Digitalisierung: Die Finanzindustrie steht vor grossen Herausforderungen

04.03.2015
Herr Borini, man kennt Sie in der Fondswelt insbesondere als ETF-Experte. Nun veranstalten Sie - bereits zum dritten Mal - in Zürich die Konferenz Finance 2.0. Was versteht man unter diesem Begriff überhaupt?
Unter Finance 2.0 versteht man die massiven Veränderungen im Finanzbereich, die derzeit stattfinden. Die Gesellschaft wird digital und wenn die Banken, wie sie es ja immer sagen, kundenorientiert sein wollen, muss auch das Banking digital werden.
Banken sind doch seit Jahren schon digital.
Das, was Banken in den letzten zehn bis 15 Jahren im digitalen Bereich gemacht haben wie beispielsweise Zahlungsverkehr oder Börsengeschäftsabwicklung, müssen sie komplett überdenken. Die Banken müssen sich den neuen Gegebenheiten anpassen. Heutige Kunden informieren sich online - sei es auf Webseiten, Blogs oder sozialen Medien - und entscheiden selber, wann und über welchen Kanal sie mit ihrem Institut in Kontakt treten wollen. Für Banken bedeutet das, sie müssen ihre Kunden dort abholen, wo sich diese bewegen.
Der Druck kommt also von den Kunden?
Nicht nur. Der Druck kommt von allen Seiten. Etwa von neuen Wettbewerbern mit innovativen Geschäftsmodellen, sogenannten FinTechs, welche die Wertschöpfungskette der Banken angreifen. Aber auch seitens Regulierung und rechtlicher Strukturen nimmt der Druck massiv zu.
Sind alle Bereiche des Bankings betroffen?
Absolut. Retailbanking, Wealth- und Asset Management - in jedem Bereich gibt es angriffslustige FinTechs. Vor allem im Asset Management, das meiner Meinung nach noch in der Welt 1.0 lebt, gibt es viel zu tun. Aber Herausforderungen sind ja immer auch wunderbare Chancen.
Warum ist das Asset Management noch in der 1.0-Welt?
Es gibt beispielsweise nur wenige Anbieter, die ihren Kunden Factsheets auf Tagesbasis anbieten. Solche auf Tagesbasis, sogar Realtime, zu produzieren ist heute keine technische Hürde mehr - trotzdem geschieht es nur selten. Ich kenne auch nur wenige Asset Manager, die auf sozialen Kanälen kommunizieren. Aber auch diese müssen sich verstärkt Gedanken machen, wo der Kunde sich bewegt.
Gibt es hierzulande innovative Vorbilder?
Aus der Schweiz kann ich Ihnen leider kein positives Beispiel nennen. Die Innovationen finden woanders statt, etwa in den USA. Ein innovativer Player ist Wealthfront, der eine Online-Plattform für automatisierte Vermögensverwaltung betreibt. Da gibt es keine Berater, alles geschieht online. Vor drei Jahren war die Plattform komplett unbekannt, heute verwaltet Wealthfront beinahe zwei Milliarden US-Dollar. Die Kosten für die Vermögensverwaltung betragen - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen - 0,25 Prozent pro Jahr. Die Firma beschäftigt weniger als 100 Mitarbeitende, ist hoch effizient und kann von erstaunlichen Wachstumsraten profitieren.
Um diese Veränderung zu thematisieren, haben Sie vor drei Jahren die Finance 2.0 Konferenz lanciert.
Genau. Wir waren in der Schweiz die Ersten, die sich diesem Thema angenommen haben und betreiben heute die schweizweit führende Plattform. Bei uns trifft sich die Community, bestehend aus Finanzdienstleistern wie Banken und Vermögensverwalter, Investoren und FinTech-Unternehmen. Wir wollen spannende Diskussionen fördern, Einblicke in neue, technologisch hochstehende Dienstleistungen bieten und die Herausforderungen aufzeigen, quer durch die ganze Finanzbranche. Auch Themen wie Sicherheit, Design und Kundenerlebnisse werden thematisiert.
Am 5. Mai geht die Konferenz in Zürich in die dritte Runde. Was sind die diesjährigen Themen?
Das Herzstück des Schweizer Bankings ist das Wealth- und Asset Management. Wenn wir hier nicht endlich innovativ werden, verlieren wir, Stichwort Robo-Advice. Das wird sicherlich einer der Programmschwerpunkte sein. Weitere Themen sind Customer Experience und das Gewinnen von Talenten. Das Detailprogramm wird in Kürze online sein.
Sie sagen, die Schweiz müsse endlich innovativer werden. Sind wir nicht bereits Innovations-Weltmeister?
Das mag für andere Branchen gelten, aber definitiv nicht für den Finanzbereich. Hier liegt die Schweiz im hinteren Mittelfeld, wenn nicht sogar im Niemandsland. Welche Analysen ich auch zur Hand nehme, ich sehe die Schweiz nirgends in einer Führungsposition. Und ich bin ja nicht der einzige, der das sagt. Auch die Digitalverantwortlichen von Banken unterstützen meine Aussage.
Wie kann Innovation entstehen?
Wünschenswert wäre ein stärkeres Zusammenspiel zwischen FinTech und etablierten Banken. Ebenfalls wichtig ist, dass die Politik die Bedeutung und das Potenzial dieser Veränderungen sieht.
Sie sprechen die FINMA an?
Indirekt. Letztlich hat die FINMA einen Auftrag, der von der Politik definiert wird. Ich denke, wir sollten uns London als Vorbild nehmen.
Warum?
Der Regulator von England hat ein Innovationsteam. Sie haben richtig gehört: der Regulator. Wenn dortige FinTech-Unternehmen Fragen haben, bekommen sie innert weniger Tage eine Antwort. Sie werden aktiv unterstützt. Hierzulande warten FinTechs Wochen bis Monate, für ein Startup kann das tödlich sein. Zudem hat das Pendant von Eveline Widmer-Schlumpf, Chancelor George Osborne, letzten Sommer klar gesagt, dass die Digitalisierung der Finanzdienstleister enormes Wachstumspotenzial biete, das letztlich der ganzen Volkswirtschaft zu Gute komme. Die Regierung Cameron hat deshalb zahlreiche Aktivitäten unternommen, damit ein Ökosystem entstehen kann.
An wen richtet sich Ihre Konferenz?
Strategie-, Produkt-, Marketing-, Kommunikations- sowie E-Channel-Verantwortliche bei Finanzdienstleistern und Führungskräfte aus Beratungs- und IT-Häusern. Anmelden kann man sich auf finance20.ch.
Rino Borini ist Mitgründer und CEO der financialmedia AG in Zürich. Das unabhängige Medienhaus gibt verschiedene Publikationen im Wirtschafts- und Finanzbereich heraus und veranstaltet zahlreiche Veranstaltungen und Konferenzen. Davor war Borini in leitenden Funktionen in der Finanzindustrie tätig. Der Certified European Financial Analyst (CEFA) eignete sich während mehreren Jahren ein fundiertes Wissen über Banking und Kapitalanlagen an.