Es ist gnadenlos, aber Teil der Laufbahn eines jeden langfristigen Investors

18.03.2020
Herr Konrad, ich danke Ihnen für diesen Austausch, insbesondere in diesen schwierigeren Zeiten. Warum fangen wir nicht damit an, dass Sie uns ein wenig darüber erzählen, wie Sie mit den aktuellen Unsicherheiten umgehen?
In der Tat waren die letzten Wochen für alle Anleger in fast allen Anlageklassen grausam. Egal, wie gut Sie vorbereitet sind: Wenn der Sturm Ihr Schiff in einer solchen Geschwindigkeit und Intensität trifft, kann es richtig unter die Haut gehen. Und wenn Angst und Irrationalität die Führung übernehmen, wird die Situation zur grössten Herausforderung. Ich glaube, der einzige Ausweg ist der Durchgang. Es mag einige Zeit erfordern, aber wenn Sie Ihrem Schiff vertrauen und sich sorgfältig vorbereitet haben, sind die Chancen sehr hoch, dass Sie auch diesen Sturm überstehen werden. Und Sie können sicher sein: Wenn Sie noch lange genug leben, wird dies nicht der letzte sein.
Aufgrund Ihrer Analogien klingen Sie wie ein begeisterter Segler. Mir gefallen die Vergleiche. Könnten Sie uns ein wenig mehr über die von Ihnen verwaltete Strategie und die Art und Weise, wie Ihr Investitionsansatz Ihr Handeln leitet, erzählen?
Ja, ich mag das Segeln, es ist ein Teil von mir, seit ich ein kleines Kind war. Manchmal mag ich es, eine Situation in einer anderen Form zu betrachten. Dies hilft mir, meine Gedanken zu klären und zu organisieren, in der Hoffnung, dass ich meinen Entscheidungsprozess verbessern kann. Bei der FERI (Schweiz) AG bin ich für die globale Qualitätsaktienstrategie verantwortlich. Unser Investmentansatz folgt einem bewährten Prinzip: Wir (a) investieren in qualitativ hochwertige Unternehmen gemäss unserer tiefgreifenden Fundamentalanalyse, (b) zahlen einen fairen/angemessenen Preis und (c) lassen die Zeit für uns arbeiten. Unser Portfolio ist aktuell in eine nach unserer Einschätzung sorgfältig ausgewählte Gruppe von etwa 30 der besten Unternehmen weltweit diversifiziert. Die meisten von ihnen sind führend in ihrer Branche, mit einem erkennbaren Burggraben, verfügen über eine solide Bilanz und überdurchschnittliche operative Margen und sind in Bezug auf die Kapitalintensität eher niedrig eingestuft. Unser Auswahlverfahren für Aktien wird auch unter bestimmten sozialen und umweltbezogenen Aspekten geprüft, die unsere Ansicht über das wertschöpfende Potenzial dieser Unternehmen abrunden.
Wenn es so einfach ist, warum brauchen wir dann jemanden wie Sie? Es ist eine vielleicht harsch klingende Frage, aber ich denke, es ist eine natürliche Reaktion, die viele Leserinnen und Leser haben könnten.
Keine Sorge, Sie können mir jede Frage stellen. Es braucht schon etwas mehr, um meine Gefühle zu verletzen (… lächelt). Erstens ist es meine Hauptaufgabe, Unternehmen zu analysieren und zu bewerten, die Preis-Wert-Asymmetrien kontinuierlich zu überwachen und die Portfolio-Allokation so anzupassen, dass sie immer das attraktivste Risiko-Rendite-Profil zum Ausdruck bringt. Zum anderen ist es meine Aufgabe, die Rolle der Emotionen im Entscheidungsprozess zu minimieren. Der Umgang der Menschheit mit der COVID19-Situation ist ein gutes Beispiel. Schauen Sie sich um und beobachten Sie die Handlungsweise der Menschen. Gehen Sie in einen beliebigen Supermarkt und analysieren Sie den aktuellen Einkaufswagen. Die Menschen lagern Unmengen von Lebensmitteln, als gäbe es kein Morgen. Und zumindest in der Schweiz scheinen die Menschen von Toilettenpapier besessen zu sein. Ergeben diese Aktionen wirklich Sinn? Ich bin nicht überzeugt. Ich will gar nicht daran denken, welche Lebensmittelverschwendung wir wahrscheinlich erleben werden, wenn wir in unser früheres Leben zurückkehren dürfen. Nun die Frage, die ich habe: Können dieselben angstgesteuerten Menschen Investitionsentscheidungen auf der Basis von Vernunft treffen? Ich denke, die meisten können das nicht! Deshalb brauchen sie eine professionelle Beratung. Sie sollten nicht zulassen, dass ihre Emotionen ihren Vermögensbildungsprozess gefährden.
Das ist ein interessanter Punkt. Würden Sie also empfehlen, jetzt Aktien zu kaufen? Oder glauben Sie, dass «Der Markt» noch weiter sinken könnte?
