«ESG wird das neue Normal werden»

Leiter Abteilung Nachhaltigkeit (ESG) im Portfoliomanagement
Union Investment, Frankfurt
union-investment.de
20.11.2019
Herr Dr. Pontzen, Ihr Haus kann auf eine 30-jährige Geschichte in nachhaltigen Anlagen verweisen und ist 2018 zum fünften Mal in Folge von Scope als bester Asset Manager für nachhaltige Investments ausgezeichnet worden. Welche Ressourcen stehen Ihnen dafür zu Verfügung?
In der ESG-Abteilung unseres neu gegründeten Bereichs «Research on Investment Strategy» arbeiten aktuell zwölf und in einem halben Jahr bereits 16 Analysten, die sich ausschliesslich dem Thema Nachhaltigkeit widmen. Diese Spezialisten sind sozusagen aber nur die Speerspitze einer Nachhaltigkeitsstrategie, die wir unternehmensweit verfolgen. Auch unsere 300 Portfolio Manager sind allesamt in Nachhaltigkeit geschult.
Besteht die Gefahr, dass jetzt eine Nachhaltigkeitsblase gebaut wird?
Die Meinungsbildung zu einer spezifischen Aktie oder einem spezifischen Titel entsteht bei uns immer im Trio: Aktienspezialist, Anleihenspezialist, Nachhaltigkeitsspezialist. Wir investieren erst dann, wenn die Ampel auf Doppelgrün steht. Das heisst, wenn wir sowohl von der Fundamentalanalyse als auch von der Nachhaltigkeitsanalyse ein Kaufsignal haben. Wenn wir das nicht so miteinander verschrauben würden, würden wir in der Tat eine Nachhaltigkeitsblase bauen und daran haben wir überhaupt kein Interesse.
Union Investment verwaltet einen Bestand an nachhaltig verwalteten Fonds von 48 Mrd. Euro. Wie hat sich dieses Volumen über die letzten paar Jahre entwickelt?
Die nachhaltigen Assets under Management (AuM) von Union Investment haben sich in den letzten vier Jahren etwa verdreifacht. In 2015 lagen sie noch bei knapp 18 Mrd. Euro. Heute sind es bereits rund 48 Mrd. Euro.
Wie erklären Sie sich dieses starke Wachstum?
Das ist relativ einfach zu benennen: Die 2015 von der Staatengemeinschaft im Pariser Klimaabkommen verbindlich vereinbarte Reduktion der Erderwärmung signalisierte den institutionellen Investoren, dass hier Kosten auf uns zukommen werden, die wir so bislang nicht hatten. Denken Sie zum Beispiel an CO2, das man bislang kostenlos in die Welt blasen konnte. Künftig wird das etwas kosten und einen fundamentalen Effekt haben. Es rutschen also Dinge ins Pflichtenheft, die davor unter dem Stichwort Nachhaltigkeit so quasi unter Kür gehandelt wurden.
Ist Ihr eigenes Unternehmen auch nachhaltig unterwegs? Es ist ja bekanntlich einfacher, mit dem Finger auf andere zu zeigen.
Natürlich würden Sie bei uns, wie in jedem grossen Unternehmen, Dinge finden, die noch nachhaltiger gestaltet werden könnten. Die Frage ist aber, wo wir den grössten gesellschaftlichen Beitrag leisten können, respektive, wo wir die grösste Wirksamkeit haben. Und da landen wir eben nicht bei der Frage, wie wir 500 Lichtschalter bedienen, sondern hauptsächlich, wie wir 348 Mrd. Euro investieren.
Wie können sich denn Ihre Fonds von jenen der Wettbewerber konkret unterscheiden? Die grossen Anbieter beziehen das ESG-Research ja nicht selten von den gleichen Anbietern.
