«Eigentümergeführte Unternehmen können im Bereich Nachhaltigkeit punkten»

Lead Portfolio Manager - Entrepreneur-Strategien
Bellevue Asset Management AG, Küsnacht ZH
bellevue.ch
24.09.2021
Frau Olsen, das Thema Nachhaltigkeit ist das vorherrschende Thema und steht mittlerweile auch politisch ganz oben auf der Agenda. Welchen Stellenwert besitzt dieses Thema bei eigentümergeführten Unternehmen?
Ja, das Thema Nachhaltigkeit ist derzeit das vorherrschende Thema und steht mittlerweile auch politisch ganz oben auf der Agenda. So soll beispielsweise die EU-Taxonomie die ökologische Nachhaltigkeit von wirtschaftlichen Tätigkeiten und Finanzprodukten messbarer machen. Langfristige Perspektiven, soziale Verantwortung, ethisches Handeln und immer mehr auch hohes Umweltbewusstsein zählen seit jeher zu den Erfolgsfaktoren eigentümergeführter Unternehmen. Denn Eigentümerfamilien sind typischerweise mit einem Grossteil ihres eigenen Vermögens in ihren Firmen investiert, nehmen Führungsverantwortung wahr und kontrollieren das Unternehmen über ihre Vertretung im Management und im Aufsichtsrat. Daher sind sie an der langfristigen Wertentwicklung und nicht an kurzfristiger Gewinnmaximierung interessiert - was heute zunehmend mit der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsfaktoren verbunden ist.
Familienunternehmen überzeugen bereits im Kern durch überdurchschnittliche ökonomische Nachhaltigkeit, insbesondere dank vier Qualitätsfaktoren: intakte Bilanzen, ein hoher Innovationsgrad, stabiles Wachstum sowie starke Margen. Zu ihren Erfolgsfaktoren zählen insbesondere das hohe Mass an Verantwortung, effiziente Managementstrukturen, hohes Qualitätsbewusstsein und schliesslich ihre nachhaltigen Perspektiven.
Vor diesem Hintergrund können eigentümergeführte Firmen auch in Bezug auf die neuen Anforderungen im Bereich Nachhaltigkeit punkten. Während etwa der Schweizer Lebensmittelmulti Nestlé mit einer Marktkapitalisierung von rund 260 Mrd. Euro erst für das Jahr 2050 Klimaneutralität anpeilt, avisiert beispielsweise der deutlich kleinere schwedische Energiedienstleister Lundin Energy dieses Ziel bereits für 2025.
Wie schneiden europäische eigentümergeführte Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit im internationalen Vergleich ab?
Ein internationaler Vergleich zeigt, dass europäische Firmen sehr viel besser abschneiden im Hinblick auf Nachhaltigkeitsfaktoren als etwa ihre US-amerikanischen Pendants. Denn Nachhaltigkeit ist in Europa auf der politischen Agenda und davon dürften europäische Unternehmen im globalen Wettbewerbsvergleich langfristig profitieren.
Kleinkapitalisierte und junge, sich etwa noch in der Aufbauphase befindenden Unternehmen werden oftmals gegenüber Grossunternehmen systematisch benachteiligt. An was liegt das?
Das liegt oftmals an fehlenden personellen Ressourcen oder mangelnder Erfahrung im Umgang mit ESG-Fragestellungen. Letztendlich kann all dies ursächlich zu einer Unterbewertung führen.
ESG-Überlegungen sollten deshalb in der Fundamentalanalyse vollumfänglich integriert werden. Dabei sollte der Fokus nicht etwa nur auf Risiken, sondern auch auf Chancen gelegt werden, die sich aus der Nachhaltigkeitsperspektive ergeben können. Im Rahmen der fundamentalen Analyse und Titelselektion können so auch attraktiv bewertete Unternehmen identifiziert werden, die noch nicht über ein ESG-Scoring verfügen, das sie tatsächlich verdienen oder die - vom breiten Markt noch weitgehend unentdeckt - sich zu möglichen «ESG Superstars» von Morgen entwickeln können.
Link zum Disclaimer
Birgitte Olsen ist Lead Portfolio Manager für Entrepreneur-Strategien. Sie arbeitet seit 2008 bei Bellevue Asset Management. Zuvor war sie unter anderem für Vontobel sowie für Generali tätig. Heute ist sie für die Anlagefonds «BB Entrepreneur Europe», «BB Entrepreneur Europe Small» sowie «BB Entrepreneur Switzerland» und für institutionelle Mandate verantwortlich. Die gebürtige Norwegerin, die in Genf aufwuchs, verfügt über einen Abschluss der Universität St. Gallen und ist CFA-Chartholder.