Diese Frage wird mir oft gestellt und ich habe das Gefühl, dass die Leute über meine erste Reaktion oft enttäuscht sind, weil sie erwarten, dass ich das Unbeantwortbare beantworte. Was ich normalerweise sage: Ich habe keine Ahnung! Ich weiss nicht, wo die Aktienkurse morgen, nächste Woche oder nächsten Monat sein werden. Übrigens sollten wir mit jedem vorsichtig sein, der glaubt, einen gewissen Einblick in die Zukunft zu haben. Es gibt jedoch drei Dinge, an denen ich wenig Zweifel habe. Erstens, dass gute Unternehmen mit der Zeit einen Mehrwert schaffen werden. Zweitens, dass Probleme gelöst und Lösungen geschaffen werden (wenn auch kaum jemals, ohne Narben zu hinterlassen). Und drittens, dass die Innovation uns wahrscheinlich positiv überraschen wird. Für jeden langfristigen Investor sollte das am wichtigsten sein. In unserem globalen Qualitätsaktienportfolio hielten wir in der letzten Februarwoche rund 15 Prozent Cash, welches wir in den ersten Märztagen investiert haben. Im Nachhinein (immer einfacher) haben wir dieses Cash ein paar Wochen zu früh eingesetzt. Das Ausmass der Panik an den Finanzmärkten hat die meisten von uns sicherlich überrascht. Da unser Investitionsansatz aber von langfristigen Preis-Wert-Asymmetrien getrieben wird, ist es nur logisch, dass wir uns in derart stark fallende Preise einkaufen werden. Wenn sich die langfristigen Aussichten eines bestimmten Unternehmens nicht geändert haben und der Preis deutlich niedriger ist, möchte ich mehr davon haben und nicht weniger.
Aber wäre es nicht besser, jetzt auf Cash überzugehen, an die Seitenlinie zu treten und auf mehr Sichtbarkeit zu warten, bevor man wieder in den Aktienmarkt einsteigt?
Nun, das hängt wirklich von Ihrem Investitionsansatz, Ihrem Anlagehorizont und Ihrer Fähigkeit ab, den Tiefpunkt des aktuellen sell-offs zu finden. Wenn Sie einen Teil Ihres überschüssigen Kapitals mit einem langfristigen Vermögensbildungsziel investiert haben und nicht durch «margin calls» unter Druck sind, dann sehe ich wenig Grund, jetzt zu verkaufen. Erstens, weil die Talsohle nur aus der Zukunft zu erkennen ist. Zweitens, wenn Sie jetzt aussteigen, werden Sie wahrscheinlich einen Verlust realisieren, und ich denke, dass die meisten Investoren den idealen Wiedereinstiegspunkt verpassen werden. Wenn ich über liquide Mittel verfügen würde, die ich in den nächsten fünf Jahren mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht benötigen werde, würde ich jetzt auf jeden Fall schrittweise Aktien kaufen oder aufstocken. Ich sehe derzeit mehrere sehr attraktive langfristige Preis-Wert-Asymmetrien. Wenn Sie der Trader-Typ sind, dann können Sie so oft ein- und aussteigen, wie Sie wollen. Ob dieser Ansatz auf lange Sicht ebenso erfolgreich ist, kann ich nicht sagen. Aber Ihr Broker wird sicher zufrieden sein.
Also gut. Sie sagen damit, dass jeder, der Geld zur Verfügung hat, schrittweise Aktien kaufen sollte. Was ist, wenn ich bereits voll investiert bin?
Was ich gesagt habe: Wenn Sie (a) über liquide Mittel verfügen, wenn Ihnen (b) die nächsten fünf bis zehn Jahre wichtiger sind als das, was in den nächsten Wochen geschehen wird, und wenn (c) Aktien im Rahmen Ihrer Vermögensallokation sinnvoll sind (in Anbetracht Ihres Lebensabschnitts und Ihrer Risikotoleranz), dann sollten Sie wahrscheinlich jetzt nach und nach Aktien kaufen. Wenn Sie Ihr Cash jedoch bereits eingesetzt haben (unser Fall), dann gibt es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr viel zu tun. Was mich und das globale Aktienportfolio, das ich bei FERI (Schweiz) AG verwalte, betrifft, so ist mein Vertrauen in die aktuellen Portfoliounternehmen und ihre zugrunde liegende Qualität und Stärke nach wie vor sehr hoch. Ich habe wenig Zweifel, dass sie die gegenwärtigen Unsicherheiten erfolgreich überstehen und gestärkt aus der Krise hervorgehen werden. Wir navigieren wachsam, mit Ruhe und Zuversicht, wir vertrauen unserem Schiff und sind bereit, den aktuellen Sturm zu überstehen. Wir trimmen unsere Segel und passen den Kurs an, wann immer es nötig ist, um sicherzustellen, dass wir auf der anderen Seite so schnell wie möglich und mit wenig Schaden herauskommen. Abschliessend möchte ich allen unseren Investoreninnen und Investoren danken, die uns ihr Vertrauen geschenkt und das Schiff in diesen weniger erfreulichen Zeiten nicht verlassen haben. Sie wissen wahrscheinlich, dass: «This too shall pass» (persisches Sprichwort).
Link zum Disclaimer
Lars Konrad ist seit Januar 2018 im Portfolio Management als Leiter Globale Aktien bei der FERI (Schweiz) AG tätig. Vor seinem Engagement bei FERI (Schweiz) AG leitete er seit September 2016 einen globalen Aktienfonds bei der MRB Vermögensverwaltungs AG in Zürich. Seine Erfahrung im Aktiengeschäft begann bei Banco Santander (Sao Paulo) in 2003 als Analyst von Konsumgüterunternehmen. Von 2007 bis 2011 war er bei Bank of America-Merrill Lynch tätig als Aktienanalyst für Unternehmen in den Bereichen Telecom, Media und Technologie. Danach wechselte er als Leiter der globalen Aktienanalyse und Manager verschiedener Aktienportfolios für UHNW-Kunden zu Credit Suisse Hedging-Griffo (Sao Paulo). Lars Konrad ist deutscher und brasilianischer Staatsangehöriger, graduierte im Jahr 2003 im Fach Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftshochschule INSPER in Sao Paulo und belegte im Anschluss einen Masterkurs in Law & Finance an der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt. Seine Investitionsphilosophie orientiert sich an Qualität und Nachhaltigkeit und verfolgt das Ziel, durch langfristige Beteiligungen an Unternehmen Asymmetrien zwischen Risiko, Preis und Wert auszuschöpfen.