Es gibt kein Problem, dass so gross wäre, dass es nicht mit Geld gelöst werden könnte

29.07.2015
Herr Halver, Sie zählen in Deutschland zu den bekanntesten Köpfen im Börsengeschäft und Ihre Aussagen werden auch im Ausland beachtet. An was denken Sie gerade in diesem Moment?
Ich denke an Urlaub. Ich freue mich darauf, bald eine Auszeit vom Hamsterrad zu nehmen. Dieses Jahr war bislang so nervenanspannend wie keines zuvor. Denn trotz fünf Monaten des unerträglichen Politisierens und der weiteren Aufgabe der einst felsenharten Euro-Stabilitätskriterien hat man keine vernünftige Lösung für Hellas gefunden, sondern nur das Problem vertagt. Das Motto war: Es kreiste der Berg (Euro-Gipfel) und gebar eine Maus. Der Grexit wäre die bessere ökonomische Lösung gewesen. Aber in der Politik hat der gesunde Menschenverstand nicht immer etwas zu suchen. Aber jetzt erst einmal Urlaub vom «griechischen Drama».
Was hat Sie in der ersten Jahreshälfte an den Märkten am meisten beeindruckt?
Die Standfestigkeit der Aktienbörsen ist grossartig. Wir haben zwar eine Euro-Glaubwürdigkeitskrise, eine verhaltene Weltkonjunktur, Schwellenländer, die ihre wirtschaftliche Sturm-und-Drang-Zeit hinter sich haben, eine chinesische Planwirtschaft zur Verhinderung des Platzens der Immobilien-, Kredit- und Aktienblasen, Diskussionen über die US-Leitzinswende und IS-Terror. Na und? Aktien kann nichts wirklich etwas anhaben. Denn die üppige Geldpolitik ist offenbar so unsterblich wie Helden der griechischen Mythologie. Die Finanzwelt ersäuft in Geld, das angelegt werden muss. Und auf Rendite-Askese im Zinsvermögen hat doch keiner Lust.
Gab es die eine oder andere Überraschung oder war alles voraussehbar?
Ich bin zwar ein Aktienbulle, aber dass wir im Frühjahr so dramatische Aktienbefestigungen erleben, hat mich freudig überrascht. Man darf eben die Allmacht von Mario Draghi nicht unterschätzen. Es gibt kein Problem, dass so gross wäre, dass es nicht mit Geld gelöst werden könnte. Mario Draghi ist ein Meister auch im Spiel ohne Ball. Er weiss, dass geldpolitische Worte zerstören, wo sie nicht hingehören. Seine Verbalerotik wirkt auf die Euro-Rentenmärkte so sanft und beruhigend wie Musik der Marke «Kuschelrock». Mario Draghi ist der Finanzfriedensnobelpreisträger der Eurozone. Systemische, konjunkturelle und soziale Risiken werden einfach in Liquidität ersäuft.
Müssen Anleger in Zukunft mit noch volatileren Börsen leben?
Wir haben schon viel höhere Schwankungen erlebt: Denken Sie an die Asien-Krise, die Pleite von Lehman, die Anschläge von September 2001 in den USA oder der Höhepunkt der Euro-Staatsschuldenkrise 2012. Damals war die Volatilität teilweise viermal so hoch wie heute. Solange keine exogenen Schocks wie Kriege passieren und die globale Geldpolitik ultralocker bleibt, ist keine dramatische Schwankungsbeschleunigung zu erwarten. Unsere geldpolitischen Rettungsengel müssten doch mit der Muffe gepufft sein, wenn sie eine teuflische Renditewende zuliessen. Damit zerstörten sie ihr eigenes Rettungswerk. Sie wissen genau, dass man geldpolitisch gezähmte Rentenmärkte nicht einfach wieder in die freie Wildbahn entlassen kann. Dort würden sie von Spekulanten ähnlich aufgefressen wie Antilopen von hungrigen Löwen, die im Streichelzoo aufwuchsen und plötzlich in der afrikanischen Savanne ausgesetzt werden. Und wenn es denn sein muss, wird die EZB ihr Anleiheaufkaufprogramm zur Aufrechterhaltung der Wehrkraft des Rentenmarkts auch über September 2016 hinaus verlängern. Selbst wenn die US-Leitzinswende im September eingeleitet wird, braucht sich kein Anleger vor einer Zinspolitik mit Schaum vor dem Mund wie bereits zwischen 2004 und 2006 zu fürchten. Mit einem Anstieg von einem auf 5,25 Prozent hatte man damals nicht nur die ungeliebte Immobilienblase wie eine Schmeissfliege auf der Vase zerschlagen, sondern die Vase gleich mit: Nach der Immobilienblase haben auch Aktienmärkte und Weltkonjunktur den Löffel abgegeben. Unsere Blasen, vor allem die bei Anleihen, werden geldpolitisch weiter gepflegt, damit sie nicht platzen. Denn die Geldpolitik weiss: Wenn Rendite-Wende, dann Finanzmarkt-Ende!
