«Die überhöhten Prognosen sind nun Geschichte»

29.05.2014
Herr Savary, für Investoren ist die Strasse etwas ruppiger geworden. Ist die Zeit der langfristigen Trends vorbei?
Ja, die Zeit für lineare Anstiege bei riskanten Assets ist zu einem grossen Teil vorüber. Wir befinden uns in der Mitte eines Zyklus der Erholung, in welcher die Anleger einem Wachstums-/Liquiditäts-Paradigma gegenüberstehen. Das bedeutet, dass stärkeres Wachstum die Voraussetzung für höhere Aktienkurse ist. Auf der anderen Seite werden die Liquiditätsspritzen der wichtigsten Nationalbanken aufhören. Die Expansion der Kurs-/Gewinnverhältnis ist ziemlich weit fortgeschritten. Das hat zur Folge, dass die Unternehmen in den nächsten Quartalen ihre Gewinne pro Aktie liefern müssen. Dadurch sind die Märkte anfälliger auf Reaktionen - d.h. volatiler. Dies speziell, wenn es zu Enttäuschungen bei den Gewinnen kommt. Wir sind in einen Stock-Picker-Markt eingetreten, der auf einen langen von Liquidität getriebenen Aufwärtsmarkt seit Mitte 2012 folgt.
Die Erwartungen für 2014 waren aufgrund der guten globalen Konjunkturaussichten hoch gesteckt. Trotzdem performten die Aktienmärkte bisher nicht besonders gut. Welche Gründe sehen Sie dafür?
Eine Erklärung sind die hohen Erwartungen Ende 2013. Die Investoren hatten zu diesem Zeitpunkt ein Zurück-zur-Normalität-Szenario für die globale Konjunktur eingepreist. Enttäuschende Zahlen aus den USA im ersten Quartal, die teilweise auf die Wetterbedingungen zurückzuführen waren, haben die Investoren zu einer neuen Einschätzung ihrer Sicht bezüglich Rückschläge gebracht. Vor diesem Hintergrund wurden die Gewinnerwartungen für US-Aktien im ersten Quartal signifikant reduziert. Investoren haben ab Februar sogar einen Rückschlag für Aktien favorisiert. Zudem haben anhaltende Befürchtungen über die Konjunkturentwicklung in China und Unsicherheiten betreffend des chinesischen Finanzsystems die Zuversicht der Investoren getrübt und damit die weltweiten Aktienmärkte beeinflusst. Aufgrund der starken KGV-Expansion in der zweiten Hälfte 2013 hat diese Erwartungshaltung zu einem Druck auf die Aktienpreise geführt. Der positive Effekt dieser Entwicklung ist, dass die Anfangs Jahr vorherrschenden überhöhten Prognosen nun Geschichte sind. Das bedeutet aber auch, dass die Erholung gemessen an historischen Standards unterdurchschnittlich bleiben wird.
Was erwarten Sie bezüglich des weiteren Ausblicks für 2014?
Wir sind ziemlich optimistisch für die weltweite Wirtschaftsentwicklung in diesem Jahr. Das Wachstum sollte sich in den nächsten Quartalen in den meisten Regionen beschleunigen. Die USA bleibt in diesem Zyklus der Leader. Dabei sollte sich die Ausbreitung des Wachstums auf andere Regionen in den nächsten Monaten einstellen und die Anfälligkeit der Konjunkturerholung in den USA reduzieren. Zu alldem sollte die Inflation weiter tief bleiben - speziell in Europa. Wir erwarten immer noch, dass 2014 ein Teil eines lang anhaltenden Reformationsprozesses ist, der 2009 begann. Das bedeutet, dass das erzwungene Wachstum durch die strukturellen Anpassungen, den die meisten Ökonomien durchlaufen müssen, sich mittelfristig zu einem nachhaltigen Konjunkturaufschwung wandeln kann.
Welche Assetklassen oder Sektoren bevorzugen Sie?
Wir betrachten Aktien für 2014 immer noch als zu favorisierende Assetklasse. Das bedeutet, dass wir ein Übergewicht des Aktienanteils zu Lasten von Obligationen empfehlen - ganz speziell bei Regierungsanleihen. Zudem neigt sich die Rally bei den Kreditpapieren nach einer Straffung der Spreads langsam zu Ende. In Verbindung mit unserer Erwartung einer erstarkten Konjunkturerholung favorisieren wir in unserer Asset Allokation zyklische Sektoren wie Industrie und Technologie sowie Finanztitel - trotz ihrer kürzlichen Schwäche. Eine Konsolidierung ist auf mittelfristiger Sicht eine willkommene Entwicklung.
Sie sehen im peripheren Europa Chancen. Warum und wo?
Zuallererst haben kürzliche Wirtschaftsstatistiken bewiesen, dass der starke Sparkurs schliesslich zu einigen Resultaten in den peripheren Ländern führt. Spanien ist ein gutes Beispiel dafür: Dort hat es beim BIP einen deutlichen Turnaround gegeben. Dazu verbessern sich die Zahlungsbilanz und der Exportsektor. Zudem unterstützen die tieferen langfristigen Zinsen das lokale Finanzsystem. Seit sich die Wettbewerbsfähigkeit in Spanien, Griechenland und Portugal in Verbindung mit tieferen Arbeitskosten verbessert hat, sollten diese Länder von der weltweiten Konjunkturerholung profitieren können. Alles in allem ist der schwierige Zyklus der strukturellen Anpassungen von 2010 bis 2012 vorüber. Die Peripherie ist in den Zyklus der Tugend eingetreten, der sich auch in der Asset Allokation zu spielen lohnt - speziell mit Aktien. Wir tendieren dazu, spanische und italienische Aktien zu bevorzugen. Aufgrund der Rally in den peripheren Aktienmärkten in den letzten 18 Monaten setzen wir auf Stock Picking und investieren nicht breit in den Index.
Sie favorisieren in Südeuropa Small- und Mid Caps. Weshalb?
Das Interesse der Anleger an der Peripherie ist nicht neu. Davon zeugt, dass sich 80 Prozent der spanischen Aktien im Ibex Index seit Mitte 2012 erholt haben. In Italien und Griechenland zeigt sich in dieser Zeitperiode das gleiche Bild. Daher ist die Zeit für eine eher passive Investmentstrategie in dieser Region vorbei - der grösste Teil der Makro-Story ist eingepreist. Es ist nun Zeit für eine Stock-Picking-Strategie. Wir suchen nach spezifischen Investment- Stories, die Small- und Mid Caps offerieren können. Es ist eine Tatsache, dass die sich abzeichnende finanzielle Normalisierung speziell diesen Unternehmen zugute kommt.
Der Ökonom und Finanzanalyst François Savary leitet die für die Anlagestrategien von REYL & Cie zuständige Abteilung für Finanzanalyse. Savary war zunächst als Chief Investment Officer bei Darier Hentsch & Cie sowie Chief Investment Stratege bei Deutsche Bank (Suisse) tätig und ab 2001 war er selbständiger Strategie- und Analyse-Consultant. 2006 war er Herausgeber der Tageszeitung L’Agéfi. Seit 1992 unterrichtet François Savary beim Institut Supérieur de Formation Bancaire. 2007 kam er zu REYL & Cie. François Savary besitzt einen Abschluss des Institut des Hautes Etudes Internationales in Genf. Er nahm ferner am Doktorandenprogramm des Instituts im Fach Volkswirtschaft teil.