Die langfristigen Prognosen für «Die fantastischen Sieben» klingen traumhaft

Diplom-Volkswirt, Journalist BJV & VDRJ
REDAKTION MÜNCHEN, Vaterstetten
redaktionmuenchen.com
08.04.2015
Herr Sieger, Sie haben gerade einen ausführlichen Bericht über die Wachstumsmärkte der Zukunft verfasst. Warum sind diese Märkte aus Anlegersicht besonders interessant?
In dem Beitrag für das Mandantenmagazin von PwC Deutschland schreibe ich über «Die fantastischen Sieben» - das sind die sieben wachstumsstärksten Länder der Emerging Markets, die daher von Unternehmen wie von Anlegern genauer unter die Lupe genommen werden sollten. Innerhalb der kommenden 40 Jahre, so eine aktuelle OECD-Studie, wird sich das weltweite Wachstum von 3,6 Prozent bis 2020 auf 2,4 Prozent bis 2050/2060 verringern. Schon deshalb lohnt sich für Anleger der Blick auf die grössten Wachstumsmärkte der Zukunft. Die Entwicklungs-Chancen dort sind überproportional gut. Sie sind sogar derart gewaltig, dass die Experten von PriceWaterhouseCoopers (PwC) diese Länder eigens als «F7» («Future 7») klassifizieren und sie in einem Atemzug mit den G7- und E7-Ländern nennen.
In welchem Verhältnis stehen die Future 7 zu E7 und G7?
Die Weltwirtschaft steht vor noch nie da gewesenen Kräfteverschiebungen. Europa schwächelt, Asien holt auf, Afrika ist auf dem Sprung. Nach Hochrechnung der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung wird die Kaufkraft der E-7-Länder Brasilien, Russland, Indien, China, Indonesien, Türkei und Mexiko diejenige der G-7-Länder USA, Deutschland, Grossbritannien, Frankreich, Italien, Kanada und Japan bis 2030 überholen. Und einige der F7-Länder rücken in dieser Zeit bereits in die Rangliste der grössten Volkswirtschaften weltweit vor.
Um welche Länder handelt es sich denn konkret?
Beobachten sollten Anleger ab sofort die volkswirtschaftliche Entwicklung in Bangladesch, Kolumbien, Marokko, Nigeria, Peru, den Philippinen und Vietnam. Diese fantastischen Sieben sowie weitere Schwellenländer wie etwa Indonesien und Malaysia werden die entwickelten G-7-Volkswirtschaften dauerhaft herausfordern, insbesondere bei der Herstellung langlebiger Produktionsgüter. Die langfristigen Prognosen für diese Staaten klingen traumhaft: Ein geradezu explodierender Pool bestens ausgebildeter und motivierter Talente beflügelt das Wachstum dieser Länder zusätzlich. Und nicht nur das: Viele von ihnen werden künftig auch neue multinationale Unternehmen, die heute noch niemand auf dem Zettel hat, in die Zukunft führen.
Können Sie ein Beispiel für die explodierende Wirtschaftskraft dieser Länder nennen?
Nehmen Sie etwa Bangladesch: Gestern noch Armenhaus der Welt, heute schon Wachstumsriese und morgen vermutlich eine der führenden Wirtschaftsnationen der Welt. Vor 30 Jahren machte die Hungersnot Bangladesch zum Symbol für die Nahrungsarmut in Entwicklungsländern rund um den Globus. Heute importiert das Land Tee und exportiert selber Reis. Vor fünf Jahren gab es keinen einzigen Coffee-Shop, heute bekommt man an jeder Ecke Latte macchiato in allen erdenklichen Variationen. Auf einer Fläche zweimal so gross wie Bayern lebt die mit 152 Millionen Menschen achtgrösste Bevölkerung der Erde - mit einer Handydichte von 85 Millionen, geradezu mutiert in ebenfalls nur fünf Jahren. Jeden Monat kommen zwei Millionen Mobiltelefone dazu.
Und die anderen Länder?
Laut einer Studie der HSBC-Bank werden Länder wie die Philippinen und Peru in der Rangliste der grössten Volkswirtschaften deutlich nach vorne rücken. So dürften die Philippinen im Jahr 2050 Platz 16 der Rangliste belegen und sich somit um ganze 27 Plätze verbessert haben. Peru wird voraussichtlich von Platz 46 auf 26 aufsteigen. Nach den Prognosen verzeichnen die Philippinen in den Jahren bis 2050 eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 7 Prozent, in Peru wird diese Rate bei etwa 5,5 Prozent liegen. In Nigeria etwa könnten 2050 bereits ebenso viele Menschen leben wie heute in den USA. Kolumbien entwickelt sich mit anhaltenden Wachstumsraten um 4,5 Prozent zum Tor zur Karibik, Marokko ist das neue Sprungbrett für die Unternehmen Europas zu den schnell wachsenden Märkten Westafrikas. Und Vietnam ist mit der preussischen Mentalität seiner Bevölkerung gerade schon dabei, China als Standort für kostengünstige personalintensive Produktionen abzulösen. Die Länder selbst entwickeln sich zudem zu gewaltigen Absatzmärkten sowohl für Infrastruktur als auch für Verbrauchsgüter.
Aber es handelt sich ja teilweise auch um junge Volkswirtschaften und Länder mit unsicherer politischer Entwicklung. Da werden wohl nicht alle Blütenträume reifen.
Natürlich sind gerade diese Länder noch nicht so stabil wie die etablierten Volkswirtschaften und eine Anlage in diesem Umfeld birgt durchaus ein gewisses Risiko. Aber das macht ja auch den Reiz aus, diese Länder nach unterschiedlichen Aspekten zu analysieren. Das Wachstum wird grundsätzlich langfristig gross sein, aber schwankend je nach politischer Entwicklung. Bangladesch etwa will sich als alternativer Fertigungs-Hub für Leder, Schiffsbau, Pharma und IT gegenüber Indien und China profilieren. Aber noch gelten nahezu 40 Prozent der Erwerbsbevölkerung als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Obendrein stossen wirtschaftliche Reformen durch Korruption, Vetternwirtschaft und ineffiziente Verwaltung immer wieder an ihre Grenzen. Setzt sich der eingeschlagene Kurs der Politik aber erfolgreich fort, profitieren diejenigen, die Bangladesch jetzt in ihr Portfolio aufnehmen, langfristig von einer zu erwartenden Explosion des Pro-Kopf-Einkommens.
Heiner Sieger (1958) hat in Zürich und Freiburg i.Br. Volks- und Betriebswirtschaftslehre studiert. Seine journalistische Laufbahn begann 1981 bei der «Schweizerischen Handelszeitung» und führte über Stationen unter anderem bei «Capital», «Focus» und «Münchner Abendzeitung», wo er Leiter des Wirtschaftsressorts war. Heute ist er Inhaber der auf Corporate Publishing und PR spezialisierten Agentur REDAKTION München und verantwortet als Co-Chefredakteur die Inhalte des PwC-Magazins «next:» und «next:digital». Er ist Co-Autor des Buchs «Achtung, Geld in Gefahr! Wie wir jetzt unser Einkommen und Vermögen schützen».