Die Perlen finden sich abseits der grossen Namen

16.09.2021
Frau Surenkok, wie hat sich der chinesische Aktienmarkt in den letzten Jahren strukturell entwickelt?
Viele ausländische Anleger sind augenscheinlich der Meinung, dass sich das investierbare chinesische Aktienuniversum auf den MSCI China Index oder den A-Aktienmarkt (repräsentiert durch den CSI 300 Index) beschränkt. Hier befinden sich viele Large- und Mega-Caps. Diese Annahme stimmt jedoch so nicht ganz. Denn das investierbare Universum an den chinesischen Aktienmärkten hat sich in den letzten 20 Jahren verfünffacht. China hat in Sachen IPOs mittlerweile die USA überholt und alleine im ersten Quartal 2021 sind rund 300 neue Unternehmen an die Börse gegangen.
Und können ausländische Anleger in diese Titel investieren?
Ja, denn 2014 wurde das Stock-Connect-Programm eingeführt. Das Programm erwies sich damals nicht nur als wegweisend für ausländische Anleger, die in China investieren wollen, sondern hat zudem dazu beigetragen, dass der A-Aktienmarkt zunehmend mit den globalen Märkten korreliert. So hat seit 2015 die Korrelation des chinesischen A-Aktienmarktes mit den globalen Indizes deutlich zugenommen - vor allem zwischen dem MSCI All Countries Asia ex-Japan Index und dem MSCI China Index.
Wie sollten Investoren bei der Allokation ihres Kapitals am besten vorgehen?
Der Grossteil des neuen Anlegerkapitals fliesst nach wie vor in die 100 grössten Aktien Chinas. Diese machen jedoch lediglich 2 Prozent des gesamten Anlageuniversums aus. Es gibt allerdings in dem Land eine ganze Reihe an Unternehmen, die hohe nachhaltige Wachstumspotenziale aufweisen. Diese «Compounder» oder «Secular Growers», wie sie auch gerne genannte werden, sind für langfristige Anleger interessant. Denn ihr Wertpotenzial wird von vielen Marktteilnehmer nicht erkannt, da sie auf zu kurzfristige Sicht denken. Die Allokation in diesen Aktien sollte ausgewogen kombiniert werden, mit Sondersituationen (Aktien, die vorübergehend unter Druck geraten sind oder aus technischen Gründen abverkauft wurden, etwa nach einem Zwangsverkauf infolge einer Abspaltung) oder mit Aktien von Unternehmen, die nichtlineares Wachstum generieren (Unternehmen, die nach einer Investitionsphase potenziell kurz vor einem positiven Produkt-, Branchen- oder Einnahmenzyklus stehen).
Wie treibt die chinesische Regierung das Wachstum weiter voran?
Grundsätzlich macht China bei der wirtschaftlichen Neuausrichtung beträchtliche Fortschritte. Die Wirtschaft des Landes ist nicht nur durch ihre immense Grösse, sondern auch durch eine hohe Komplexität geprägt. Aktuell trägt die Wirtschaft des Landes beachtliche 17 Prozent zum globalen Bruttoinlandsprodukt bei. Der grundlegende Umbau des chinesischen Wirtschaftsmodells durch konzertierte Bemühungen, die inländischen Wachstumstreiber zu stärken - die chinesische Regierung setzt zum Beispiel auf den inländischen Konsum als wichtige Wachstumssäule - um die Wirtschaft wieder ins Gleichgewicht zu bringen, schreitet schnell voran. Neben dem Konsum spielen zudem Innovation eine wichtige Rolle. China bemüht sich ausserdem darum, für seine gut eine Milliarde Einwohner ein robustes Gesundheitssystem aufzubauen, das sich im Wesentlichen auf inländische Anbieter stützt.
Gibt es noch weitere Bereiche, die es im Auge zu behalten gilt?
Zusätzliche Impulse sind zudem von dem geplanten Umstieg auf grüne Energien zu erwarten. Der Übergang von einer kohlenstoffintensiven auf eine nachhaltigere Wirtschaft dürfte die Industrialisierung in einen Aufwärtstrend versetzen, wobei positive Faktoren verstärkt bei modernisierten Industrie- und Dienstleistungsunternehmen zu finden sein dürften. Traditionelle Öl- und Gasunternehmen werden wahrscheinlich an Stützung verlieren. Nicht zuletzt dürfte der chinesische Aktienmarkt von der dynamischen Konsolidierung in einigen Branchen profitieren. Darunter sind Hotelketten, Restaurants und stationäre Apotheken, die kontinuierlich an Grösse auf dem Markt gewinnen und zunehmend zu den wichtigsten Niedrigkostenproduzenten in ihrem Bereich zählen. Wichtig ist, dass dieser Trend unabhängig von der Entwicklung des Makroumfelds stattfindet und es auch keine Rolle spielt, ob die betreffende Branche wächst oder nicht. Wenn der Konsolidierungstrend stark genug ist, kann er unabhängig davon viele Chancen bieten.
Link zum Disclaimer
Irmak Surenkok ist Portfolio Specialist in der Equity Devision bei T. Rowe Price. Sie verfügt über 17 Jahre Erfahrung in der Beratung zu Anlageinvestitionen und vertritt regionale und globale Investmentstrategien für Schwellenländer gegenüber institutionellen Kunden, Beratern und potenziellen Kunden.