«EZB hat mit nur 400 Wörter die Märkte bewegt»

13.04.2016
Herr Jones, wo sehen Sie zurzeit die Herausforderungen im Anleihen-Markt?
Das zuletzt angekündigte Programm der EZB im Bereich Unternehmensanleihen hat dramatische Auswirkungen auf die Kreditmärkte in Europa. Nachdem es zu Beginn Quantitative Easing war, ist es nun zu einem Credit Easing geworden. Die Zentralbanken sind so nervös über die Entwicklung der Kreditmärkte, dass sie sich von der reinen monetären Geldpolitik entfernt haben. Das ist ein grosser Schritt von EZB-Präsident Mario Draghi.
Wird das neue Programm der EZB die gewünschte Wirkung erzielen?
Ich denke schon. Interessant war, dass die Mitteilung der EZB nicht mehr als 400 Wörter umfasste. Trotzdem hatte sie sofort grossen Einfluss. Die Spreads verbilligten sich umgehend um 20 Basispunkte. Dies drei Monate bevor die Massnahmen überhaupt umgesetzt werden. Es gibt keine Bedingungen, wie die EZB im Markt agieren wird. Sie verfolgt nach wie vor das Ziel von zwei bis drei Prozent Konjunkturwachstum in Europa und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Speziell bei jungen Leuten ist die Arbeitslosigkeit immer noch hartnäckig hoch. Die EZB muss dran bleiben. Die Erfahrung in den USA hat gezeigt, dass nachdem einmal ein Momentum für neue Jobs kreiert wurde, dies recht lange anhalten kann. Aber man muss ein Momentum schaffen. Das europäische Wirtschaftswachstum steht aktuell unter der Spannung von Themen wie der Immigration und dem möglichen Brexit.
In Grossbritannien sprechen alle vom Brexit. Haben Sie auch Befürchtungen?
Die Debatte über den Brexit ist interessant. Der 23. Juni könnte positiv oder negativ ausgehen. Aber das Gefühl, dass am 24. Juni alles zum Stillstand kommen könnte, ist falsch. Es braucht Zeit, um einen Entscheid umzusetzen. Auch bei einem Ja zum Brexit würden sich die Auswirkungen erst über eine lange Periode von zehn bis 15 Jahren hinweg zeigen. Es braucht zwei bis fünf Jahre, um den Ausstieg zu formalisieren. Dann weitere zwei bis fünf Jahre, um die lokalen Gesetze anzupassen. Es wird zwar etwas Volatilität rund um den Termin geben, aber das wird sich vor allem in der Währung auswirken. Diesen Druck muss das Pfund Sterling aushalten. Investoren tun gut daran, sich auf Schwankungen in der Währung einzustellen. Und natürlich ist Unsicherheit nie gut für die Märkte. Momentan zeigen Umfragen, dass zwei Drittel sich für einen Verbleib in der EU aussprechen. Für uns als Unternehmen würde sich wenig ändern, weil unsere Produkte schon alle in Dublin basieren und pan-europäisch vertrieben werden können.
Die Finanzmärkte schwanken stark. Haben die Zentralbanken die Lage noch im Griff?
Der Einfluss der Zentralbanken ist immer noch gross. Das Umfeld ist mehr von Volatilität und Unsicherheiten geprägt. Aber 60 Mrd. Euro pro Monat haben deutliche Auswirkungen.
Was macht Sie so zuversichtlich?
Es ist ein starkes Zeichen, dass die EZB jetzt Unternehmensschulden kauft und sie dadurch vergünstigen werden. 2009 hat die Bank von England Kredite für nur gerade eine Milliarde Pfund gekauft, um dem Markt Liquidität zuzuführen und das Schlimmste an den Finanzmärkten zu verhindern. Das hatte damals einen ziemlich grossen Einfluss, dass die Bank von England auf einmal ein Teil des Marktes geworden ist.
Wie soll sich ein professioneller Anleger derzeit positionieren?
Die Liquidität ist nicht der Hauptpunkt für die Struktur eines Portfolios, weil sie nie mehr so stark zurückkommen wird wie vor zehn Jahren. Investoren müssen aber sorgfältig überlegen, was sie besitzen wollen. Es muss eine Balance zwischen liquiden und weniger liquiden Assets geben. Ende März 2016 wurden für 30 Mrd. Euro neue Anleihen emittiert. Das zeigt, dass der Markt immer noch funktioniert. Er erhält durch das Programm der EZB neue Stärke.
Das Öl hat sich zwar etwas verteuert, ist aber immer noch äusserst günstig. Welchen Einfluss hat es auf die Inflation?
Der Ölpreis hat einen starken Einfluss auf die Inflation. Wir erwarten, dass der Ölpreis nicht gross über 40 US-Dollar steigen wird. Der Welt droht aber ein Problem mit der Gesamtinflation, sofern der Preis pro Barrel Rohöl nicht weiter unter 50 US-Dollar verharrt. Saudi-Arabien und Iran nutzen das Öl für politische Zwecke. Der Markt ist nicht transparent. Es ist schwierig, akkurate Informationen von Angebot und Nachfrage zu erhalten. Die Vorräte sind so gross wie noch nie. Wir erwarten daher keinen starken Rebound des Ölpreises. Sobald eine Preiserholung einsetzt, gibt es ein paar Verkäufer im Markt. Wir rechnen daher mit einer Handelsspanne zwischen 25 und 45 US-Dollar für die nächsten Monate. Das ist noch nicht inflationär.
Die Schwellenländer haben nun über drei Jahre korrigiert. Sehen Sie dort Einstiegschancen?
Grundsätzlich sind die Bewertungen in den Schwellenländern sehr attraktiv. Wir sind Stockpicker und achten weniger auf Regionen. Mexiko ist ein Markt, den wir momentan bevorzugen. Er wird durch die starke US-Konjunktur unterstützt. Wir finden auch die europäischen Schwellenländer interessant. In Asien sehen wir ein klares Bestreben von China, die Situation zu beruhigen und die Märkte zu stabilisieren. Momentan sind sowohl die chinesischen Aktienmärkte als auch die chinesische Währung sehr schwankungsanfällig. Die Bank von China führt dem Markt Liquidität zu, senkt die Zinsen und stützt die Banken. Aber die Tatsache bleibt, dass sich die Konjunkturentwicklung verlangsamt. Das ist ein langwieriger Prozess und die Chancen von weiterhin grossen Schwankungen bleibt bestehen.
Wenn erwarten Sie den nächsten Crash?
Ein Crash kommt immer unerwartet. Momentan sind alle so besorgt, dass sie Bargeld horten. Es gibt Volatilität, die günstigen Bewertungen wirken unterstützend. Es ist aktuell eher kein Umfeld für einen Crash.
Stephen Jones ist Chief Investment Officer (CIO) und Mitglied der Geschäftsleitung von Kames Capital. Zu seinen Verantwortlichkeiten gehört die Investment Performance und Strategie des schottischen Vermögensverwalters. Er verfügt über mehr als 25 Jahre Industrieerfahrung. Jones studierte Recht und Wirtschaft an der University of Newcastle. Kames Capital plc ist eine spezialisierte Investment-Management-Gesellschaft mit Sitz in Edinburgh und London. Das Unternehmen ist im letzten Jahr von 275 auf 325 Angestellte gewachsen und verwaltet 77 Mrd. Euro (Stand 31.12.2015) für seine britischen und internationalen Kunden - darunter Pensionsfonds, Finanzinstitute, Vermögensverwalter, Family Offices und Finanzberater.