Digitalisierung im Fonds-Vertrieb - wo stehen wir?

02.02.2018
Herr Altmann, die Digitalisierung bricht immer neue Rekorde. Dennoch kann man keine Fonds über Facebook kaufen. Warum?
Die Wertschöpfungskette zum Erwerb von Finanzprodukten ist nur unzureichend standardisiert. Bis heute gibt es kein allgemeingültiges API für Fonds-Transaktionen, was von den gängigen Fondsplattformen und Online-Brokern akzeptiert wird. Und das gilt für jedes europäische Land.
Deswegen können Anbieter von Online-Plattformen nicht einfach einen preiswerten Fonds-Shop integrieren und ihren Usern Produkte anbieten - das alles erfordert Handarbeit und landesspezifische Integrationen - zu entsprechenden Kosten. Der Siegeszug des E-Commerce ist an der Anlage-Branche bislang einfach vorbeigegangen.
Die Robo-Advisor boomen aber doch?
Vor allem boomt deren Anzahl, das investierte Kapital und damit die Hoffnung. Auf der Kundenseite gibt es noch sehr viel Zurückhaltung. Das Verhältnis Robo-Volumen zum Vermögen, was Private in Publikumsfonds investiert haben, beträgt in Deutschland 1:500!
Obwohl viele Robo-Advisor technisch und von der Nutzeransprache her sehr gut gemacht sind, hat man den Dreh noch nicht gefunden, den Endanleger zu begeistern, damit die Investoren den Direktzugang häufiger nutzen als den klassischen Vertrieb. Anscheinend lösen die Robo-Advisors nicht das eigentliche Kundenproblem - was mache ich mit meinem Geld und mit welchen Zielen lege ich es an?
An der generellen Internet-Skepsis kann es nicht liegen: In Deutschland wird gerne per Online-Crowd-Funding in Immobilien-Projekte investiert, die weit weniger transparent und kosteneffizient sind als die Finanzmarkt-Robos. Aber eben nicht im Finanzmarkt.
Die wenigen Kunden der Robos stammen meist aus der Zielgruppe der vermögenden älteren Männer ab 55 - woraufhin so mancher flipper Auftritt eines Robos schon deutlich runder geschliffen wurde (zum Beispiel Visualvest). Was die Jungen jedoch wollen, ist noch völlig unklar. Tatsache ist, dass die ETF-Sparpläne ein grosser Erfolg sind und überwiegend von jungem Publikum in Anspruch genommen werden. Und wirklich nachhaltige Produkte sind mit Sicherheit auch ein Thema.
Die Anlagebranche schaut zu?
Asset Manager mit signifikanten digitalen Aktivitäten sind noch rar in Europa. Innovative, herausragende Lösungen für den Endkunden-Kontakt setzt überhaupt keine Gesellschaft ein. Dies überlässt man den Direktbanken und Fintechs. Mit Robo-Advisor wird experimentiert, aber nicht unter eigenem Namen. Wahrscheinlich muss erst Vanguard kommen und ohne Angst vor Endkunden den Markt per Direktvertrieb abräumen - wie in den USA zweifellos geschehen.
Dabei ist es gar nicht so schwer, die eigenen Kunden direkt anzusprechen: Die moderne digitale Technik macht es möglich. Den Anfang können die Aktivitäten im Wholesale machen, wo immer mehr Entscheidungsträger kaum noch für persönliche Gespräche und direkte Kommunikation offen sind. Diese Gatekeeper holen sich lieber die nötigen Informationen von digitalen Informations-Plattformen. Dies wird sich auch nicht ändern, der Wholesale-Vertrieb steht vor grossen Veränderungen, nicht zuletzt durch MiFID II.
Der Ansatz hiesse also, Plattformen zu beliefern, einzusetzen und Leads produzieren zu lassen für ein eigenes Kampagnen-Managementsystem. Besonders für kleinere Asset Manager wie Boutiquen und ETF-Anbieter bieten sich hier enorme Chancen.
Der gleiche Ansatz liesse sich im sensiblen institutionellen Geschäft umsetzen. Anrufen, Mittagessen, Präsentation senden und zur Veranstaltung einladen - das ist von gestern. Immer mehr Investoren sind dieser Meinung, und die schwindende Zahl von relevanten Veranstaltungsteilnehmern spricht Bände.
Gibt es Vorreiter?
Am aktivsten sind die grösseren ETF-Anbieter - die müssen sich besondere Mühe geben und können sich nicht auf etablierte Vertriebskanäle verlassen. ETF-Anbieter kennen ihre Kunden nicht, da die Assets an der Börse anonym den Eigentümer wechseln - da ist es Pflicht, die Kunden parallel digital zu binden.
Grössere deutsche und internationale Häuser sind nicht notwendigerweise langsamer, haben aber oftmals eingefahrene IT-Strategien und überforderte Compliance-Einheiten. Lokalen Niederlassungen wird wenig Spielraum gegeben. Die DWS hat jedoch jüngst gezeigt, wie digitale Kommunikation mit und für Vertriebsintermediäre aussehen kann - daran könne sich andere Player ein Beispiel nehmen.
Eine Verweigerungsstrategie, um den klassischen Vertrieb zu schützen, nützt künftig nicht mehr. Denn MiFID II und die kommende erneuerte FinVermV erfordert auch von den Vertrieben eine Neufassung ihrer Strukturen, die nur mit digitalen Strategien zu bewältigen sein wird.
Ein Blick in die Glaskugel?
Ohne zu weit vorgreifen zu wollen, aber vor der Tür stehen digitaler B2B-Vertrieb über RFP-Plattformen, Einsatz digitaler hochentwickelter Kommunikations-Tools, digitale Research- und Info-Plattformen für Investment-Profis, die Abwicklung von Fondstransaktionen per Blockchain und Online-Payment-Provider und der Einsatz von Gamification zur Ermittlung der Risikobereitschaft bei Privatanlegern. Das sind alles reale Entwicklungen, die durch MiFID II sogar beschleunigt werden. Digitale Endkundenplattformen gibt es ja bereits.
Verbunden damit wird die Zahl der angebotenen Fonds extrem schrumpfen, die Kanäle werden sich konsolidieren, wie auch die Zahl der klassischen Asset Manager und ETF-Anbieter.
Die heutigen Finanz-Robos werden in Verbraucher-Portalen aufgehen, die eine ganze Breite von Finanzprodukten anbieten und vielleicht sogar Teil von sozialen Netzwerken sein werden. Und vielleicht entdecken die kontinental-europäischen Verbraucher dann endlich die Vorteile der strategischen Kapitalanlage im Finanzmarkt.
Jan Altmann berät seit 15 Jahren als Unternehmensberater internationale Kunden aus der Investment-Industrie, darunter Asset-Management-Boutiquen, ETF-Anbieter, Plattform-Anbieter, Börsen, Indexanbieter und Robo-Advisor. Er hat in 2000 im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Deutschen Börse dort das Segment für den ETF-Handel aufgebaut. Heute beschäftigen ihn vor allem digitale Kommunikations- und Vertriebs-Themen, Fintech-Opportunities und Online-Plattformen.