Die europäische Fondsindustrie - Wandel und Rekordwachstum prägen das Jahr

29.09.2017
Herr Glow, drei Viertel des Jahres sind Geschichte. Hat Sie als Insider der Fondsbranche etwas wirklich überrascht?
2017 sind sicherlich viele spannende Dinge passiert, insbesondere in Bezug auf Übernahmen von Anbietern, aber überraschend war dies grundsätzlich nicht. Wir alle wissen, dass es in Europa zu viele Fonds und zu viele Anbieter gibt, somit sollte eigentlich niemand wirklich davon überrascht sein, dass es immer wieder zu Konsolidierungen kommt.
Entgegen diesem Trend ist die Anzahl der Fonds in Europa im ersten Halbjahr angestiegen. Das bedeutet, die Branche scheint ihre Konsolidierungsbestrebungen auf Produktebene beendet zu haben und ist trotz des bestehenden Überangebotes an Fonds wieder in den Wachstumsmodus übergegangen. Auch dies ist nach dem Marktwachstum der letzten Jahre und der anhaltend guten Stimmung an den Wertpapiermärkten keine wirkliche Überraschung. Es wird jedoch spannend zu sehen sein, ob es sich dabei um eine echte Trendumkehr handelt oder ob sich die Branche einmal mehr als Kontraindikator beweist, denn gerade Fondsauflagen sind prozyklisch, was bedeutet, dass die Zahl der Fonds mit den Märkten steigt, wenn die Märkte eine längere Zeit gut gelaufen sind oder es Trends gibt, die für Anleger besonders erfolgversprechend erscheinen. Gerade bei Fonds, die aufgrund von Trends aufgelegt wurden, ist aber Vorsicht geboten, denn so schnell die Zahl der Fonds, die diesen Trends folgen, wächst, so schnell verflüchtigen sich die Trends und die entsprechenden Fonds dann auch wieder. Bei aller Kritik muss ich hier aber auch eine Lanze für die Fondsindustrie brechen, denn in den letzten Jahren war das trendbasierte Verhalten nur im Bereich der Multi-Assetfonds zu beobachten und hier wurden zum Teil «nur» bestehende Mischfonds modernisiert. Zudem gab es auch in der ersten Hälfte dieses Jahres keinen drastischen Anstieg an neuen Produkten, eher im Gegenteil, die Anzahl der Fonds ist nur verhalten gewachsen, weshalb ich zur Zeit auch noch optimistisch bin, dass der Trendwechsel in Bezug auf die Fondsauflagen derzeit nicht auf einen Trendwechsel an den Märkten hinweist.
Auch in der Aktiv- versus Passiv-Debatte ist es in der letzten Zeit etwas ruhiger geworden, was darauf hindeutet, dass die Investoren, wie aber auch die Anbieter, die Diskussionen um Kosten und Performance jetzt auf einer sachlichen Ebene führen und nicht mehr auf einer emotialen.
Also ein friedliches Zusammenleben von aktiven Fondshäusern und ETF-Anbietern - oder trügt der Schein?
Ob das Zusammenleben der Produktanbieter in Bezug auf den Wettbewerb um Kundengelder insgesamt betrachtet so friedlich ist, weiss ich nicht. Aber grundsätzlich betrachtet könnte es sehr friedlich sein, denn wie schon in den letzten Jahren kann man auch für 2017 sagen, das es der ETF-Industrie genauso gut geht wie der europäischen Fondsbranche als Ganzes. Es wird ja viel über das Wachstum der ETF-Branche berichtet und dabei übersehen, dass die Fondsbranche insgesamt wächst. So sind im Jahr 2017 sowohl die aktiv gemanagten, wie aber auch die passiven Anlageprodukte auf dem Weg, neue Rekorde bei den Mittelzuflüssen zu erreichen.
Einzig die Entwicklung an den Wertpapiermärkten trübt die Stimmung ein wenig, denn der derzeit schwache US-Dollar führt zu niedrigeren verwalteten Vermögen in Euro, was die Absatzstatistiken und die Stimmung bei den Anbietern entsprechend belastet.
Für ein friedliches Zusammenleben in der Zukunft spricht allerdings, dass mit Franklin Templeton und Fidelity im zweiten Quartal zwei Anbieter von aktiv gemanagten Investmentfonds im Bereich der ETFs aktiv geworden sind. Ihrer Philosophie entsprechend bilden diese beiden Gesellschaften mit ihren Produkten nicht einfach nur Marktindizes nach, sondern haben sich mit ihrer Expertise im Bereich der «Smart Beta ETFs» positioniert.
Und die führenden Adressen werden immer grösser?
