ETFs auf dem steinigen Weg nach oben

Professor für Banking und Finance
Fachhochschule Nordwestschweiz, Windisch
fhnw.ch
12.04.2016
Herr Prof. Marbacher, Sie haben sich schon in den neunziger Jahren für die Idee der ETFs eingesetzt, weshalb?
Es ist vor allem die wissenschaftliche Fundierung, die diesem Anlageinstrument zugrunde liegt, die mich bewogen hat, dieser Idee nicht nur in der Forschung und der Lehre sondern auch in der Praxis zum Durchbruch zu verhelfen. Auf theoretischer Ebene ist es die moderne Finanztheorie, die überzeugende Argumente für dieses Instrument geliefert hat. Auf empirischer Ebene sind es vor allem die vergleichenden Analysen zwischen aktiven und passiven Fonds, die gezeigt haben, dass es langfristig praktisch nicht möglich ist, mit Wetten gegen den Markt überdurchschnittliche Renditen zu erzielen.
Trotz dieser überzeugenden theoretischen und empirischen Fundierungen haben es die passiven Anlagen schwer, wesentliche Marktanteile zu erobern. Warum dies?
Immer mehr Fahrt gewinnen die passiven Anlagen im institutionellen Bereich, wo sie in Form von Indexanlagen bei den Kernholdings angewendet werden. Hingegen ist die Marktdurchdringung im Bereich der Privatanleger immer noch sehr bescheiden, nämlich unter 10 Prozent.
Weshalb denn diese Trägheit?
Es gibt zwei Gründe für diese schleppende Entwicklung:
Erstens haben die Banken lange Zeit kein Interesse gezeigt, diese Instrumente anzubieten, da es sich um Produkte mit geringer Wertschöpfung und tiefen Margen handelt, die zudem das klassische, margenstarke Fondsgeschäft konkurrenzieren. Deshalb sind in der Schweiz erst in den Nullerjahren eine ausreichende Zahl von ETFs angeboten worden. Es besteht also noch Hoffnung.
Es gibt jedoch einen zweiten, wichtigeren Grund: Indexprodukte verstossen gegen den gesunden Menschenverstand! Ein Anleger wird nie verstehen, dass ein Index, in dem auch die «schlechten» Firmen enthalten sind, bessere Resultate erzielen soll als ein Portfolio, in dem diese durch Fondsmanager gezielt herausgenommen werden. Es würde doch schon genügen, eine einzige schlechte Firma aus dem Portfolio herauszunehmen, um den Index schlagen zu können. Leider ist die Sache nicht so einfach: Denn wenn eine Firma schlecht aufgestellt ist, wird sich der Aktienkurs so lange verschlechtern, bis die erwartete Rendite der Marktrendite entspricht. Das heisst: Man findet die «schlechten» Firmen gar nicht.
Was wäre zu tun, diese Barrieren zu überwinden?
Eine Massnahme steht im Vordergrund: Ausbildung
Allerdings: Es handelt sich um eine recht schwierige Materie. Die Zahl jener, die sich dem unterziehen, wird immer begrenzt bleiben. Deshalb glaube ich nicht, dass sich das Produkt über eine aufgeklärte Elite hinaus wird verbreiten können.
… und was könnten die Anbieter tun?
Wohl nicht allzu viel, denn die Botschaft der effizienten Märkte ist schnell erzählt, intuitiv nicht nachvollziehbar und enorm langweilig. Deshalb läuft die Entwicklung in eine ganz andere Richtung. Das Marketing hat sich der Frage angenommen. Geschichten und Visionen müssen her. Die Kunden sollen Zukunftschancen und Dynamik sehen. Innovationen dominieren den Markt. Fast täglich kommt ein neues Produkt heraus. Komplexität ist die Folge.
Das Resultat ist ein Markt, der an Unübersichtlichkeit kaum mehr zu überbieten ist. Ohne Berater findet sich der Laie kaum mehr zurecht. Damit gehen die komparativen Vorteile der ETFs wieder weitgehend verloren, nämlich ihre Einfachheit und die Kostengünstigkeit.
Sie sehen somit Parallelen zum Fondzyklus?
Tatsächlich scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Die Fondsidee war die Antwort auf die Forderung der modernen Finanztheorie nach Diversifikation der Anlagen. Nicht mehr Stockpicking war gefragt, sondern der Top-down-Approach hielt Einzug in das Portfoliomanagement. Der Fonds stellte das rationale Instrument zur Umsetzung der Idee dar. Wenige marktkapitalisierte Fonds sollten genügen, um die Welt beispielsweise mit Aktien abdecken zu können. Es sollte jedoch nicht bei dieser Einfachheit bleiben. Es wurden in der Folge Erwartungen geweckt, die in den neunziger Jahren zu einer Explosion an Fonds führten. Die ETFs scheinen eine ähnliche Entwicklung zu nehmen.
Weshalb halten Sie diese Entwicklung bei den ETFs für kritisch?
Ich glaube tatsächlich, dass Marketinganstrengungen im ETF-Bereich, die darauf abzielen, besondere Rendite- und Risikoerwartungen zu wecken, weniger erfolgreich sein werden als im Fondsbereich. Das hängt vor allem damit zusammen, dass ETF-Nutzer in Sachen Markteffizienz als besonders aufgeklärt gelten können und sich nicht so schnell für vielversprechende Ideen hervorlocken lassen.
Prof. Dr. oec. publ. Josef Marbacher studierte Ökonomie an der Universität Zürich und spezialisierte sich als Assistent des Instituts für schweizerisches Bankwesen im Banken- und Finanzbereich. 1976 promovierte er mit einer Arbeit über das schweizerische Geldsystem. Spezialisierungen im Bereich der modernen Finanztheorie erfolgten an der Universität Genf und der Stanford University in Kalifornien.
Seine beruflichen Stationen führten ihn zuerst zur Schweizerischen Nationalbank, wo er als wissenschaftlicher Mitarbeiter insbesondere Fragen der monetären Systeme behandelte und in dieser Funktion auch die Schweiz in der Zehnergruppe der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) vertrat. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre war er Chefökonom der Swiss Re, wo er die Leitung des Research innehatte. Anschliessend leitete er als Chefökonom und Chefstratege das Research der Bank Julius Bär. 1999 wurde er als Professor für Finance an die Fachhochschule Nordwestschweiz berufen, wo er 2001 das Institut für Finanzmanagement IFF aufbaute und bis 2011 leitete. Heute ist er Professor für Banking und Finance der FHNW.
Seine thematischen Schwerpunkte liegen in den Bereichen Kapitalmarkttheorie, Risikomanagement, Anlagepolitik, weltwirtschaftliche Analysen, Volkswirtschaft (Lehrbuch), Portfoliomanagement, Asset-Liability-Studien für Banken und Pensionskassen.
Josef Marbacher ist Mitglied verschiedener Verwaltungsräte und Anlageausschüsse im Banken- und Pensionskassenbereich.