Wie kann man sich da optimal positionieren? Kennen Sie ein Erfolgsrezept?
Anleger sollten dem Aktienmarkt treu bleiben. Die Zinsmärkte sind aufgrund der Renditedrückung der Notenbanken nur eine Anlagealternative für Asketen. Selbst Griechenland wird seine hohen Staatsanleiherenditen verlieren. Denn ich glaube, die EZB wird Griechenland ab 2016 in ihr Anleiheaufkaufprogramm aufnehmen. Die Situation mickriger Zinsen wird sich auf absehbare Zeit - wenn überhaupt - nicht ändern. Denn höhere Renditen für Staatspapiere brechen der Eurozone das Genick. Grundsätzlich bleibe ich ein grosser Anhänger regelmässiger Aktienansparpläne z.B. in Fonds, auch wenn man angesichts der Höhenluft Angst vor Kursrückschlägen hat. Sparpläne sind ebenso banal wie genial. Denn sie haben die Kraft der zwei Herzen: Geht es nach oben, ist man ohnehin reicher. Geht es nach unten, bekomme ich für meinen gleichen Geld-Anteil mehr Aktien-Anteil. Längerfristig kann man in punkto Altersvorsorge nicht verhindern, reicher zu werden.
Eine gute Mischung aus Anleihen und Aktien ist also das A und O…
…früher gewesen. Natürlich hat man auch heute noch Anleihen. Aber bitte nicht wie Sand am Meer. Zinsen sind nach Inflation de facto nicht mehr vorhanden. Die Geldpolitik hat uns die hohen Zinsen ähnlich gestohlen wie der Fuchs die Gans in einem bekannten Kinderlied. Ich erinnere mich, dass es nach dem Zusammenbruch der Dotcom- und Immobilienblase für deutsche Staatspapiere durchschnittlich etwa fünf Prozent Rendite gab. Das war eine prima Ersatzbefriedigung zu Aktien. Alternativ steigende Anleiherenditen verhinderten damals, dass der DAX nachhaltig über 8.000 Punkte steigen konnte. Diese Fluchttür hin zu ordentlichen Zinsen ist heute verschlossen und den Schlüssel haben die Notenbanken weggeworfen. Es ist nicht Schluss mit geldpolitisch lustig. Die Liquiditätshausse wird im Vergleich zu früher erstens nicht gestoppt. Und zweitens wird sie über billiges Kreditgeld die fundamentalen Kräfte stärken, also auch eine Konjunkturhausse nach sich ziehen. Ein DAX-Ende des Jahres weit über 12.000 Punkte ist zu erwarten. In Aktien zu investieren, gerne auch mit Risiko-Chance-Optimierungen oder Teilabsicherungen, die es z.B. mit Discount- oder Bonuszertifikaten oder mit Aktienanleihen günstig gibt, das ist das A und O.
Was sagen Sie Investoren, die an Gold als Anlageform glauben?
Ein ganzes Arsenal an Krisen und Konflikten spricht theoretisch für steigende Goldpreise. Doch die Praxis sieht anders aus. Sind die Anlegerinnen und Anleger etwa auf ihren Edelmetall-Ohren taub?