Das liegt meiner Ansicht nach in der Natur der Sache, denn grosse Anbieter haben in der Regel eine deutlich grössere Marktdurchdringung als kleine Anbieter und sind durch ihre Präsenz in der Lage, in allen Kundensegmenten neue Gelder von den Anlegern einzusammeln. Hinzu kommt, dass die grossen Anbieter häufig auch in vielen verschiedenen Ländern aktiv sind, was im Optimalfall das Wachstum noch verstärkt. Die Frage ist allerdings, ob dieses Wachstum dann auch oberhalb des Marktwachstums liegt. Es gibt allerdings auch grosse Anbieter, die hohe Mittelabflüsse verkraften müssen. Dies insbesondere dann, wenn ihre einstigen Bestseller plötzlich nicht mehr laufen oder es andere Probleme gibt, da hilft dann in der Regel auch ein breit aufgestelltes Kundenportfolio nicht weiter. Zudem gibt es bei den kleinen Anbietern immer wieder Erfolgsgeschichten. So hat es zum Beispiel Neil Woodford in Grossbritannien geschafft, nach der Gründung seiner Investmentboutique innerhalb weniger Wochen mehr als 6 Mrd. Euro in einem Fonds einzusammeln. Aber auch in Deutschland haben wir beispielsweise mit Flossbach von Storch eine solche Erfolgsgeschichte. Diese beiden Unternehmen haben - neben einigen anderen - gezeigt, dass eine Fondsboutique mit dem richtigen Produkt und einem guten Marketing durchaus in der Lage ist, im Wettbewerb mit den grossen Anbietern zu bestehen und hohe Mittelzuflüsse auf sich zu vereinen.
Der Grössenvorteil ist im Segment der börsengehandelten Indexfonds, also der ETFs, noch signifikanter, denn hier gilt: Grösse zieht Geld an. Das liegt daran, dass ETFs, die über ein hohes verwaltetes Vermögen verfügen, in der Regel eine hohe Liquidität und niedrige Handelskosten, den sogenannten Spread, aufweisen, was diese Produkte im Vergleich attraktiv erscheinen lässt. Allerdings gibt es auch bei den ETF-Anbietern kleine Unternehmen, die es geschafft haben mit gutgemachten Produkten, insbesondere im Bereich der sogenannten «Smart Beta ETFs», hohe Mittelzuflüsse zu erzielen.
Zusammengefasst kann gesagt werden, ja - viele der grossen Anbieter wachsen weiter und ziehen neue Anlagegelder auf sich, aber das bedeutet nicht, dass es nicht auch kleine Anbieter gibt, die zum Teil deutlich überdurchschnittlich stark wachsen. Der Wettbewerb ist hier meiner Ansicht nach in Takt, auch wenn es kleine Anbieter etwas schwerer haben, Anlagegelder auf sich zu vereinen.
Eine ganz persönliche Frage: Ihre mit spitzer Feder geschriebenen Montags-Kolumnen sind schon fast legendär. Gehen Ihnen eigentlich nie die Ideen aus?
Vielen Dank! Glücklicherweise schreibe ich ja über die Fondsindustrie und da gibt es natürlich jede Menge Themen, die man bearbeiten kann. Allein der Bereich der Fund Flows liefert genug Stoff, um jede Woche einen Blog zu rechtfertigen. Hinzu kommen dann noch die ganzen Themen aus den Bereichen: Performance, Kosten, Portfoliomanagement, Wertpapierleihe, Nachhaltigkeit, Aktiv versus Passiv, etc. Ich kann mich also nicht über einen Mangel an Themen beklagen. Dennoch fällt es mir ab und an schwer, das richtige Thema zu finden, denn ich möchte mit meinen «Monday Morning Memos» nur relevante Themen ansprechen und nicht über die Schlagzeile oder mit einem unnötig dramatisierten Text Leser anlocken. Aus diesem Blickwinkel ist dann nicht alles, was im ersten Augenblick wie ein gutes Thema für einen Blog aussieht, bei näherer Betrachtung auch tatsächlich so interessant oder relevant, wie am Anfang gedacht.
Gibt es in der Welt der Fonds denn Themen, die das Research von Thomson Reuters Lipper nicht abdeckt?
Das Researchteam von Thomson Reuters Lipper besteht aus sehr erfahrenen Kollegen, die vor ihrer Tätigkeit bei Lipper oftmals als Portfoliomanager und/oder Fondsselektoren gearbeitet haben. Durch diese persönliche Expertise können wir im Team so gut wie jedes Thema in der Fondsindustrie abdecken. Sollten wir mit einem Thema konfrontiert werden zu dem wir keine Expertise im Haus haben, arbeitet sich ein Kollege in das Thema ein.
Um ständig auf dem Laufenden zu bleiben, nehmen wir regelmässig an Präsentationen zu neuen Produkten oder Anlagethemen teil und/oder sprechen gezielt mit einzelnen Fondsmanagern, um mehr über deren Produkte und einzelne Markttrends zu erfahren. Eine Zusammenfassung der Gespräche mit den Fondsmanagern können alle Investoren dann in einem kurzen Briefing auf unserer Internetseite lesen. Durch den ständigen Austausch mit der Industrie können wir gewährleisten, dass wir als Team immer am Puls der Märkte sind und unser Fachwissen ständig aktualisieren und ausbauen.
Detlef Glow, MBA (UoW), begann im Jahr 2005 als Leiter der Fondsanalyse für Deutschland und Österreich bei Thomson Reuters Lipper. Anfang 2007 übernahm er die Leitung für die Regionen Zentral-, Nord- und Osteuropa. Seit Oktober 2010 ist Detlef Glow Leiter der Fondsanalyse von Lipper in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika (EMEA). Zuvor war er als Direktor Portfoliomanagement bei der Feri Wealth Management GmbH in Bad Homburg als Portfoliomanager für vermögende Privatkunden tätig. Seine Karriere begann Glow neun Jahre zuvor bei der tecis Holding AG in Hamburg, wo er zuletzt als Leiter der Fondsanalyse sowohl für das quantitative als auch das qualitative Fondsresearch der tecis Asset Management AG verantwortlich war.