPPER FUND AWARDS» in der Schweiz immer ein besonderer Abend sind.
Link zum Disclaimer
Detlef Glow, MBA (UoW), begann im Jahr 2005 als Leiter der Fondsanalyse für Deutschland und Österreich bei Lipper at Refinitiv. Anfang 2007 übernahm er die Leitung für die Regionen Zentral-, Nord- und Osteuropa. Seit Oktober 2010 ist Glow Leiter der Fondsanalyse von Lipper in Europa, dem Nahen Osten und Afrika (EMEA). Zuvor war er als Direktor Portfoliomanagement bei der Feri Wealth Management GmbH in Bad Homburg als Portfoliomanager für vermögende Privatkunden tätig. Seine Karriere begann Detlef Glow neun Jahre zuvor bei der tecis Holding AG in Hamburg, wo er zuletzt als Leiter der Fondsanalyse sowohl für das quantitative als auch das qualitative Fondsresearch der tecis Asset Management AG verantwortlich war.