Drei Gründe für nachhaltiges Investieren in der Post-Covid-Ära

14.07.2020
Herr Dr. Rott, Milliarden von Euros und Dollars werden in den nächsten Jahren in die Stabilisierung der Wirtschaft gepumpt. Gleichzeitig wissen wir, dass wir unser Wirtschaftssystem nachhaltig ausrichten müssen, um beispielsweise die Auswirkungen des Klimawandels so niedrig wie möglich zu halten. Passt das denn alles zusammen?
Der enorme Umfang der kommenden staatlichen Finanzhilfen bedeutet, dass heutige Allokationsentscheidungen die Geschicke in vielen Branchen auf Jahre hinweg bestimmen werden. Es gibt einen Gestaltungsspielraum ungeahnten Ausmasses. Gleichzeitig aber wird der gestiegene Einfluss von Regierungen auf Unternehmen das Verhältnis zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor zu Lasten unternehmerischer Freiheit nachhaltig verändern. So wird sich beispielsweise der Fokus des nachhaltigen Wirtschaftens neu ausrichten: Die Widerstandsfähigkeit jenseits der Bilanz wird für alle Unternehmensbereiche eine weitreichende Rolle spielen. Dazu gehören auch die Gesundheit der Mitarbeitenden, robuste Zulieferketten und stabile Kundenbeziehungen über alle Kanäle. Somit verschieben sich die Unternehmensziele zugunsten des integrativen Stakeholder-Modells, indem sich die Interessen der Kapitalgeber mit denen anderer Stakeholder wie Kunden, Mitarbeitenden, Staat und Gesellschaft neu definieren. Wir erwarten, dass am Ende der Krise eine neue Normalität entstehen wird.
Und welche Rolle spielt nachhaltiges Investieren Ihrer Meinung nach in dieser neuen Normalität?
Die unvergleichbare Schnelligkeit und Wucht, mit der sich die Corona-Krise auf die Kapitalmärkte seit Mitte Februar auswirkte, wirft die Frage auf, welche Rolle nachhaltiges Investieren spielen kann. Aktuell zeigt sich, dass ESG- und Impact-Analysen in der derzeitigen Situation weiter an Bedeutung gewinnen. Dafür gibt es drei Gründe:
Nachhaltiges Investieren zielte schon immer darauf ab, finanzwirtschaftliche Risken zu identifizieren, die sich aus Externalitäten, regulatorischen Veränderungen und Reputationsschäden ergeben. Beispiele aus dem Klimaschutz sind die Kosten für CO2-Zertifikate, Emissionsbeschränkungen sowie Strafzahlungen für Abgasmanipulationen.
Darüber hinaus sind ESG- und Impact-Analysen zusätzliche wertvolle Bewertungsfaktoren. Gerade ihre Stakeholder-Orientierung (wie etwa Mitarbeiterzufriedenheit, Kundenloyalität und Markenwert) sowie die Auswirkungsanalyse von Produkten und Dienstleistungen eines Unternehmens auf Umwelt und Gesellschaft machen eine ESG-Betrachtung so bedeutend.
Neben den Prinzipien guter Unternehmensführung ist die Evaluierung der Anpassungsfähigkeit und Innovationskapazität von Unternehmen in unseren Modellen massgeblich, um die erforderliche Widerstandsfähigkeit von Unternehmen in der Corona-Krise und danach einzuschätzen zu können. Denn wer auf exogene Schocks dynamisch in der Produktion, Distribution und Finanzmittelbeschaffung reagieren kann, hat einen deutlichen Wettbewerbsvorteil.
Sie sprechen hier hauptsächlich von sozialen Faktoren und der Governance. Sind Umweltgesichtspunkte out?
Zu oft verlieren sich ESG-Analysen in der Beliebigkeit der langen Frist - gerade bei Umweltthemen. Eine Fokussierung auf das Hier und Jetzt ist dringend erforderlich und findet gerade statt. Es ist richtig: Humankapital und Kapitalverwendung stehen derzeit stärker im ESG-Fokus im Gegensatz zu Klimaschutz oder CO2-Reduktionen. Damit wird aber nicht impliziert, dass Unternehmen einfach Umweltziele aufgeben können, um stattdessen soziale Ziele zu verfolgen - im Gegenteil.
Nochmals zurück zu der von Ihnen angesprochenen neuen Normalität. Welche Ideen gibt es da schon?
Nachhaltige Prinzipien sind gefordert, um einen marktbasierten Neustart zu ermöglichen, der den aktuellen wirtschaftlichen Stillstand ablöst, in dem Regierungen und Zentralbanken die entscheidende Rolle spielen. Das Weltwirtschaftsforum (WEF) hat dazu sechs Stakeholder-Prinzipen für das Corona-Zeitalter vorgeschlagen: Mitarbeiterschutz; die Geschäftskontinuität gemeinsam mit Zulieferern und Kunden sicherstellen; gerechte Preise für Kunden beibehalten; Staat und Gesellschaft bereitwillig unterstützen; den langfristigen Unternehmensbestand im Sinne der Aktionäre wahren und langfristige Nachhaltigkeitsziele unvermindert verfolgen.
Diese Leitlinien im Rahmen einer integrierten Unternehmensanalyse von Finanzfaktoren und ESG-Faktoren sind einleuchtend.
Und was haben Investoren von dieser Entwicklung?
Wir beobachten, dass ESG-Produkte bislang eine bessere Performance zeigen als ihre Non-ESG-Pendants. Wir erwarten, dass das Wachstum nachhaltiger Investments beschleunigt wird und als Investmentstrategie gestärkt aus der Krise hervorgeht. Wir sehen auch an ersten Daten, dass Unternehmen mit einem klaren ESG-Fokus in ihrer Unternehmensstrategie weniger stark am Aktienmarkt gelitten haben und sich schneller aus dem Kurstal herausgearbeitet haben. Dies gilt es nun näher zu untersuchen.
Link zum Disclaimer
Dr. Roland Rott ist der Geschäftsführer von Inflection Point. Das Unternehmen ist eine forschungs- und datengesteuerte Anlageberatungsboutique, die sich vollständig im Besitz der La Française Group befindet. Er verfügt über mehr als 15 Jahre Erfahrung im Aktienresearch, zuletzt bei GO Investment Partners LLP, wo er als Investmentpartner für den «European Focus Fund» tätig war. Zuvor war er innerhalb des Stewardship-Services-Teams von GO für die Analyse der Corporate Governance und die Zusammenarbeit mit europäischen Grossunternehmen verantwortlich. Dr. Roland Rott begann seine Karriere als Managementberater in der Finanzindustrie bei KPMG und der Deutschen Bank und war als Corporate-Governance-Analyst für institutionelle Investoren, Unternehmensvorstände und internationale Organisationen tätig.