Die Schwellenländer-Rally geht weiter

Leiter Passive & ETF Specialist Sales Schweiz und Liechtenstein, Asset Management
UBS AG, Zürich
ubs.com/etf
08.12.2017
Herr Müller, 2017 war bisher sicher ein sehr gutes Jahr für die Emerging Markets (EM). Sowohl Aktien als auch Anleihen aus Schwellenländern haben sich deutlich überdurchschnittlich entwickelt. Wie lange kann diese Rally noch anhalten?
Aus Sicht der Ökonomen des UBS Chief Investment Office Wealth Management zumindest noch eine ganze Weile. Und zwar aus gleich drei Gründen. Erstens ist die Wachstumsdynamik in den Schwellenländern ungebrochen. Das Wachstum ihres Bruttoinlandsproduktes (BIP) könnte sich 2017 erstmals seit 2010 wieder beschleunigen. Dazu passt, dass auch die Unternehmensgewinne in den Schwellenländern wieder steigen: Die Gewinne im MSCI Emerging Markets Index haben nach mehrjährigem Null- bis Minuswachstum seit Jahresanfang 2017 auf US-Dollar-Basis um 18 Prozent zugelegt. Zweitens sollte das Liquiditätsumfeld für Emerging-Markets-Anlagen generell konstruktiv bleiben. Das CIO-Basisszenario für die Entwicklung der Geldpolitik sieht eine graduelle und gut kommunizierte Normalisierung vor. Zudem sind die Realzinsen in vielen Schwellenländern weiter hoch, sodass die Region relativ unempfindlich auf steigende Zinsen in den USA und in Europa reagieren dürfte.
Und drittens?
Drittens sind Assets aus den Schwellenländern noch immer vergleichsweise günstig. Die Bewertungen sind zwar gegenüber dem Vorjahr gestiegen, erscheinen im historischen Vergleich aber noch nicht überzogen und überzeugen weiterhin gegenüber dem Bewertungsniveau der entwickelten Märkte. Emerging-Markets-Aktien notieren derzeit beim 15,3-Fachen der Gewinne der letzten zwölf Monate. Damit liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis über seinem zehnjährigen Durchschnitt von 13,6. Schwellenländer-Aktien werden aber immer noch zu einem Abschlag von 27 Prozent gegenüber Aktien der entwickelten Welt gehandelt.
Womit wir wieder bei den Investmentchancen wären, die sich aus den guten makroökonomischen Rahmendaten ergeben. Sowohl während der globalen Finanzkrise als auch in den Jahren darauf erlebten die Finanzmärkte der Schwellenländer teilweise harte Zeiten. Wie sehen die Renditen für Anleger im längerfristigen Blick zurück aus?
Angesichts der grossen öffentlichen Aufmerksamkeit, die zwischenzeitliche Krisen in den Emerging Markets immer wieder erfahren, mag das den einen oder anderen überraschen. Zwischen Dezember 2000 und August 2017 erzielten Schwellenländer-Aktien eine durchschnittliche annualisierte Rendite von 10,0 Prozent, während Aktien der entwickelten Märkte im Durchschnitt nur 4,9 Prozent pro Jahr einbrachten. Auch im Fixed-Income-Segment hat in diesem Zeitraum der Barclays EM USD Aggregate, eine breite Benchmark für US-Dollar-Schwellenländeranleihen, sein Pendant für die entwickelten Märkte um durchschnittlich 3,8 Prozentpunkte pro Jahr übertroffen. Wer das höhere wirtschaftliche Risiko in Kauf nimmt und auch nur ein begrenztes Emerging-Markets-Engagement eingeht, könnte die Rendite seines Portfolios also aufbessern.
Welche Möglichkeiten haben Anleger heute, wenn sie dafür ETFs nutzen wollen?
Vielfältige. ETFs bieten inzwischen Zugang zu einer breiten Spanne von Aktien-, aber auch von Anleihe-Indizes. Neben Standard-Indizes decken sie etwa auch an Nachhaltigkeitskriterien (ESG) orientierte Investments ab. So enthält der MSCI EM Socially Responsible Index zum Beispiel nur solche Unternehmen, die bei mehreren Kennzahlen der Bereiche Umwelt, Soziales und Governance (ESG-Kriterien) hohe Werte erzielen. Seit Mai 2011 betrachtet liegt der anhand von Kriterien sozial verantwortlichen Investierens (SRI) konstruierte EM SRI um durchschnittlich 2,9 Prozent pro Jahr über der breiten Emerging-Markets-Benchmark. Dies zeigt die Effektivität eines ESG-Screenings, bei dem Schwellenländer-Unternehmen mit besonders guten Voraussetzungen für nachhaltiges Wachstum herausgefiltert werden.
Und bei Anleihen?
Eine interessante Opportunität im Anleihe-Segment bietet der Bloomberg Barclays Emerging Market USD Sovereign + Agency Index. Enthalten sind primär Staatsanleihen, welche ein geringeres Kreditrisiko als etwa Unternehmensanleihen aufweisen. Ein Vorteil von Staatspapieren ist, dass die Schwellenländer vergleichsweise gering verschuldet sind. Zudem gewährleistet der Index durch die Obergrenze der Emittentengewichtung von 3 Prozent eine breitere Diversifikation, sodass er nicht übermässig stark in Länder mit den höchsten Schuldenquoten investiert. Diese Indexversion mit 3-prozentiger Obergrenze hat sich in der Vergangenheit stärker entwickelt als vergleichbare Indizes für Schwellenländeranleihen ohne Obergrenze.
Raimund Müller, Leiter Passive & ETF Specialist Sales Schweiz und Liechtenstein, verfügt über eine 15-jährige Erfahrung in der Finanzindustrie mit besonderer Expertise in der Betreuung institutioneller Anleger. Seit 2012 ist er für die UBS AG im Asset Management in Zürich tätig. Vor dem Wechsel zur UBS AG arbeitete er in der Betreuung institutioneller Anleger im Asset Management der Deutschen Bank und bei Lombard Odier. Raimund Müller ist Certified International Investment Analyst (2008). Er beendete seine Studien an der Curtin University of Technology in Perth mit einem Master of Economics und Finance (2005) und an der ZHAW in Winterthur mit einem Bachelor of Business Administration (2003).