Einspruch! Warum unser Geld Privatsphäre verdient

24.03.2014
Herr Lusser, Sie haben vor wenigen Tagen ein Buch veröffentlicht, in dem Sie sich dezidiert gegen die Aushöhlung der finanziellen Privatsphäre wenden. Inwieweit betrifft dies die Fondsbranche?
Als Vertreter der Finanzwirtschaft tragen wir eine besondere staatsbürgerliche Verantwortung. Der internationale behördliche Zugang auf die Konten der Menschen hat grosse gesellschaftliche Konsequenzen. Wenn wir nicht auf diese aufmerksam machen, wer dann?
Zeigt der Fall Hoeness nicht gerade, dass Steuerbehörden mehr Daten gut gebrauchen können?
Dass der Spielraum enger wird, um steuerpflichtige Einkünfte vor dem Fiskus zu verstecken, ist erfreulich. Doch haben die mit wachsender Vehemenz eingeforderten Daten einen hohen Preis.
Dies wird in der Öffentlichkeit aber nicht so wahrgenommen.
Wer im Frieden aufgewachsen ist und nie von korrupten oder ideologisierten Behörden genötigt wurde, dem wird der Austausch von Finanzdaten nicht bedrohlich erscheinen. Der automatische Datenaustausch wurde ursprünglich in der EU eingeführt. Mittlerweile fordert aber selbst die UNO dieses System weltweit. Es wird nicht nur geografisch ausgeweitet. Auch werden immer mehr Informationen gefordert, die weit über den Kontostand am Jahresende hinausgehen. Neben den Konten von Privaten sind auch Institutionelle zunehmend auf dem Radar der Datenwunschlisten.
Sehen Sie konkrete Missbrauchsrisiken?
Die offensichtlichsten Risiken liegen im Missbrauch der Daten in Ländern mit wenig etablierten rechtstaatlichen Strukturen oder korrupten Behörden. Wie soll die Opposition eines Landes agieren, wenn der Machthaber an deren Finanzen gelangt und deren Konten weltweit unter dem Vorwurf von Steuerbetrug sperren lassen kann? Die Kontrolle der Bürger dient immer den Mächtigen zulasten der Nicht-Konformen.
Derartige Sorgen erscheinen bei uns im Westen wenig relevant.
Der oberste Leiter der amerikanischen Steuerbehörde IRS musste letztes Jahr zurücktreten, weil er gezielt den politischen Gegner ins Visier nahm und drangsalierte. Das Beispiel zeigt: Die Sorgen sind auch in Ländern mit sehr hohen Rechtsstandards real.
Glauben Sie, dass die gemeinsame Vertrauensbasis zwischen Anleger und Staat zusehends strapaziert wird?
Die respektierte Non-Profit-Organisation Privacy International stellt einen «beunruhigenden Niedergang beim Schutz der Privatsphäre quer durch Europa und einen steilen Anstieg staatlicher Überwachung» fest. Und diese Einschätzung gilt ganz besonders für die finanzielle Privatsphäre. Davon betroffen sind eben nicht nur ein paar Superreiche, sondern alle Anleger und Bürger. Anders ausgedrückt: Wenn die Rahmenbedingungen rund um die Vertraulichkeit von Bankdaten geändert werden, geht es nicht nur um etwas mehr Steuerehrlichkeit. Es geht um die Frage des Vertrauens zwischen dem Sparer und der Bank, um das Verhältnis des Staates zum Bürger und letztlich sogar um die Regeln zwischenstaatlicher Beziehungen.
Was bedeutet es, wenn dieses Vertrauen zwischen Sparer und Bank nicht mehr gegeben ist?
Das Vertrauen zwischen Sparer und Bank ist essentiell. Nur wenn diese Vertrauensbasis besteht, können die Banken ihre volkswirtschaftlich bedeutende Rolle bei der Finanzierung von Unternehmen, Privaten und nicht zuletzt staatlichen Aktivitäten wahrnehmen. Wir sollten diese Vertrauensbasis nicht als etwas Gottgegebenes betrachten. Vertrauen baut sich - gerade in der Finanzwelt - nur langsam auf, kann sich aber bei verschlechterten Rahmenbedingungen sehr schnell wieder verflüchtigen. Wenn diese Vertrauensbasis erodiert, dann werden Anleger und Investoren nach Alternativen Ausschau halten.
Was heisst das konkret?
Wenn die Behörden allzu vieles via Bankauszug in Erfahrung bringen können, dann werden sich Sparer vermehrt in Anlagen engagieren, die keine Spuren hinterlassen. Vermögensteile werden bereits anstatt auf dem Konto zuhause als Bargeld gehortet. Doch da gehört das Geld definitiv nicht hin. Anstatt zu merken, dass die totale Kontrolle der Holzweg ist, haben die Behörden begonnen, den Bargeldverkehr massiv einzuschränken. Die alternative Bitcoin-Währung erlebte daraufhin einen Boom. Ob hinter den kürzlich erfolgten Pannen wichtiger Bitcoin-Server kriminelle Machenschaften von Privaten stecken oder staatliche Aktivitäten, ist offen. Jedenfalls wird Bitcoin nicht die letzte Erfindung sein, welche den Menschen Privatsphäre ermöglicht. Der Erfindungsreichtum der Menschen sollte generell nicht unterschätzt werden. Wem eine volkswirtschaftlich sinnvolle Allokation der Ressourcen am Herzen liegt, hat leider Grund zur Sorge. Der Sparer, der sein Geld auf die Bank bringt, darf nicht schlechter gestellt sein als Leute, die dem gesamten Finanzsystem ohnehin misstrauen und ihre Vermögenswerte entsprechend aufbewahren.
Womit wir zurück wären bei der Bedeutung für unsere Fondsbranche.
Absolut. Das Volumen der Bitcoins hat in kürzester Zeit den Wert verschiedener nationaler Währungen überschritten. Nachfolgende, von potenteren Organisationen verbreitete Alternativanlagen könnten dem offiziellen Finanzsystem signifikante Volumen entziehen. Letztlich sind wir damit wieder zurück bei der Eingangsfrage: Die Beachtung der finanziellen Privatsphäre hat langfristig für die Fondsindustrie wohl grössere Auswirkungen als wir heute vermuten.
Buchhinweis
Einspruch! Warum unser Geld Privatsphäre verdient
Andreas Lusser, FBV Verlag München, ISBN 978-3-89879-870-9
Andreas Lusser ist langjähriger Geschäftsführer des unabhängigen Research-Unternehmens theScreener. Er war zuvor in verschiedenen Funktionen bei der UBS und in der Telekommunikationsindustrie tätig. Andreas Lusser ist Diplomingenieur der Eidgenössischen Technischen Hochschulen Zürich und Lausanne und Master in Betriebswirtschaft des IMD in Lausanne. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.