Zum einen nutzen wir nicht nur einen, sondern mehrere Anbieter. Aber noch viel wichtiger: Wir führen als aktiver Asset Manager jährlich über 4‘000 Unternehmensgespräche und erfassen alle Informationen, die wir in diesen Gesprächen zur Nachhaltigkeitsstrategie der Unternehmen erfahren in unserer Datenbank. Damit wir auch tatsächlich substantielle Informationen erhalten, haben wir seit Anfang dieses Jahres das Erfassen von Nachhaltigkeitsinformationen in den individuellen Leistungszielen aller Mitarbeitenden im Portfoliomanagement verankert. Seither haben sich die Einträge in unserer Research-Datenbank zweistellig gesteigert. So stehen uns per Knopfdruck Informationen zu über 70‘000 Wertpapieren von 10‘000 Unternehmen und etwa 100 Staaten sehr strukturiert zur Verfügung. Diese langfristigen und intensiven Kontakte mit den Unternehmen stiften also einen erheblichen Mehrwert.
Der globale Anleihenmarkt ist bekanntlich viel grösser als der weltweite Aktienmarkt. Lassen sich ESG-Kriterien auch auf Anleihen umlegen?
Auch im Anleihenmarkt werden ESG-Kriterien immer wichtiger. Hier wird von sogenannten «Green Bonds» gesprochen. Allerdings ist dieses Label für uns weder hinreichend noch notwendig, um Teil einer nachhaltigen Anlage zu werden. Wir haben nämlich den Ansatz, neben der Anleihe auch immer den Herausgeber der Anleihe in seiner Nachhaltigkeit zu bewerten. Wenn jetzt also zum Beispiel Frankreich einen «Green Bond» begibt, würden wir den nicht in ein Nachhaltigkeitsportfolio kaufen, weil wir Atomkraft aus nachhaltigen Fonds ausgeschlossen haben und der Emittent Frankreich in diesem Fall unseren Nachhaltigkeitskriterien nicht genügt.
Zudem ist das Risikoprofil bei Anleihen anders als bei Aktien. Während für den Aktienmanager Nachhaltigkeitsinformationen und Ereignisse auch in der kurzen und mittleren Frist relevant sind, ist die Frist für den Anleihenmanager eher länger. So ist es zum Beispiel möglich, dass für einen Anleihenmanager eine Investition in ein staatliches Kohleminen-Unternehmen in China vom Risikoprofil her attraktiv ist, weil er annimmt, dass China nicht pleitegeht. Ein Aktienmanager hingegen rechnet mit hohen zukünftigen Kosten für einen Kohleförderer und will diese Aktie nicht haben.
Wohin geht die ESG-Reise in der europäischen Finanzindustrie in nächster Zukunft?
ESG wird das neue Normal werden. Schon bald wird sie keine Salesperson mehr fragen, ob Sie für oder gegen Nachhaltigkeit sind. Die Frage wird sein: Was genau ist Ihr Nachhaltigkeitsverständnis. Unsere Aufgabe als Vermögensverwalter wird es dann sein, ein Produkt zur Verfügung zu stellen, das genau diesem Nachhaltigkeitsverständnis entspricht. Die ab 2020 in Kraft tretenden EU-Nachhaltigkeitsverordnungen werden zudem für eine gewisse Angleichung der Produkte sorgen. Ich sehe aber weiterhin genügend Differenzierungspotenzial, und die feinen Unterschiede können ja mitunter entscheidend sein.
Link zum Disclaimer
Dr. Henrik Pontzen leitet seit Januar 2019 die Abteilung ESG im Portfoliomanagement von Union Investment. Zuvor war er Berater bei Capco sowie zehn Jahre in verschiedenen Funktionen für die HSBC tätig. Als Leiter der Institutional Client Group verantwortete er die produktübergreifende Betreuung deutscher Asset Manager. Davor betreute er Versicherungen und Asset Manager im Verwahrstellengeschäft der HSBC als Leiter Custody Sales und leitete das Business Risk Control Management in Deutschland und sieben weiteren europäischen Ländern. Seit 2016 ist Henrik Pontzen Vorstand der DVFA (Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management) und leitet dort die Kommission Sustainable Investing. Er studierte Philosophie, Wirtschaftswissenschaften und Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und der Universität Kopenhagen und ist seit 2010 Lehrbeauftragter für Risikomanagement und -ethik an verschiedenen deutschen Universitäten.