«Schuld» daran sind vor allem die Notenbanken. Sie sind nicht nur perfekte Zinsdrücker, nein sie sind auch erfolgreiche Goldpreisdrücker. Das machen sie allerdings nicht selbst. Das lassen sie von «befreundeten» Geschäftsbanken über die Terminmärkte machen. Wie wollen wir es nennen: Einflussnehmende Manipulation oder manipulative Einflussnahme?
Wie auch immer, aus Sicht der Notenbanken macht das Ganze Sinn. Denn die Rettung des Weltfinanzsystems wird mit «Geld» betrieben. Da kann man keine Konkurrenzwährung «Gold» gebrauchen, die die Wirkung der geldpolitischen Rettungsmission ähnlich einschränken würde wie eine mit Selters verdünnte Bowle die Stimmung auf einer Party.
Vor diesem Hintergrund wird Gold keine massive Kursbefestigung wie zwischen 2008 bis 2012 erleben können, so sehr sie auch fundamental gerechtfertigt ist. Die mangelnde Dynamik des Goldpreises stört mich nicht. Physisches Gold war, ist und bleibt eine grundsätzlich solide Vermögensversicherung gegen finanz- und geopolitische Risiken. Denn die Verabreichung des süssen Gifts der Schuldenfrönerei mit geldpolitischem Segen wird irgendwann seine toxische Wirkung entfalten. Volkswirtschaften - selbst die der Europäischen Schuldenunion - können ohne Wirtschaftsreformen längerfristig nicht überleben. Daran können auch die Laborversuche der Geldpolitik nichts ändern. Wurden etwa die grossen Staatsschulden der Vergangenheit denn jemals zurückgezahlt? Nein, Staatspapiere waren am Ende immer wieder tatsächlich nur Papier. Gold dagegen hat alle Krisen seit Adam und Eva überlebt und seinen Wert erhalten: Im alten Rom bekam man für eine Goldunze eine ordentliche Toga und heute einen guten Massanzug.
Bei Gold zählt vor allem der langfristige Besitz, nicht die kurzfristige Rendite! Wenn wir in der Eurozone so weiter machen, werden wir noch dankbar sein, neben Aktien und Immobilien auch Gold zu besitzen. Gold ist eine harte Währung, eine Versicherung, die nicht ausfällt, schon gar nicht im systemischen Schadensfall. Den dicken Schinken beim Metzger oder den Sack Kartoffeln beim Bauern wird man gegen Gold dann immer noch bekommen. Immerhin, mit dem Papiergeld kann man noch den Kamin anzünden.
Ist es nicht sonderbar, dass die Notenbanken weltweit zu den von ihnen subventionierten Preisen selbst Gold kaufen. Sie werden wissen warum!
Nach Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums begann Robert Halver seinen beruflichen Werdegang zunächst als Wertpapieranalyst bei der Sparkasse Essen. Anschliessend war er bei der Privatbank Delbrück & Co (heute Bethmann Bank AG) für die Analyse der internationalen Kapitalmärkte und von zyklischen Aktiengesellschaften verantwortlich. Später formulierte er dort als Chefstratege die Anlagepolitik für die hausinternen Aktien- und Renten-Investments.
2001 wechselte Robert Halver als Direktor zur Schweizer Privatbank Vontobel. Neben der Anlagestrategie für Vontobel in Deutschland umfasste sein Verantwortungsbereich das Relationship Management sowie die Öffentlichkeitsarbeit der Vontobel-Gruppe in Deutschland.
Seit 2008 ist Halver bei der Baader Bank AG in Frankfurt tätig. Als Leiter Kapitalmarktanalyse ist er für die Einschätzung der internationalen Anlageklassen zuständig. In dieser Funktion ist er ebenso für die Aussendarstellung der Baader Bank tätig.
Robert Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator und ist durch regelmässige Medienauftritte bei Fernsehsendern und Radiostationen, auf Fachveranstaltungen und Anlegermessen sowie Fachpublikationen und als Kolumnist einem breiten Anlegerpublikum bekannt. Seine Markenzeichen, der rheinische Humor und die unterhaltsame, bildhafte Sprache, kommen bei keinem seiner Auftritte zu kurz.