«Die hohen Bewertungen sind durchaus berechtigt - noch»

27.05.2021
Herr Bauer, die Rekordjagd an den Börsen hält seit Monaten an. Ist die Luft so langsam nicht ganz schön dünn?
Noch hält das positive Momentum für Risikoanlagen wie Aktien an. Immer noch stützt die Gemengelage aus massiven geld- und fiskalpolitischen Programmen von Notenbanken und Regierungen die Konjunkturerholung, die zunehmenden Impffortschritte ermöglichen die Wiederöffnung der Wirtschaft in vielen Ländern und tragen zum Wachstum bei. Das positive Wirtschaftswachstum überträgt sich auf die Unternehmensgewinne. Diese haben in vielen Bereichen das Vorkrisenniveau überschritten. Aktuell ist das Kapitalmarktumfeld also gut unterstützt.
Die Bewertungen sind aber mittlerweile schon recht hoch, oder?
Das stimmt, die Kapitalmärkte haben die erwartete Konjunkturerholung bereits eingepreist und laufen den positiven Wachstumserwartungen vorweg. Auf der anderen Seite übertreffen die Ergebnisse der aktuellen Berichtssaison die Erwartungen der Analysten weiterhin sehr deutlich. Bereits zur Halbzeit zeichnete sich ab, dass bei den meisten Unternehmen sowohl Umsatz und Gewinn im ersten Quartal als auch der Ausblick auf die kommenden Quartale bei weitem besser ausfielen als erwartet. Die Kursreaktionen auf die starken Zahlen fielen jedoch verhalten aus. Die hohen Bewertungen sind aufgrund des starken Wachstums berechtigt, stellen aber auch eine Hürde für weitere Kursgewinne dar. Die grosse Frage, die sich nun aufdrängt, ist, ob Gewinne so stark steigen können, um die aktuell hohen Bewertungen auch in Zukunft zu rechtfertigen.
Können Sie das näher erläutern?
Aktuell haben wir ein extrem positives Umfeld für Aktien und noch sind die Bewertungen angesichts des überaus guten Gewinnwachstums und dank der Impffortschritte angemessen. Aber: Die Bewertung einer Aktie spiegelt die erwartete künftige Ertragskraft eines Unternehmens wider.
Wie stellen Sie fest, ob der Wert einer Aktie noch angemessen ist?
Wir behalten die Katalysatoren des derzeitigen Booms genau im Blick. Wir beobachten zum Beispiel, ob sich eine Abschwächung der Konjunkturdynamik abzeichnet, oder ob die Zentralbanken über ein Zurückfahren ihrer Unterstützungsprogramme nachdenken. Und natürlich analysieren wir bei jedem Einzeltitel die Fundamentaldaten.
Welche Branchen und Regionen favorisieren Sie in der aktuellen Phase?
Derzeit favorisieren wir immer noch zyklische Branchen: Titel aus dem Grundstoffsektor, teilweise den Energiesektor und auch US-Banken. Zudem mischen wir weiterhin strukturelle Gewinner bei, etwa aus der IT-Branche. Mit Blick auf die Länderauswahl überwiegen nach wie vor die USA, in den nächsten Monaten könnten auch Titel aus den Schwellenländern und der Eurozone etwas aufholen. Wir rechnen damit, dass sich auch in der Eurozone die Impffortschritte mit einem stärkeren Wachstum im dritten Quartal niederschlagen werden. Das dürfte die Märkte stützen.
Gibt es bereits Anzeichen, dass sich die Grosswetterlage bald ändern könnte?
Aktuell gehen wir davon aus, dass sich die Gewinne vor allem in den nächsten beiden Quartalen weiter erholen werden. Dafür sprechen auch die optimistischeren Ausblicke der Unternehmen. Im Spätsommer erwarten wir erste Aussagen von der US-Notenbank Fed, wie und ab wann sie ihre Anleihekäufe zurückfahren will. In Zeiten der zunehmenden Euphorie ist eine gesunde Vorsicht durchaus angebracht. Insgesamt heisst das nicht, dass es dann abwärts geht mit den Kursen. Es heisst einfach nur, dass sich die Entwicklung der Renditen normalisieren wird. Sollte sich die Pandemielage entgegen unserer Erwartung erneut verschärfen oder die Zentralbanken würden ihre Massnahmen abrupter beenden als erwartet, würde sich unser Ausblick verschlechtern. Das ist aber unwahrscheinlich.
Wo sehen Sie den Aktienmarkt in Zukunft?
Nach dieser starken Erholung erwarten wir mittel- bis langfristig eine Verlangsamung auf ein ähnliches Wachstumsniveau wie vor der Corona-Krise. Für die Kapitalmärkte bedeutet das nicht mehr so extrem hohe Renditen wie in der aktuellen Phase. Aber Aktien dürften weiterhin gut unterstützt bleiben mit der Chance auf mittlere einstellige Renditen im Jahresvergleich.
Link zum Disclaimer
Moritz Bauer stiess 2019 zu Union Investment und ist Mitglied des Investmentstrategie-Teams. Die Gruppe ist für die Entwicklung von anlageklassenübergreifenden und thematischen Investmentstrategien für das Portfoliomanagement verantwortlich. Bauer entwickelt die Aktien- sowie Themenstrategie und steuert den Prozess der High-Conviction-Themen (HCT).