«Die UNO-Nachhaltigkeits-Entwicklungsziele sind unser Leitfaden»

25.08.2017
Herr Roarty, bei Ihrem Themenfonds steht «ESG» (Environmental and Social Governance) ganz vorn. Wie sehen Ihre Anlagerichtlinien aus?
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Unternehmen mit strikten Umwelt-, Sozial- und Governance-Praktiken (ESG) niedrigere Finanzierungskosten, bessere Bilanzen und überragende Profitabilität aufweisen. Wir stimmen dem zu und sehen dies als klare Chance, um wettbewerbsfähige, langfristige Erträge zu erzielen und gleichzeitig der Gesellschaft und Umwelt zu helfen. Unsere Strategie setzt auf die UNO-Nachhaltigkeits-Entwicklungsziele (SDG) als Leitfaden. Die SDGs adressieren 17 bedeutende Themen für die Menschheit, unter anderem Beseitigung von Armut und Hunger, die Verbesserung des Zugangs zu Bildung und Gesundheitsversorgung und die Bewältigung der Auswirkungen des Klimawandels. Jede für sich genommen stellt eine grosse, komplexe und globale Herausforderung dar und erfordert das Engagement von Unternehmen. Wir investieren ausschliesslich in Firmen, die Lösungen für diese Herausforderungen bieten und vor allem in den Themen Gesundheit, Klima und Emanzipation gruppiert sind.
Was macht Ihren Ansatz so besonders?
Bei der Analyse einzelner Unternehmen setzen wir auf die disziplinierte und rigorose Identifizierung, Bewertung und Integration von ESG-Risiken, dabei steht die thematische Ausrichtung auf die UN-Nachhaltigkeitsziele klar im Vordergrund. Unser Team hat langjährige Erfahrung bei der Strukturierung von Portfolios mit leistungsfähigen, globalen Investitionsthemen. Da wir uns auf Themen, die mit der Erreichung der UN-SDG verbunden sind, konzentrieren, setzen unsere Kunden nicht nur auf attraktive Erträge, sondern unterstützen auch diese wichtigsten gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen der Menschheit.
Wie gross schätzen Sie das weltweite Investitionsvolumen in diesem Bereich?
Die Kosten für die Erreichung der UN-SDG-Ziele und damit die Möglichkeiten für Investitionen sind massiv und haben einen riesigen Investitionsbedarf. Wichtige Bereiche des Investitionsbedarfs sind die Infrastruktur, vor allem Transport, Energie und Telekommunikation. Die UNO schätzt den jährlichen Bedarf für die Erfüllung der SDGs weltweit auf zwischen 5 bis 7 Billionen US-Dollar. Die tatsächlichen Investitionen liegen jedoch weit darunter, was zu einer jährlichen Lücke von rund 2,5 Billionen US-Dollar führt, wovon die Entwicklungsländer den Löwenanteil ausmachen. Philanthropie und Regierungsausgaben allein werden nicht ausreichen, um das Ziel zu erreichen. Es ist zwingend erforderlich, dass der Privatsektor eine wesentliche Rolle spielt. Basierend auf dieser Anlagechance haben wir über 1’000 globale Unternehmen identifiziert, die gut positioniert sind und diesem nachhaltigen Investitionsthema entsprechen. Diese Unternehmen finden sich in allen Regionen, Sektoren und Grössen, daher haben wir reichlich Investitionsmöglichkeiten.
Kritiker sagen, dass es den UN Sustainable Development Goals (SDG) am Fokus mangelt. Wie setzen Sie diese konkret um?
Es gibt durchaus viele individuelle Ziele, die vielleicht schwer messbar erscheinen. Andere sind teuer in der Umsetzung oder sogar widersprüchlich zu anderen Zielen. Wir denken jedoch trotzdem, dass diese Ziele wichtig und für Investoren hochrelevant sind. Einige Ziele beziehen eine Rolle für privates Kapital mit ein, während andere politisch orientierter sind. Investoren können die SDGs in schärferen Fokus bringen, indem sie zuerst die Ziele identifizieren, die für den privaten Sektor relevanter sind und dann überlegen, welche Unternehmen dafür relevante Produkte und Dienstleistungen anbieten.
Die Trump-Regierung hat sich bekanntlich aus dem Pariser Klimaschutzabkommen zurückgezogen. Wird dies die Investitionen in umweltfreundliche Energie beeinflussen?
Wir glauben nicht, dass die Entscheidung der US-Regierung den Trend zur saubereren Energie aufhalten wird. In den USA sind fast alle neuen Energieerzeugungskapazitäten seit den frühen 1990er Jahren im Bereich Erdgas (welches die Hälfte des Kohlenstoffs pro Energieeinheit im Vergleich zur Kohle abgibt) und zunehmend erneuerbare Energien entstanden (Null-Emission). Während Wind und Solar derzeit nur 6,5 Prozent der US-Energieproduktion ausmachen, machen sie seit 2014 mehr als die Hälfte aller neuen Kapazitäten aus. Im Jahr 2016 erreichte ihr Anteil zwei Drittel. Warum haben die USA einen so dramatischen Wechsel von den schmutzigsten fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energien vollzogen? Es geht nicht um anspruchsvolle Regelungen oder Verträge wie die Pariser Vereinbarung, sondern um technologischen Fortschritt und Kosteneinsparungen. In letzter Zeit hat die Kohle wegen der Konkurrenz von billigerem, sauberem Erdgas und einem starken Rückgang der Kosten für erneuerbare Energien Einbussen verzeichnet. Die Kosten der Windenergie sanken um 45 Prozent, für Solarenergie gar um 74 Prozent von 2008 bis 2016. Die Kombination von laufenden Innovationen, die weiterhin die Kosten senken und breiter öffentlicher politischer und unternehmerischer Unterstützung für sauberere Energie sollten für eine Fortsetzung der aktuellen Trends sorgen.
Daniel Roarty, CFA, ist Chief Investment Officer (CIO) Thematic & Sustainable Equities bei AllianceBernstein. Er ist seit 2011 bei AllianceBernstein tätig, zuerst als Sektor-Head für den Technologiebereich im Global und International Research Growth Team. Vorher verbrachte er neun Jahre bei Nuveen Investments, wo er eine Large-Cap- und eine Multi-Cap-Wachstumsstrategie verwaltete. Seine Researcherfahrung umfasst die Bereiche Technologie, Industrie und Finanzbestände bei Morgan Stanley sowie Goldman Sachs. Roarty hält einen Bachelor in Finance von der Fairfield University und einen MBA von der Wharton School an der University of Pennsylvania.