«Es gibt mehr Anreize, Renditen ausserhalb des US-Marktes zu suchen»

14.01.2021
Herr Marty, haben Sie die Auswirkungen der US-Präsidentschaftswahlen zu spüren bekommen?
Es besteht ein Grundbedürfnis, dass US-Investoren versuchen, ihre Engagements vor möglichen Regierungswechseln zu diversifizieren. Die jüngsten US-Wahlen waren wohl eine seit einer Generation am meisten erwarteten. Aber bedeutete die Besorgnis über das Ergebnis - egal in welche Richtung - ein gesteigertes Interesse an Offshore-Investitionen? Die Realität ist, dass diese Frage nicht leicht zu beantworten ist.
Was gibt es für Gründe für Anleger, das Vermögen im Ausland zu diversifizieren?
Die jüngsten US-Wahlen stellen nur eine Möglichkeit von vielen dar. In der Tat war einer der Hauptfaktoren in den letzten Jahren die enorme Staatsverschuldung, welche die USA angehäuft haben. Daraus resultiert eine Angst vor einem Zusammenbruch der US-Währung. Die Gesamtverschuldung der USA beläuft sich derzeit auf 27.5 Billionen US-Dollar - verglichen mit lediglich 5.6 Billionen US-Dollar vor 20 Jahren. Die Ereignisse des letzten Jahres haben die Schulden besonders schnell ansteigen lassen. Als Folge suchen viele Investoren die Flucht in eine stabilere Währung wie den Schweizer Franken - der US-Dollar hat seit 1970 fast 80 Prozent seiner Kaufkraft gegenüber dem Franken verloren.
Welche Gründe sehen Sie noch?
Das vorherrschende Zweiparteiensystem bedeutet, dass die US-Politik ein Pendel ist, das im Laufe der Zeit immer wieder zwischen Demokraten und Republikanern hin- und herschwingt. So unternehmen die beiden grossen Parteien alle vier Jahre enorme Anstrengungen, um ihren eigenen Kandidaten ins Oval Office zu hieven. Das hat zur Folge, dass Investoren potenziell vor einem seismischen Wechsel sowohl in der Führung als auch in der Politik stehen.
Gibt es Investoren, die für eine Diversifizierung offener sind?
Für einen langfristig orientierten Investor gibt es zunehmend den Wert einer Diversifizierung des Vermögens ausserhalb der USA. Dies unabhängig davon, wer im Weissen Haus sitzt. Tatsächlich sticht eine Gruppe von Investoren besonders hervor: diejenigen, die bereits eine stärkere Verbindung zur Welt ausserhalb der USA haben. Dies entweder, weil sie in die USA ausgewandert sind, also europäische Vorfahren haben, oder weil sie international Geschäfte machen.
Was erwarten Sie in den USA nach den Wahlen?
Da jetzt ein Machtwechsel von Donald Trump zu Joe Biden stattfinden wird, können wir gewisse Eventualitäten vorhersagen: Unter der Führung der Demokraten muss sich die Pharmaindustrie auf verstärkte Eingriffe in die Preisgestaltung einstellen, während der Regulierungsdruck im Finanzsektor wahrscheinlich zunehmen wird. Die Demokraten streben auch eine allgemeine Erhöhung der Körperschaftssteuern an, was sich auf die Gewinnzahlen der Unternehmen auswirkt. In einigen Bereichen haben wir auch eine Einigung bei den Prioritäten gesehen. Zum Beispiel waren sowohl die Republikaner als auch die Demokraten wahrscheinlich ein Segen für den Infrastruktursektor, so dass wir in den nächsten vier Jahren grosse ausländische Investitionen in die US-Infrastruktur erwarten können.
Die USA ist der grösste Finanzmarkt der Welt. Wieso sollten Investoren die USA verlassen?
Mit all den genannten Gründen im Hinterkopf könnte es für Investoren noch mehr Anreize geben, nach Renditen ausserhalb des US-Marktes und des US-Dollars zu suchen. Für diejenigen Investoren, die eine bessere Diversifizierung ihres Vermögens erwägen, sei dies mit verschiedenen Finanzinstitutionen oder Ländern, stellt sich als nächstes die Frage: Wohin sollen sie gehen?
Und was empfehlen Sie?
Mit der Kombination der politischen Stabilität und der eigenen starken Währung bietet die Schweiz ein ideales Umfeld für Investoren an: eine Stabilität, die sich ein ausländischer Investor wünscht, wenn Vermögenswerte tausende Kilometer entfernt platziert und investiert werden. Daneben spielt auch die Reputation des Schweizer Finanzplatzes eine grosse Rolle. Schliesslich hält die Schweiz heute fast einen Drittel aller im Ausland angelegten Gelder.
Was erwarten Sie für die Finanzmärkte in 2021?
Natürlich gab es in letzter Zeit ausserhalb der US-Wahlen eine Fülle von Nachrichten, um die Investoren aufzumuntern. Die Märkte erholten sich von der Nachricht über Impfstoffe gegen das Coronavirus. Dies könnte mittelfristig die Lage verändern. Es können Produktionsprobleme wie Rohstoffknappheit oder Vertriebsfragen in der ganzen Welt aufkommen, so dass noch einige Unsicherheiten bestehen.
Wird ein breit akzeptierter Impfstoff die Wirtschaft ankurbeln?
Selbst wenn der Impfstoff effizient ist, wird die wirtschaftliche Erholung höchstwahrscheinlich auf einem holprigen Pfad verlaufen. Wir können daher Perioden mit höherer Volatilität erwarten. Für die Investoren bleibt ein breiter Korb von Vermögenswerten, um all die potenziellen Risiken zu diversifizieren. Das alles bleibt mit einem längeren Zeithorizont so wichtig wie eh und je.
Unabhängig davon, ob die Risiken nach Geografie, Anlageklasse oder Duration verteilt werden: Die Notwendigkeit der Diversifizierung bedeutet, dass auch Anlagen in Betracht gezogen werden müssen, die möglicherweise weniger bekannt sind. Deshalb ist die Kompetenz eines Anlageberaters so entscheidend.
Link zum Disclaimer
René Marty ist seit mehr als 25 Jahren in der Finanzbranche tätig. Die meiste Zeit betreute er nordamerikanische Kunden. Bevor er zu REYL Overseas Ltd kam, war er von 2009 bis 2017 Managing Director und Chief Executive Officer (CEO) der UBS Tochtergesellschaft Swiss Financial Advisers, die ebenfalls von der SEC beaufsichtigt ist. René Marty besitzt einen Bachelor in Business Administration mit dem Schwerpunkt Finanzwesen und Wirtschaft und absolvierte das Global Advanced Management Program der Kellogg School of Management an der Northwestern University.